Wann kannst du kommen?

Reisezeit: Juli / August 2019  |  von Beatrice Feldbauer

Reisetag / Asuncion

Mein Flieger geht erst gegen Mitternacht, ich habe also genügend Zeit, verschiedenes zu erledigen. Fertig Packen sollte ich nämlich noch, und Aufräumen vom Sommerfest von letztem Samstag. Und die Wäsche aus dem Tumbler holen, den Kehricht hinaus stellen, einen Kundenauftrag zu Ende führen, ein paar Anrufe erledigen. Die Zeit schwindet, die Aufgaben sind noch nicht alle erledigt, als ich merke, dass der Koffer noch immer nicht fertig gepackt ist. Wie ich das hasse, ein paar Sachen sind bereit gelegt, Kleider, Kamera mit Zubehör, Ladekabel, Schuhe, Toilettensachen, Bücher, Laptop. Irgendwas fehlt noch.

Um sechs Uhr bringt mich Vreni, meine Nachbarin zum Zug. Jetzt ist es zu spät noch etwas zu erledigen, was jetzt nicht gemacht ist, muss einen Monat warten. Schon im Zug weiss ich, was ich vergessen habe, einzupacken und ärgere mich.

Dafür weiss ich, wie ich den langen Flug überstehen werde. Ich lade mir zwei Computerspiele auf mein Handy. Simple Kombinations-Puzzles, wo es darum geht, zwei oder drei gleichfarbige Elemente anzutippen, damit sie verschwinden, während oben immer neue Elemente ins Spielfeld fallen. Damit kann ich mich stundenlang beschäftigen. Bin auf Anhieb süchtig. Im Alltag verbiete ich mir diese Spiele, auf der Reise wird es mir vielleicht helfen, die Stunden zu überstehen.

Es hat tatsächlich funktioniert, im Swiss-Flieger konnte ich mein Handy am Strom anschliessen und in der dunklen Kabine, in der ich natürlich nicht lesen konnte, beschäftigte ich mich stundenlang mit fallenden Äpfeln und Birnen, explodierenden Brombeeren und versteckten Gartenzwergen. Ausserdem habe ich einen verwilderten Garten auf Vordermann gebracht und eine geerbte Villa neu eingerichtet. Wer noch nie so ein Spiel gespielt hat, hat jetzt natürlich keine Ahnung, was ich damit meine. Auf jeden Fall habe ich mit tippen und wischen den elfstündigen Flug überstanden. Dazwischen bin ich auch eine Weile eingedöst, was ich sonst eher selten fertig bringe.

Anflug in Sao Paulo, Brasilien

Anflug in Sao Paulo, Brasilien

Elf Stunden von Zürich, wo um diese Zeit kaum noch was los war und die Bye Bye Bar geschlossen wurde, bis Sao Paolo, wo wir am frühen Morgen aufsetzten. Ein riesiges Lichtermeer breitete sich unter mir aus. Lichter fast bis zum Horizont. Ob ich hier bleiben werde, fragt mich die junge Frau, die neben mir sitzt auf Englisch. Beim Einsteigen hatte sie mein Deutsch nicht verstanden, wollte offensichtlich kein Gespräch, da sie mit dem jungen Mann neben sich portugiesisch redete. Mir war das auch ganz recht, musste ich mich ja um meine Gartenzwerge kümmern. Doch jetzt, kurz vor Ankunft ergab sich doch noch eine kurze Konversation.

Ich beobachte das immer wieder, jetzt, wo keine Gefahr mehr besteht, dass man in ein stundenlanges Gespräch verwickelt werden könnte, aus dem man sich nur mit Mühe wieder lösen kann, jetzt werden noch rasch Pläne ausgetauscht.
„Nein, ich fliege weiter nach Asuncion, und sie, wohnen sie hier?“ „Fast, ich fahre noch gut drei Stunden weiter mit dem Bus. Ich fahre nach Hause, habe da einen siebenjährigen Sohn.“ Ja, sie freut sich, ihn nach langer Zeit in der Schweiz wieder zu sehen und wünscht mir eine gute Weiterreise.

Es ist kühl, in Sao Paulo, und es regnet. Die Uhr habe ich fünf Stunden zurück gedreht, mein Weiterflug geht ihn zwei Stunden. Also warte ich am Gate, profitiere vom Gratis-Internet und surfe ein wenig. Um einen Kaffee zu kaufen, fehlt mir das einheimische Geld. Ich werde zwar später nach Brasilien zurück kommen, doch jetzt mag ich mich mit den Reales noch nicht befassen.

Der Flug dauert gut zwei Stunden auch wenn da auf meinem Plan nur eine Stunde zwischen Abflug und Ankunft aufgeschrieben ist. Aber es gilt noch einmal die Zeit um eine Stunde zurück zu drehen. Dann endlich, wir setzen auf dem Flughafen von Asuncion auf. Passabfertigung, Gepäck abholen, Geld wechseln.

Ich bin plötzlich Millionärin. Die 300 Euros haben mir knapp 2 Millionen Guaranis eingebracht. Mal sehen, wie ich damit zurecht komme. Schon das Taxi zum Hotel kostet mich über 100'000.

Vor dem Flughafengebäude stehen die Taxifahrer. Zum Hotel Asuncion Palace sind es 20 Minuten. Der Taxifahrer macht mich auf einfach zusammengezimmerte Häuser am Strassenrand aufmerksam. Unterkünfte, die der Staat den Leuten zur Verfügung stellt, die wegen des Hochwassers nicht mehr unten am Fluss leben können.

Ich möchte wissen, wie viele Einwohner die Stadt hat. "Wenn man alle mitzählt, die hier leben oder arbeiten, werden es wohl gegen zwei Millionen sein", meint er, "etwa die Hälfte davon lebt hier."

„Was könnte man sich ansehen?“ will ich vom Fahrer wissen. „Oh, da gibt es einiges, die Bucht, an der wir grad vorbei fahren, den Präsidentenpalast dort drüben, oder die Handarbeiten, die hier ganz in der Nähe verkauft werden.“ Viel mehr kommt ihm aber nicht in den Sinn, wir haben inzwischen das Hotel erreicht. Ein alter kolonialer Bau mit Säulen an der Front. Altes Mauerwerk und klassisches Mobiliar. Sehr einfach, aber irgendwie nobel. Mein Zimmer ist bezugsbereit, das ist eigentlich das wichtigste, was mich im Moment interessiert.

Meine Batterien und die meines Handys sind ziemlich am Ende. Für’s Handy reicht die Steckdose, für mich ein zerdrücktes Schokoladenstängeli, das für solche Notfälle in der Handtasche liegt, das aber jetzt seinerseits erst ein paar Minuten im der Minibar braucht, bis ich es wieder in der Hand halten kann. Und ausserdem ist da ein breites Bett.

Später gehe ich hinaus auf die Dachterrasse, suche den Blick zum Fluss und entdecke die beiden Figuren, die von der Wand eines nahen Hochhauses grüssen. Riesige Gemälde. Eindrückliche Gesichter, die ernst über die Dächer der Stadt blicken.

Ich bin jetzt bereit, die Stadt zu entdecken, schlendere entlang der Strasse und bin schon bald bei den Verkaufsständen, von denen mir der Taxifahrer erzählt hat. Nein, kein richtiger Markt, unter den Arkaden eines imposanten Gebäudes werden Handarbeiten verkauft. Lederwaren, Schmuck, Kleider, Tischdecken. Ich habe keinen Bedarf, ich bin dabei, meinen Haushalt aufzulösen, es werden keine weiteren Sachen angehäuft.

Die Stadt hat einen versteckten Charme, der sich unter bröckelnden Fassaden versteckt und es ist nicht ganz einfach diesen zu entdecken.

Bald erreiche ich den Präsidentenpalast. Ich komme von der Rückseite, von der mir der Taxifahrer gesagt hat, dass ich sie ebenfalls ansehen soll. Das Gebäude hat zwei Seiten, meinte er, es lohnt sich, beide Seiten zu sehen. Eine schöne Gartenanlage, ein imposantes Gebäude aus dem 19. Jahrhundert. La Casa Lopez, vom Namen des ersten Präsidenten. Bei den Eingängen stehen Soldaten. Oder sie hocken auf Bänken und tippen auf ihren Smartphones. Ich fotografiere eine Gruppe, die da locker herumhängt und schlendere weiter. Doch sofort werde ich aufgehalten. Einer hat wohl von weitem gesehen, dass ich auf den Auslöser gedrückt habe.

Unter diesen Arkaden verkaufen Handwerker ihre Handarbeiten aus Leder, Textilien und anderen Materialien.

Unter diesen Arkaden verkaufen Handwerker ihre Handarbeiten aus Leder, Textilien und anderen Materialien.

Typische Trinkgefässe für Tarere

Typische Trinkgefässe für Tarere

unter den Souvenirs habe ich tatsächlich einen echten ausgestopften Hundekopf entdeckt - mich schauderts

unter den Souvenirs habe ich tatsächlich einen echten ausgestopften Hundekopf entdeckt - mich schauderts

Der Palast von der Wasserseite - aus einem ungünstigen Blickwinkel.

Der Palast von der Wasserseite - aus einem ungünstigen Blickwinkel.

Er stellt sich vor, streckt mir die Hand entgegen: „Buenas tardes Senora, zeigen sie mir bitte ihre Kamera.“ Es ist nur ein einziges unbedeutendes Foto, aber er will, dass ich es lösche. „Gracias“, er geht zurück auf die andere Strassenseite. Vorher hat er mir aber noch erklärt, dass ich nicht hier neben dem Palast Richtung Wasser gehen dürfe, sondern die nächste Querstrasse nehmen müsse. Mir auch recht, so komme ich nämlich zum ziemlich eindrücklichen modernen Nationalkongress.

Davor findet eine Demonstration statt. Ein paar Leute in orangen T-Shirts rufen Parolen. Beobachtet von Polizisten und Reportern mit Kameras und Mikrofonen. Ich zücke noch einmal meine Kamera, hier scheint es niemanden zu stören.

Vor zwei Jahren wurde das Parlamentsgebäude von Demonstranten angezündet.

Vor zwei Jahren wurde das Parlamentsgebäude von Demonstranten angezündet.

Von weitem sieht das Haus aus wie ein Schiff, dass da vor der Stadt kreuzt.

Von weitem sieht das Haus aus wie ein Schiff, dass da vor der Stadt kreuzt.

Weiter laufe ich zum Strand. Der Fluss ist hier so breit, dass er eine Bucht bildet, fast ein kleiner See. Am Ufer verläuft die vierspurige Hauptstrasse und es gibt riesige Parkanlagen. Das heisst trockener Rasen, gelegentlich ein Baum und jede Menge Ruhebänke, auf denen niemand sitzt. Überhaupt ist kaum jemand unterwegs. Ich überquere die Strasse und bin jetzt am Strand. Auch hier ist nichts los. Ein verlassener Churro-Karren. Ein paar einsame Getränkeverkäufer schlafen fast ein hinter ihren aufgestellten Thermoskrügen. Bei einem steht ein Schild und da entdecke ich zum ersten Mal das Nationalgetränk: Terere, die kühle Variante des argentinischen Mate, ein Kräutertee, der hier kalt getrunken wird. Werde bestimmt noch in den Genuss kommen.

Am Ufer steht ein Fischer und bringt sein Netz in Ordnung. Weiter vorn hockt einer und erwartet die Rückkehr des Motorbootes, das vorhin mit ein paar Leuten hinaus gefahren ist. Ob ich mitfahren möchte? Ein Bootsausflug, ja warum nicht, ich werde mich gern anschliessen, wenn er ein paar andere gefunden hat. Inzwischen sehe ich den beiden Mädchen zu, die ihre Flugdrachen in Form von Vögeln in den Himmel steigen lassen. Und den Tauben, die im Sand nach etwas Essbaren suchen.
Bald ist das Boot zurück und inzwischen hat sich eine Familie eingefunden, die mitfahren will. Drei junge Frauen und zwei Kinder. Der Mann bleibt am Ufer zurück, so dass ich Platz habe.

Wo ich herkomme, will man wissen, nachdem die ersten Selfies gemacht sind. „Aus der Schweiz!“ Staunt eine der Frauen, „da wo es keine Ladrones gibt.“ Ladron ist ein Dieb. „Ja und auch keine Korruption“, weiss die andere. Ich werde bestaunt, man freut sich, mich zu treffen. Und nachdem noch ein paar Fotos gemacht wurden, will man diese auch austauschen. Das geht am besten per Facebook und bald ist eine neue Freundschaft besiegelt. Mit Laura. Ihre Schwester Ana gibt mir die Visitenkarte ihres Vaters. Er ist Anwalt hier in Asuncion. „Falls du irgendwo Schwierigkeiten bekommst, ruf ihn an“. Ana ist Medizinerin, sie würde gerne eine Zeitlang in der Schweiz arbeiten.

kleine Mädchen lassen Vögel fliegen

kleine Mädchen lassen Vögel fliegen

kleine Prinzessin auf grosser Fahrt

kleine Prinzessin auf grosser Fahrt

„Chau, hasta luego“, die Daten sind ausgetauscht, die Familie schlendert weiter dem Strand entlang, während ich jetzt zurück in die Stadt will. Da es am Strand offensichtlich keine Restaurants gibt, werde ich mir ein gemütliches Beizlein in der Stadt suchen. Vor dem Parlamentsgebäude werden noch immer Parolen gerufen. Auch wenn es nur ein Dutzend Protestierende sind, so machen sie doch einen ziemlichen Lärm.

Bei einem Park, es ist der Park der Unabhänigkeit, finde ich ein Restaurant mit einem gedeckten Aussenbereich und weil ich inzwischen richtig Durst bekommen habe, bestelle ich ein Bier. Und bekomme eine ganze Flasche, die mitsamt dem eisgekühlten Glas in einem Eiskübel steckt. So wurde mir Bier noch nie serviert. Der alte Mann am Nebentisch schaut mich ganz erstaunt an. Und ich sehe, dass die zwei Männer ein paar Tische weiter, sich eine Flasche teilen. Scheint ziemlich exotisch zu sein, dass ich mir eine ganze Flasche bestellt habe. Eigentlich ist das auch für mich exotisch, denn ich hatte an ein Glas gedacht. Aber es ist warm, ich habe noch nicht viel getrunken, ich werde das schon schaffen.

Woher ich komme, will der alte Mann jetzt wissen. Aus der Schweiz. „Ah, vous parlez francais.“ Er freut sich offensichtlich. Dass ich lieber spanisch sprechen würde, ignoriert er eine ganze Weile und so radebrechen wir uns durch ein paar erste Sätze. Er interessiert sich für europäische Sprachen und Kulturen. Kennt sich mit der österreichisch-ungarischen Geschichte aus, denn sein Grossvater war Österreicher und seine Grossmutter eine Ungarin. Das war eine gute Zeit, meint er und kommt ohne Übergang zu Johannes Rau und erzählt von der Musik von Strauss. Nein, er ist noch nie von Paraguay weg gekommen, hat sein ganzes Leben in Asuncion verbracht. Aber er hatte eine Ranch irgendwo im heissen Chaco. Er hat sie noch immer, ist aber schon lange nicht mehr dort gewesen. Sie wird von Angestellten geführt. Rinder, früher hatte er Kühe und Milch, aber das wurde zu mühsam mit dem täglichen Melken. Wie viele Tiere er denn hat, will ich wissen. Er weiss es nicht ganz genau, aber etwas über Tausend werden es wohl sein.

Mit den Preisen muss ich mich noch auseinandersetzen. Zu viele Nullen dran.

Mit den Preisen muss ich mich noch auseinandersetzen. Zu viele Nullen dran.

Als ich meinen ungewöhnlichen Bier-Eiskübel fotografiere, wendet er sich ab, will offensichtlich auf kein Foto. Und dann verabschiedet er sich bald. Dafür kommt jetzt ein kleiner Junge an meinen Tisch. Ich habe ihn schon eine Weile beobachtet und gesehen, dass er bettelt.

„Warum machst du das, wofür bettelst du?“ „Für Essen, für mich und meine kleine Schwester.“ Er heisst Joaquin und ist elf Jahre alt. „Magst du dich zu mir setzen und eine Empanada mit mir essen?“ Ich habe mir eben eine dieser Teigtaschen bestellt, weil ich seit meiner Schokolade nichts mehr gegessen hatte. Ja er mag, und dazu einen frischen Orangensaft.

„Warum bettelst du?“ Er kann das nicht so richtig erzählen, sein Vater arbeite als Aufseher auf einem Parkplatz und seine Mutter ist zu Hause. Er sorgt für sich selber. Seine Kleider sind sauber. Ja, meint er, er gehe zur Schule, in die vierte Klasse, er sagt den Namen der Schule. Und er wohnt ein paar Häuser weiter, gleich um die Ecke. Welche Fächer er denn am liebsten hätte, will ich wissen, doch da kommt er ins Stocken. Schreiben, Lesen, Mathematik, helfe ich ihm auf die Sprünge. Ja, Lesen würde er gerne können. Aber das kannst du doch, in der vierten Klasse kann man doch lesen. Er druckst etwas herum, die Konversation kommt ins Stocken. Aber du kannst schreiben? Natürlich, er nickt. Ich lege ihm meinen Zettel hin auf dem ich soeben ein paar Notizen gemacht habe und bitte ihn, mir seinen Namen aufzuschreiben. Und vielleicht noch die Adresse, möchte ich nachfassen, doch ich sehe, dass er jetzt richtig verlegen wird. Er hält den Kugelschreiber in der Hand, überlegt. Wie anfangen? Ich ermuntere ihn, schreib ruhig da in die Mitte. Langsam entsteht ein J, dann ein U und dann ergänzt er sein grosses O mit einem Strich zum Q.

JUQ. Er scheint seinen Namen schon einmal gesehen zu haben, aber er kann ihn offensichtlich nicht schreiben. Du solltest mich nicht anlügen, ich glaube du gehst gar nicht in die Schule. Er druckst herum, befasst sich mit seiner Empanada. Am Hals hat er eine runde dunkle Stelle. Was ist das? Ich weiss, dass ich jetzt eindringlich werde, aber ich möchte gern mehr über den Jungen wissen.
Eine Verbrennung. Ja, das hat ihm jemand gemacht, jemand älterer, ein Mann. Dein Vater? Nein, nein, ein Mann. Was wollte der Mann von dir? Hast du noch mehr solcher Narben. Jetzt ist er endgültig in Bedrängnis, er kann nichts darüber sagen. Will nicht, will nicht privates einer unbekannten Frau erzählen. Ich kann ihn verstehen. Bitte ihn, seinen Saft zu trinken und lasse ihn dann gehen.
Es ist nichts so, wie es aussieht. Und es ist unglaublich schwierig, hinter die Fassaden zu blicken. Ein kleiner Junge, gut gekleidet, bettelt um ein paar Münzen. Und dahinter verbirgt sich eine Tragödie.

Ja, sagt die Serviertochter, die ich nach dem Jungen frage. Er bettelt hier oft. Aber er stielt nicht. Nie. Sie ist überzeugt, dass er zur Schule geht, aber als ich ihr zeige, wie er seinen Namen versucht hat zu schreiben, wird sie nachdenklich. „Meine Kleine konnte ihren Namen schon schreiben, bevor sie zur Schule ging. Ganz stolz hat sie ihn aufgeschrieben“.

Ich bin müde, meine Batterien entladen sich im Moment rasch. Vorne beim Fluss verabschiedet sich die Sonne mit einem prächtigen Farbenspiel. Ich kann den Himmel durch die Strassenschlucht sehen, doch bis ich dort bin, ist es dunkel. Die Dunkelheit übernimmt hier schnell das Zepter vom Tageslicht. Also steuere ich das Hotel an.

Auf dem Heimweg entdecke ich einen Schuhladen, mit dem Schild ‚Helvetia‘. Woher der Name? „Mein Grossvater war Italiener und hatte hier eine Schuhfabrikation. Seine Schwester hat einen Schweizer geheiratet und zusammen haben sie das Geschäft erweitert. Man hat einen Namen gesucht und der ist bis heute geblieben. Mit der Schweiz oder mit Italien haben die Schuhe nichts zu tun, aber es sind ausschliesslich Herrenschuhe von sehr guter Qualität. Und ich trage einen italienischen Namen: Juan José Migliore Monello.“

Auf dem Rückweg fallen mir die grossartigen Wandmalereien auf. Die ganze Strasse ist voll davon. Jetzt in der Dunkelheit ist es schwierig, sie mit der Kamera fest zu halten. Ich werde morgen noch einmal herkommen.

Im Hotel möchte ich eigentlich die Fotos sortieren und einen ersten Bericht schreiben. Doch der Anblick meines bequemen Bettes durchkreuzt meine Pläne. Innert Minuten muss ich eingeschlafen sein. Erst am frühen Morgen, als ich erwache, bin ich fit genug, mich mit administrativen Dingen zu befassen. Ich habe das dringende Bedürfnis, meine Erlebnisse aufzuschreiben, damit ich sie nicht vergesse. Inzwischen ist es draussen hell geworden, auf geht’s zu neuen Abenteuern.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eine unerwartete Einladung ist der Start zu einer ungeplanten Reise.
Details:
Aufbruch: 15.07.2019
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 12.08.2019
Reiseziele: Paraguay
Brasilien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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