Mit dem Zug nach Armenien und zurück

Reisezeit: August - Oktober 2019  |  von Caroline Gustke

7. Etappe: Armenien: Zu Pferd in die Highlands

Von Martuni aus in die Berge

Am Abend treffen wir in dem kleinen Ort Martuni am südlichen Ufer des Sewansees ein. Wir lernen Tigran kennen, unseren Guide, der uns für die nächsten Tage durch die Berge führen wird. Zum Abendessen gibt es Fisch, den er für uns aus dem See geangelt hat. Von 18 Pferden und Fohlen umgeben, campieren wir heute Nacht bei Regen und Gewitter auf einer Wiese.
Nachdem sich vormittags endlich die letzten Regenwolken verzogen haben, werden die Pferde gesattelt und wir brechen auf; mit sechs Reittieren, fünf Fohlen, von denen das jüngste mal gerade drei Monate alt ist, und Tigrans Hund Gash.

Konstantin

Konstantin

Hello

Hello

Badezimmer und Pferdetränke

Badezimmer und Pferdetränke

Happy Horses

Wir reiten ein Stück durch einen lichtdurchfluteten Wald, der vor 17 Jahren gepflanzt wurde, nachdem dem See ein Stück Land abgerungen worden war. Die Fohlen galoppieren voller Wonne um uns herum, spielen miteinander und freuen sich des Lebens. Es macht glücklich, ihnen zuzusehen und ihr herzergreifendes Babywiehern zu hören.
Wir lassen die Bäume nun für eine ganze Weile hinter uns und betreten die weite, karg bewachsene Berglandschaft. Im Frühling sollen die Berge sich hier in ein buntes Blumenmeer verwandeln. Jetzt ist alles grün und gelb. Und weit. Je höher wir reiten, meist querfeldein, desto grandioser wird der Ausblick auf den Sewansee.

Als wir am Abend mitten auf einem verabredeten Berg eintreffen, sind unsere Zelte bereits aufgebaut und der Duft des Abendessen weht uns entgegen. Vladimir und sein Neffe (der ebenfalls Tigran heißt; sehr typischer armenischer Name) sind mit dem Auto, unserem Gepäck und Nahrungsmitteln vorausgefahren und haben ganze Arbeit geleistet. Da komme ich mir fast ein wenig pauschaltouristisch vor; aber gutes Essen und leichtes Gepäck sind es wert. Wir versorgen die Pferde, richten unsere Zelte ein und speisen königlich, nachdem Vladimir zum wiederholten Male beteuert, dass wir uns in den Bergen auf kulinarischen Verzicht einstellen sollen. In Wirklichkeit hat er so gut eingekauft, dass wir hier oben vermutlich Wochen überleben könnten.
Später wird am Lagerfeuer etwad gesungen. Die Wölfe heulen nicht mit, denn die wurden zuvor mit einem Gewehrschuss abgeschreckt, damit sie auf Abstand zur Herde und v.a. zu den Fohlen bleiben.

Vladimirs Meisterküche.

Vladimirs Meisterküche.

Meistertellerwäscher.

Meistertellerwäscher.

Warrior Riders

In der Nacht gewittert es wieder. Hier oben ist es kälter und mein Schlafsack hält nicht so warm, wie er behauptet.
Wir starten die heutige Etappe im dichten Nebel einer Wolke. Wärme und Weitsicht wären zwar schön gewesen, doch so ist es irgendwie mystisch und auch wunderbar. Unsere Pferde tragen uns teilweise ziemlich steile Abhänge hinauf und hinunter und wir gelangen in schwindelerregende Höhen. Ich halte meine zwei vor der Reise absolvierten Reitstunden im Hinterkopf und fühle mich einfach wie als Kind auf meinen selbstgebauten und auf den erträumten Pferden. Da bin ich schließlich auch nie runtergefallen. So fühle ich mich echt sicher im Sattel und vertraue meinem ausgeglichenen und trittsicheren Pferdchen Máné. Mein goldener Tipp an alle Reitunerfahrenen: Hab Vertrauen und stell dir vor, du wärst ein berittener Held/eine Heldin deiner Wahl. Winnetou, Legolas, John Wayne, völlig egal. Dann kann gar nichts passieren.
Leider regnet es schließlich wieder und auch fast für den Rest des Tages. Zuerst singen wir, um uns abzulenken. Bella Ciao, Singing in the Rain, Pippi Langstrumpf... Gash hat am meisten Spaß; der kennt kein schlechtes Wetter und flitzt fröhlich neben uns her. Er hält nicht einmal etwas davon, in einem Vorzelt zu schlafen, sondern rollt sich abends lieber irgendwo auf freier Flur ein, wo er sein Herrchen und seine Herde gut bewachen kann.
Meine leichtgewichtige, maßgeschneiderte und ziemlich sexy aussehende Regenhose der edlen Outdoor-Marke Müllsack&Tape schützt nur bedingt vor der Nässe, die sich langsam aber stetig in meinen Wanderschuhen breit macht.
Aber ein Held beschwert sich auch nicht und so jagen wir streckenweise wie warrior riders im Galopp hoch oben über die Highlands durch das Gewitter, während der Schlamm unter den donnernden Pferdehufen nur so spritzt. Und das ist so grandios, dass mir die beißende Kälte und der Regen fast nichts mehr ausmachen. Außerdem sind die mit einem bisschen Leiden verbundenen Erlebnisse am Ende immer die besten und einprägsamsten Erinnerungen. Also genieße ich sie bereits jetzt so doll wie möglich. Es ist also (fast) alles eine Frage der Einstellung.

Immer schön heiter bleiben.

Immer schön heiter bleiben.

Schließlich erreichen wir ein Dorf, das aus einer Ansammlung primitiver Steinhäuschen mit Gras und Unkraut bewachsenen Wellblechdächern besteht. In manche Häuser sind alte Fahrzeugskelette eingebaut; ein bizarrer Anblick. Ansonsten erinnert mich die Szenerie (inklusive Wetter und Berge) an das Heimatdorf von William Wallace. Die meisten Hütten sind bereits verlassen, denn sie sind nur im Sommer bewohnt, von Menschen, die hier ihr Vieh weiden, von dessen Erträgen sie leben. Bevor der Winter die Hütten mit Schnee zudeckt, ziehen die Menschen mit ihren Tieren in ein anderes Dorf, unterhalb der Berge. Die "Sommerdörfer" haben nicht einmal Namen, habe ich gehört. Ich schätze, die BewohnerInnen werden sicher ihre Bezeichnungen zur Unterscheidung haben; nur ob sie auf Karten eingezeichnet sind, weiß ich nicht.
Tigran kennt hier flüchtig ein paar Leute, denn er kommt hin und wieder mit kleinen Reitergruppen durch dieses Dörfchen. Spontan läd uns ein sehr herzliches Paar in ihre bescheidene, einräumige Hütte ein, die von innen komplett mit Säcken verkleidet ist und von einem Ofen geheizt wird. Sie ist sehr spartanisch gebaut und eingerichtet, aber doch auf ihre Weise ganz ordentlich. An der Wand stehen Betten, Schränke und Regale und auch ein Tisch, der jetzt mit allerlei leckeren Dingen für uns beladen wird: köstlichem Brot, Käse, Honig und frisch gemachte, cremige Butter (ich hab noch nie so leckere Butter gegessen!). In langer Unterhose und geliehenen Schlappen sitzen wir nun dicht gedrängt um den Bollerofen und trinken starken Kaffee, während unsere Jacken, Schuhe und Socken vor sich hin dampfen und auf dem Ofen dicke Kartoffelscheiben mit grobem Salz geröstet werden. Wie an vielen Orten in der Welt freuen die Leute sich, wenn man viel isst - und es ist einfach köstlich! In Armenien gehört außerdem auch der Schnaps immer dazu, auf dem Land meist selbstgebrannter. Tatsächlich werde ich am Ende dieser Expedition wahrscheinlich so viel Vodka getrunken haben, wie in meinem ganzen Leben davor zusammen (ok, das ist nicht so viel, aber sicher realistisch). Es wird ständig auf irgendwas angestoßen. Aber da wir immer total vollgefuttert sind, halten sich die Auswirkungen in angemessenen Grenzen. Ich vermute, dass es dem sehr guten, gesunden und vielseitigen Essen und auch dem Alkohol, der von innen wärmt, zu verdanken ist, das niemand krank wird!

Shnorhakalutyun, friendly people!

Shnorhakalutyun, friendly people!

Tigran. Warrior Rider.

Tigran. Warrior Rider.

Nachdem bis auf das Innere unserer Schuhe fast alles getrocknet ist, verabschieden wir uns und setzen unseren Weg satt, zufrieden und wohlig angetrunken fort.
Noch ein Stück weiter oben in den Bergen stoßen wir auf ein weiteres, ebenfalls zum größten Teil verlassenes Dorf - an dessen Ende wir auf eine Gruppe von etwa zehn bis fünfzehn älterer Herren stoßen, die allesamt betrunken sind und sich riesig freuen, dass wir den Weg hier her gefunden haben. Sie grillen Fleisch und Kartoffeln und laden uns ein, an ihrer kleinen Party teilzunehmen, die einer der Männer ausgerichtet hat, der in diesem Dorf geboren ist, nun lange in Russland lebt und immer wieder hier her zurück kehrt, weil er sich mit diesem Ort sehr verbunden fühlt. Also ist er mit seinen Kumpels aus dem "Winterdorf" hier herauf gefahren, um das zu feiern. Uns wird immer wieder Essen und Alkohol angeboten, dabei sind wir bereits pappsatt. Als es bald wieder anfängt zu regnen, wird das Gelage in eine modrige Hütte verlegt, die kalt und wirklich alles andere als wohnlich ist und die Tür nach nebenan führt geradewegs in einen Kuhstall. Die Leute kommunizieren auf Armenisch und Russisch mit uns und ich bedaure, auf Übersetzung angewiesen zu sein, durch die ich erfahre, dass es fast immer darum geht, wie willkommen und zu Hause wir uns hier fühlen sollen. Wir werden eingeladen, im Dorf unser Nachtlager aufzuschlagen; es dämmert bereits. Mir bleibt nichts anderes übrig, als möglichst dankbar zu lächeln, Hände zu schütteln und spasiba, spasiba zu sagen. Gegen die Kälte trinke ich etwas heiße Fleischbrühe aus einem Plastikbecher, der später wahrscheinlich in einem Ofen landen wird - die Leute sind zufrieden. Auch wenn sie freundlich waren und dies eine ziemlich originelle Zusammenkunft war, bin ich erleichtert, als sie sich auf den Heimweg begeben, denn mit ist kalt und ich bin erschöpft. Man will uns eine der zwanzig (!) Vodkaflaschen da lassen, aber sie bleibt unauffindbar. Jemand soll Flaschen versteckt haben - eine weise Entscheidung, denn der Weg wird von Abgründen gesäumt und von Bächen gekreuzt...

Tigran und Konstantin kundschaften bei hereinbrechender Dunkelheit die Hütten aus und finden eine, in der einige von uns übernachten können, während unsere Guides es sich in der Nähe der Pferde bequem machen. Das ist doch mal fast ein Luxus zum Zelt im Regen. Es gibt sogar eine Art Plumpsklo hinter dem Haus, direkt neben den Ställen, deren Türschwellen für den Winter mit Kuhmist abgedichtet sind, damit kein Wasser hinein läuft. Unsere Hütte wurde sauber und ordentlich hinterlassen. Elektrisches Licht gibt es natürlich nicht, aber einen Tisch und ein paar mit einer Art Metallnetz bespannte Betten, auf denen wir unsere Isomatten und Schlafsäcke ausbreiten. Wunderbar!
Vor dem Schlafengehen besuchen wir zu dritt noch unsere einzigen Nachbarn; ein Ehepaar in den 70ern, das seit über 50 Jahren jeden Sommer hier ist und uns zu einer Tasse frisch gemolkener, heißer Milch einlädt. Dazu gibt es Lavash und weißen Käse. Es ist köstlich, vor allem hier und jetzt. Unsere Gastgeber reden nicht viel, freuen sich aber über die Abwechslung (und dass wir essen). Da leider nur Konstantin auf Russisch mit ihnen sprechen kann, hole ich meine Gitarre und wir singen im matten Schein der einzigen Öllampe ein paar Lieder für sie. Sie hören einfach zu und die alte Frau wirft zwischendurch ein paar getrocknete Kuhfladen in den Ofen.
Zum Abschied leihen sie uns noch ein paar Decken für die Nacht, denn unsere Hütte ist kalt. Ich friere auf meinem hängemattenartigen Bett trotzdem etwas, schlafe aber immerhin ein paar Stündchen. Der Frühstücksschaps wird mich schon wieder auf den Damm bringen...

Ein Gampr & Gash.

Ein Gampr & Gash.

It's party time!

It's party time!

Links im Bild: Unsere bescheidene Hütte für die Nacht.

Links im Bild: Unsere bescheidene Hütte für die Nacht.

Das Nachbarhaus, in dem wir freundlichst willkommen geheißen werden.

Das Nachbarhaus, in dem wir freundlichst willkommen geheißen werden.

Guten Morgen!

Guten Morgen!

© Caroline Gustke, 2019
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Fliegen kann jeder - Zugfahren auch. Der Klimawandel macht mir Angst und mein bisheriger CO2-Fußabdruck ist erschreckend. Daher steht für mich fest: Bis Fliegen nachhaltig geht, wird nicht mehr geflogen! Nun ist die Reise - Pferdetrekking durch den armenischen Westen - schon lange geplant und so gehe ich das Wagnis ein, die etwa 5000 km pro Weg per Zug zurückzulegen, quer durch Europa und darüber hinaus - als Konsequenz von Erkenntnis, als Klimastreik und Selbstversuch.
Details:
Aufbruch: 26.08.2019
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 07.10.2019
Reiseziele: Armenien
Deutschland
Rumänien
Türkei
Schweiz
Der Autor
 
Caroline Gustke berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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