Mit dem Zug nach Armenien und zurück

Reisezeit: August - Oktober 2019  |  von Caroline Gustke

8. Etappe: Akhalkalaki - Istanbul

Unerwarteter Empfang in Georgien

In einer kleinen, etwas baufälligen Kleinstadt mit Potential treffe ich Aregnaz. Vladimir hat den Kontakt per Facebook hergestellt, wenngleich er Aregnaz nie persönlich getroffen hat, aber sie arbeitet auch in der Tourismusbranche und hat mich per Chat zum richtigen Taxi gelotst. Ohne damit gerechnet zu haben, werde ich also in Akhalkalaki erwartet und in ein günstiges Hotel im Zentrum gebracht. Aregnaz freut sich riesig, mir helfen zu können, denn sie hat an der Uni Deutsch gelernt, aber keine Kontakte um es anzuwenden. Wir gehen zusammen Khinkali essen (sowas wie georgische Maultaschen) und ich bin richtig froh über die Gesellschaft. Sie berichtet mir, dass kaum Touristen in die Stadt kommen und sie daran arbeiten möchte, dies zu ändern und gleichzeitig etwas gegen die hohe Arbeitslosigkeit hier zu tun. Bisher fehlt es jedoch an touristischen Angeboten.

Khinkali essen mit Aregnaz, in Akhalkalaki.

Khinkali essen mit Aregnaz, in Akhalkalaki.

Abends mache ich allein einen Spaziergang durch das ruhige Städchen - und werde allerwegen angeguckt, als hätte ich zwei Nasen, denn ich falle hier deutlich auf. Eine Schlucht, durch die ein kleiner Fluss braust, teilt den Ort in zwei Hälften, die in luftiger Höhe durch eine beeindruckende Fußgängerbrücke verbunden sind. Hinter der Stadt taucht der Sonnenuntergang die Berge in ein rotgoldenes Licht. Auf der anderen Seite der Brücke liegt ein etwas sonderbarer Friedhof, den ich spontan besuche: Auf jedem Grabstein prangt ein eingraviertes Bild des oder der Verstorbenen, teilweise auch beidseitig. Die meisten Personen werden in eleganter Kleidung dargestellt; ich stoße aber auch auf die Abbildung eines Soldaten mit Maschinengewehr sowie eines Mannes, der stolz neben seinem Jeep steht. Die Verstorbenen als schattenhafte Bilder auf jedem Grabstein vor Augen zu haben, macht den Besuch des Friedhofs irgendwie persönlicher und auch tiefgründiger. Vielleicht wäre es eine gute Alternative zum mancherorts diskutieren QR-Code, der Informationen zum Verstorbenen bereitstellen soll?!

Straße in Akhalkalaki.

Straße in Akhalkalaki.

Friedhof in Akhalkalaki.

Friedhof in Akhalkalaki.

Grabstein, Rückseite.

Grabstein, Rückseite.

Interessante Entdeckung: Alter Frisörsalon in Akhalkalaki.

Interessante Entdeckung: Alter Frisörsalon in Akhalkalaki.

Mit dem Lada-Taxi nach Kars; zurück in die Türkei.

Am nächsten Morgen um sieben werde ich von Wowa abgeholt, mein Fahrer, der mich mit seinem alten Lada in die Türkei bringen wird. Die Fahrt über die Grenze bis nach Kars dauert knapp drei Stunden und ist somit weitaus schneller, als die Strecke über Batumi. Sie kostet mich umgerechnet etwa 37 Euro; bei weiteren Passagieren wäre der Preis sogar durch deren Anzahl geteilt worden, aber heute habe ich keine Mitfahrer und ich hätte auch nicht gewusst, wo ich die hätte auftreiben sollen. Nur ein Kumpel von Wowa fährt mit, um ihm vor allem auf der Rückfahrt Gesellschaft zu leisten. Bis auf eine handvoll Wörter spricht keiner von beiden Englisch - dafür können sie aber Armenisch, Russisch, Georgisch und etwas Türkisch - und somit vier (!) unterschiedliche Alphabete.

Cows crossing...

Cows crossing...

Dawei, Taksi!

Dawei, Taksi!

Noch einmal Kars

In Kars kann ich meinen Rucksack bei der Bahnhofssecurity abgeben und dann mit leichem Gepäck den Tag in der Stadt verbringen, die mir heute irgendwie freundlicher erscheint, denn auf den Straßen ist viel los und - anders als an dem Morgen vor ein paar Wochen - sind diesmal auch jede Menge Frauen unterwegs. Es ist der 20. September; Tag des globalen Klimastreiks - leider nicht in Kars.
Immer wieder werde ich gefragt, wo ich herkomme, kriege dann oft etwas von den wunderbaren deutschen Autos erzählt und nutze selbst die Gelegenenheiten, den Leuten kurz zu erläutern, warum ich meine lange Reise mit dem Zug bestreite und nicht mit dem Flugzeug. Die meisten Reaktionen sind eine Mischung aus Interesse und Erstaunen; auf alle Fälle sind ihnen meine Bemerkungen völlig neu, was wahrscheinlich u.a. daran liegt, dass sich hier die wenigsten eine Flugreise leisten können; das Thema ist einfach nicht relevant. Hier macht sich also die europäische Perspektive auf die Klimakrise bemerkbar sowie die Größe und unterschiedliche Verlagerung des Ursachenspektrums. Nun gut, ein Thema lebt davon, dass es diskutiert wird. Die meisten finden hier am erstaunlichsten, dass ich allein unterwegs bin, gerade als Frau.

Türkische bzw. osmanische Herrscher bis Atatürk.

Türkische bzw. osmanische Herrscher bis Atatürk.

Ein Markt, auf dem man so manches wundersames Ding aufstöbern kann (wie z.B. einen Melonenball).

Ein Markt, auf dem man so manches wundersames Ding aufstöbern kann (wie z.B. einen Melonenball).

Back at the moving hotel...

Back at the moving hotel...

Auf der Schiene gen Westen

Als Dankeschön für die Inobhutnahme meines schweren Rucksacks bringe ich der Bahnhofssecurity eine Schachtel des göttlichen Bakhlavas mit und spiele ihnen auf Nachfrage natürlich auch gerne ein Lied auf der Gitarre vor. Unter bewaffneter Security am späten Abend gute Laune zu verbreiten, ist immer eine gute Idee, glaube ich.
Um Mitternacht rollt schließlich mein Zug gen Westen. Noch einmal komme ich in den bescheidenen Genuss einer eigenen Kabine mit fließendem Wasser und dem Panoramafenster zu meinen Füßen; ein gemütlicher kleiner Rückzugsort für die nächsten 31 Stunden. Was kann es Schöneres geben, als im sanft ratternden Geschaukel des Zuges am Morgen von der Sonne wachgeküsst und von den Bergen begrüßt zu werden?!

Morgendlicher Ausblick...

Morgendlicher Ausblick...

Wieder auf der Schiene unterwegs

Auf der Strecke bis Ankara werden zwei zwei- bis dreistündige Stopps eingelegt: In Divriği und Sivas werden wichtige historische Gebäude besichtigt; leider mit türkischen Erläuterungen, die mir zwar bruchstückhaft von anderen Passagieren übersetzt werden, mit denen ich aber nur wenig anfangen kann, weil mir der historische Kontext fehlt. Zumindest bekomme ich einen klitzekleinen Eindruck von den Orten und begegne einigen sehr freundlichen Leuten, wie zum Beispiel dem super netten Paar aus Istanbul, von denen ich erfahre, wie es sich dort als Angehörige der Zeugen Jehovas lebt. Da fällt mir nebenbei auf, dass ich zwar eine vage Vorstellung von Zeugen Jehovas hatte, aber noch nie wirklich mit einem gesprochen habe. Außerdem lerne ich im Bistro des Zuges einen jungen türkischen Soldaten kennen - auch mit einem türkischen Soldaten habe ich meines Wissens nach noch nie ein Wort gewechselt. Per Google-Übersetzer entwickelt sich eine interessante, ziemlich kontroverse Unterhaltung, in der er mir stolz Fotos in Uniform und mit Abzeichen und Kalaschnikov zeigt und mir von seinem Stolz aufs Vaterland berichtet. Seine patriotische Haltung wundert mich kaum, denn seine einzige Auslandserfahrung hat er im Krieg im Irak gesammelt. Obwohl Welten zwischen uns liegen, zeigt er sich ziemlich fasziniert von mir und versucht mich mit einem Video zu beeindrucken, in dem er mit seinen Kollegen gerade auf einem Berg eine türkische Flagge hisst, nachdem sie dort Terroristen bekämpft hätten. Auf eine Art beeindruckt mich das tatsächlich... Immerhin lerne ich durch ihn die türkische Version von Bella Ciao kennen und wir machen im Bordbistro ein wenig Musik. Die Leute freuen sich und eine ältere türkische Dame, die mit ihrer in Wuppertal lebenden Schwester unterwegs ist, bringt uns einen großen Teller selbstgebackener Kekse vorbei. Mittlerweile kann ich resümieren: Langstreckenzüge sind wirklich eine Erlebniswelt für sich und man trifft Menschen, denen man sonst wahrscheinlich kaum begegnen würde, und schon gar nicht allen auf einmal. Alle sind kontaktfreudig und freundlich zueinander und im Zug hat jeder den gleichen Fahrgaststatus. Die unplanbaren Erlebnisse, mit Menschen, machen das Reisen mit dem Zug so interessant, individuell und unvergesslich. Jede Strecke ist anders und auf ihre Weise toll. Man muss sich nur drauf einlassen.

Many meetings...

Many meetings...

Highspeed und 1. Klasse nach Istanbul

In Ankara habe ich großes Glück, den allerletzten Platz im Highspeedzug zu ergattern, weil in der Businesclass jemand kurzfristig abgesprungen ist. Ich bin total erleichtert, dass ich direkt nach Istanbul weiterfahren kann und zahle zu meinem Interrailticket mit Wonne 3 Euro Aufpreis für die 1. Klasse. Für den Highspeedzug gibt es ein Boarding und ein inklusives Catering wie im Flugzeug.
Die vielen Plastikverpackungen sind natürlich ein Minuspunkt in Sachen Umweltfreundlichkeit und ich krame flux meine eigene Tasse hervor...

© Caroline Gustke, 2019
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Fliegen kann jeder - Zugfahren auch. Der Klimawandel macht mir Angst und mein bisheriger CO2-Fußabdruck ist erschreckend. Daher steht für mich fest: Bis Fliegen nachhaltig geht, wird nicht mehr geflogen! Nun ist die Reise - Pferdetrekking durch den armenischen Westen - schon lange geplant und so gehe ich das Wagnis ein, die etwa 5000 km pro Weg per Zug zurückzulegen, quer durch Europa und darüber hinaus - als Konsequenz von Erkenntnis, als Klimastreik und Selbstversuch.
Details:
Aufbruch: 26.08.2019
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 07.10.2019
Reiseziele: Armenien
Deutschland
Rumänien
Türkei
Schweiz
Der Autor
 
Caroline Gustke berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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