Mit dem Zug nach Armenien und zurück

Reisezeit: August - Oktober 2019  |  von Caroline Gustke

10. Etappe: Istanbul - Bukarest / Grenzen

Diese Nacht stapeln wir uns zu viert mit Gepäck im Abteil, das ich mir mit Hannes, Yannis und Moritz aus Dresden teile, die gerade Abi gemacht haben, mit dem Zug bis in den Iran gefahren und nun auf dem Rückweg sind. Respekt!
Von ihnen erfahre ich, dass ihnen die Schulzeit an der sagenumwobenen und oftmals belächelten Waldorfschule echt Spaß gemacht hat (!) und sie vieles von dem, was sie dort gelernt haben, im Leben auch anwenden können (!). Für ihr Alter haben sie erstaunlich deutliche Lebensziele vor Augen (!) - Moritz hat sich vorgenommen, später Bundeskanzler zu werden. Gut, dass unser altbackenes Regelschulsystem endlich im Umbruch ist, auch wenn bisher kaum öffentlich darüber diskutiert wird (siehe Internet: "Schulen im Aufbruch"). Die Welt braucht mehr solcher weltoffenen, neugierigen und ambitionierten Jugendlichen!

Was mir auf dieser Reise immer wieder einen Schauer bereitet, sind die kalten, finsteren Grenzübergänge, an die hier nach wie vor so fest geglaubt wird und wo Menschen sortiert, gescannt, beurteilt und ausgesiebt werden. Jedes Mal beschleicht mich ein leiser Gedanke, ob ich vielleicht irgendetwas an mir haben könnte, das ich als selbstverständlich betrachte, das mich hier aber als 'illegal' kategorisieren könnte. Natürlich komme ich mit meinem Pass meist ohne zusätzliche Fragen rüber, aber allein vom unfreundlichen Blick der Grenzbeamten fühle ich mich nicht gerade willkommen. Doch ich weiß: Sie repräsentieren nicht das Land... Umso mehr weiß ich die inneren Grenzen Europas zu schätzen, über die man einfach rüber spazieren kann, eventuell sogar ohne es zu bemerken - weil Menschen da nicht mit Stacheldraht voneinander getrennt werden; weil es dort keine Soldaten gibt; weil man sich frei bewegen kann... Diese menschenfreundliche Eigenschaft muss auf langfristige Sicht weiter und weiter ausgedehnt werden! Und das wird sie, da bin ich sicher.

"As man advances in civilisation, and small tribes are united into larger communities, the simplest reason would tell each individual that he ought to extend his social instincts and compassion to all the members of the same nation, though personally unknown to him. 
This point being once reached, there is only an artificial barrier to prevent his compassion extending to the men of all nations and races.
If, indeed, such men are separated from him by great differences in appearance or habits, experience unfortunately shows us how long it is before we look at them as our fellow-creatures.
Compassion beyond the confines of man, that is humanity to the lower animals, seems to be one of the latest moral acquisitions.
This virtue, one of the noblest with which man is endowed, seems to arise incidentally from our compassions becoming more tender and more widely diffused, until they are extended to all sentient beings.
As soon as this virtue is honoured and practised by some few men, it spreads through instruction and example to the young, and eventually through public opinion."
Charles Darwin, 1871

"As man advances in civilisation, and small tribes are united into larger communities, the simplest reason would tell each individual that he ought to extend his social instincts and compassion to all the members of the same nation, though personally unknown to him.

This point being once reached, there is only an artificial barrier to prevent his compassion extending to the men of all nations and races.

If, indeed, such men are separated from him by great differences in appearance or habits, experience unfortunately shows us how long it is before we look at them as our fellow-creatures.

Compassion beyond the confines of man, that is humanity to the lower animals, seems to be one of the latest moral acquisitions.

This virtue, one of the noblest with which man is endowed, seems to arise incidentally from our compassions becoming more tender and more widely diffused, until they are extended to all sentient beings.

As soon as this virtue is honoured and practised by some few men, it spreads through instruction and example to the young, and eventually through public opinion."

Charles Darwin, 1871

Nicht die körperlich Stärksten bilden die Krönung der Schöpfung, sondern jene, die sich am besten an neue Begebenheiten anpassen und mit anderen zusammen arbeiten. Die Welt wächst unübersehbar immer weiter zusammen; Globalisierung lässt sich nicht rückgängig machen. Und die Klimakrise ist wohl gerade der größte gemeinsame 'common threat'. Mögen wir ihn als Chance nutzen.

Nicht die körperlich Stärksten bilden die Krönung der Schöpfung, sondern jene, die sich am besten an neue Begebenheiten anpassen und mit anderen zusammen arbeiten. Die Welt wächst unübersehbar immer weiter zusammen; Globalisierung lässt sich nicht rückgängig machen. Und die Klimakrise ist wohl gerade der größte gemeinsame 'common threat'. Mögen wir ihn als Chance nutzen.

Sobald wir die Grenze nach Bulgarien passieren, wird die Gegend immer grüner; am Morgen fahren wir durch einen endlosen Wald, aus dem gigantische graue Felsen senkrecht hervorragen. Wenn ich über längere Zeit keinen Wald und keine sattgrünen Wiesen um mich habe, fühlt sich meine Seele irgendwann beinahe genauso karg an wie die trockenen Langschaften, die ich teilweise durchquere. Wer vom Meer kommt oder aus der Wüste oder sich einfach in einer bestimmten Gegend besonders verwurzelt fühlt, der weiß sicher was ich meine.
Die Fahrt nach Bukarest dauert lange; für meine Schreiberei und das mentale Verarbeiten meiner Erlebnisse kommen mir die vielen Stunden im Zug aber stets sehr gelegen; ansonsten gibt es immer interessante Gesprächspartner*innen und natürlich das abwechslungsreiche Panoramafenster! Mein Buch habe ich völlig umsonst mitgeschleppt; ich habe einfach keine Zeit zum Lesen.

Nach einer Nacht und einem Tag in der Bahn erreichen wir Bukarest. Morgen Mittag fahre ich schon weiter und gerade habe ich kein besonderes Interesse, mir die Stadt noch genauer anzuschauen.
Ich genieße es, mich hier schon "auszukennen" und ohne Karte den Weg zum selben Hostel zu finden, in dem ich bereits auf der Hinfahrt übernachtet habe.
Erwähnenswert finde ich hier die Begegnung mit der Belgierin Jul: Sie hat schon die halbe Welt gesehen, ist mittlerweile 65 Jahre alt und nach wie vor leidenschaftlich gern allein und mit dem Rucksack unterwegs. Demnächst wird sie für vier Monate Ostasien erkunden. Mir haben schon häufig Leute gesagt, dass sie auch so in die Welt ziehen würden, wäre sie noch einmal so alt wie ich - denn im Alter reise "man" nicht mehr so und brauche mehr Komfort und Sicherheit. Jul sagt, das Wichtigste sei, sich seine Offenheit und Neugierde zu bewahren. Sie reise meistens mit dem Bus und schlafe in Hostels. Das habe sie immer so gemacht, sie sei es so gewohnt - warum solle das auf einmal anders sein, nur weil sie ein bestimmtes Alter erreiche? Natürlich werden die Lebensjahre sich eines Tages bemerkbar machen und Veränderungen fordern, doch solange sie körperlich fit ist, werde sie das so beibehalten. Also: Nur keine falschen Glaubenssätze einreden lassen.

© Caroline Gustke, 2019
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Fliegen kann jeder - Zugfahren auch. Der Klimawandel macht mir Angst und mein bisheriger CO2-Fußabdruck ist erschreckend. Daher steht für mich fest: Bis Fliegen nachhaltig geht, wird nicht mehr geflogen! Nun ist die Reise - Pferdetrekking durch den armenischen Westen - schon lange geplant und so gehe ich das Wagnis ein, die etwa 5000 km pro Weg per Zug zurückzulegen, quer durch Europa und darüber hinaus - als Konsequenz von Erkenntnis, als Klimastreik und Selbstversuch.
Details:
Aufbruch: 26.08.2019
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 07.10.2019
Reiseziele: Armenien
Deutschland
Rumänien
Türkei
Schweiz
Der Autor
 
Caroline Gustke berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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