Mit dem Zug nach Armenien und zurück
9. Etappe: Istanbul - noch einmal 1001 Nacht...
Im warmen Herzen der 15-Millionen-Metropole
Noch einmal steuere ich Istanbul an, diesmal von Osten. Ich freue mich sehr, diese malerische Stadt wieder zu sehen.
Mittlerweile habe ich hier sogar ein richtiges Netzwerk an Kontakten, was vor allem an der außerordentlichen Gastfreundschaft der Menschen liegt.
Am - öhöhm - Söğütlüçeşme-Bahnhof bin ich mit Hande verabredet, die ich aus dem Zug von Ankara nach Kars kenne. Über Mittag spazieren wir durch Märkte und kleine Lädchen durch den Bezirk Kadiköy und auf einer sonnigen Terrasse direkt am Bosporus schlürfen wir türkischen Kaffee. Es ist so schön, die Zeit hier mit jemandem zu teilen.
Hande verabschiedet sich schließlich, weil sie noch etwas vor hat; aber sie hat mir eine Übernachtungsmöglichkeit bei einer Freundin organisiert. Da ich dort erst abends hin kann, verstaue ich mein Mordsgepäck am historischen Sirkeci-Bahnhof im Schließfach und ziehe etwas durch die Gassen - genauso begeistert wie letztes Mal, von den vielen Details, die es zu sehen gibt. Bald komme ich mit dem Verkäufer an einem Gewürzstand ins Gespräch, der vor vier Jahren aus Syrien geflüchtet ist. Abdullah. Er läd mich auf ein paar Tees (die sind hier ja so klein) in (nicht) seinen kleinen Laden ein und erzählt mir von Aleppo, vom Heimweh und den hiesigen Herausforderungen - und freut sich, dass mal jemand zuhört.
Nach vielleicht anderthalb Stunden verabschiede ich mich, laufe noch etwas herum und mit einem Rucksack, der mir über den Kopf hinaus wächst, einer Gitarre und einer weiteren kleinen Tasche steige schließlich müde in Metro und Bus, die mich in den Stadtteil Avcilar bringen. Das ist ziemlich weit und die Öffis sind proppevoll. Ich habe mir Umsteige- und Zielort in die Handfläche geschrieben, die ich Leuten unter die Nase halte, die mich dann stets freundlich und hilfsbereit in die richtige Richtung leiten oder mir auf die Schulter tippen, wenn ich aussteigen muss.
Und so geht es weiter: Ich werde von Yağmur und Özkan in Empfang genommen, sie mich herzlichst für zwei Nächten in ihrem Wohnzimmer beherrbergen und mir als allererstes ein tolles Abendessen servieren. Yağmur freut sich, ihr gebrochenes Englisch anwenden zu können und Özkan greift auf Dr. Google zurück. Sie kümmern sich herzlich, auf dass es mir an nichts fehlen möge.
Beide arbeiten am nächsten Tag und so fahre ich nach dem Frühstück allein wieder ins Zentrum. Wobei, eigentlich ist es das Gegenteil von 'allein', denn mit Glück ergattere ich den letzten Stehplatz im stickigen, aus allen Nähten platzenden Doppeldeckerbus. Trotz der Umstände ist die einstündige Fahrt im überaus heterogenen Gedränge doch irgendwie interessant, denn stellt sie im übertragenen Sinne doch eine ideale Gesellschaft dar: Wenn alle dicht zusammen stehen, Frauen (mit und ohne Burka), Männer, Kinder, Arme, Wohlhabendere, Einheimische und Fremde..., dann kann auch bei turbulenter Fahrt niemand umfallen. Die Luft kann zum schneiden dick sein, darum sollten Fenster und Türen regelmäßig geöffnet werden, um frischen Wind herein zu lassen. Leute sind willkommen, aus- und einzusteigen, denn wir wollen alle irgendwo hin und in beiden Fällen sind wir auf Hilfe angewiesen. Wer das Gleichgewicht verliert, bekommt eine Hand gereicht; wer sich nicht auskennt, erhält Information oder Geleit; wer schwer zu tragen hat, dem wird geholfen; wer nicht genug Geld auf seiner Fahrkarte hat, der bekommt selbstverständlich von jemand anders eine Fahrt spendiert. Manche kommen von weit her, andere reisen in die Ferne. Manche fahren kurze, andere lange Strecken; die einen fahren nach Hause, die anderen verlassen es. Es spielt keine Rolle. Und wer stets seinen Humor behält, verliert nicht den Verstand. Und das spielt eine Rolle. Ist doch spannend, so eine Busfahrt...
Riesiger lieber Hund am Taksim-Platz; noch einer, den ich am liebsten mit nach Hause genommen hätte.
Am Taksim-Platz bin ich mit Ben verabredet, den ich auf der Fahrt nach Istanbul im Zug kennengelernt habe. Er hat einige Wochen auf Zypern in einer Vogelschutzorganisation gearbeitet, wo er Singvögel aus den illegalen Lebendfallen perfider Wilderer gerettet und Artikel für Vogelschutzkampagen geschrieben hat (wer Interesse am Thema hat, findet hier einen guten Überblick, mit einem lieben Gruß von Ben: https://www.birdlife.org/worldwide/news/tackling-illegal-trapping-cyprus). Auch er befindet sich auf dem Rückweg und so kreuzen sich unsere Wege ein zweites Mal. Er fährt noch am selben Abend weiter nach Sofia, aber bis dahin durchstreifen wir zusammen etliche Winkel der Altstadt: Von Taksim aus spazieren wir an kleinen Lädchen, Saftbuden, historisch anmutenden Gebäuden und etlichen Straßenmusikanten vorbei hinunter zur Galata-Brücke, wo hundert Angler ihre Schnüre in den Bosporus halten; wo die weißen Möwen kreischen und es nach frischem Fisch riecht...
Kapalı Çarşı: Zum Tee bei George Clooney
Menschliches Stadtgedränge kann anstrengend sein, gerade wenn man von einer einsamen walisischen Insel stammt oder aber aus einem Ort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Doch heute macht das nichts; zu viel lenkt davon ab, wie der Duft von gegrillten Maiskolben und Maronen, das rhytmische Showgeklapper schnurrbärtiger Eisverkäufer, die Vielfalt der Dinge, die sich vor und über den kleinen Geschäften auftürmen, welche die belebten Straßen säumen, die Berge von süßem Bakhlava in den Glastheken und Schaufenstern und die vielen bunten Katzen, die es sich allerwegen bequem machen. Um das Ganze nicht absolut zu romantisieren, müssen an dieser Stelle allerdings auch die vielen bettelnden Kinder erwähnt werden, die am Straßenrand sitzen oder um Restaurantgäste herum streunen und versuchen, päckchenweise Papiertaschentücher zu verkaufen. Dies ist ein wahrlich trauriger Anblick, der das schöne Stadtbild trübt!
Durch die Marktgassen, in denen vor allem Kleidung und gefälschte Markentaschen angeboten werden, bahnen wir uns einen Weg hinauf bis zum Kapalı Çarşı, dem Großen Basar aus dem 15. Jahrhundert, mitten im Herzen der Altstadt - meinem Lieblingsort, an dem ich mich gar nicht satt sehen kann! Ben ist zum ersten Mal hier und ihm geht es genauso. Der von einem alten, bunt bemalten Gewölbe überdachte Markt erstreckt sich laut Recherche auf über 31.000 Quadratmetern Fläche und beherrbergt rund 4000 winziger Geschäfte. Den schönen bunten Dingen folgend irren wir entzückt von der ganzen Pracht der Gewürze, Blumentees, in Pistazien gewälzten Süßigkeiten, matt leuchtenden Mosaiklampen, handbemalten Keramiken und gold schimmernden Schmuckgeschäften durch die Gänge bis wir schließlich von einem Teppichhändler hereingebeten werden, der sich als George Clooney vorstellt, weil er ein kleines bisschen so aussieht, und uns auf einen Apfeltee sowie einen türkischen Nachtisch einlädt. Es sei okay, wenn wir nichts kaufen; er wolle sich nur gerne etwas unterhalten, weil er sonst zu viel rauche. Wir sitzen also über eine Stunde auf Hockern zwischen den wunderschönen handgemachten und bis unter die Decke gestapelten Teppichen und erfahren alles mögliche über den Teppichhandel, den Niedergang des aktuellen Regimes, den Besuch Bill Clintons und später George Bushs auf dem Basar, über seine eigene weltoffene Einstellung und sein Vertauen in gutes Karma. Es ist eine sehr originelle Begegnung, die wir noch lange in positiver Erinnerung behalten werden.
Die emissionsfreien fliegenden Teppiche sind leider gerade ausverkauft und so schlendern wir schließlich zu Fuß weiter, über die belebten Plätze der Blauen Moschee und der beeindruckenden Ayasofya; der riesigen verwinkelten Kirche, später Moschee, jetzt Museum, die mit ihrer großen Kuppel und den orangenen Fassaden majestätisch in der Abendsonne leuchtet. Was für eine Stadt! Ben fährt schließlich weiter; ich bleibe noch ein bisschen.
Am nächsten Tag treffe ich noch einmal Elif. Wir laufen über das von Security kontrollierte Unigelände hinunter zum Bosporusufer, besuchen das edle Sakıp Sabancı Museum, in dem wir uns die Kunst- und Kalligraphiesammlung des 2004 verstorbenen Großunternehmers und Philantrophen Sabancı ansehen, und fahren zum Abendessen zusammen zu Yağmur. Diese wartet nicht nur mit gefüllten Weinblättern auf uns, sondern ist auch gerade dabei, mir ein üppiges Überlebenspaket für die Fahrt zusammenzustellen, das neben Nahrung auch Socken, ein kleines Handtuch und weitere Andenken enthält. Ich soll sie nicht vergessen und unbedingt wiederkommen. Obendrein besteht sie darauf, uns noch um die Ecke zum Künefe essen einzuladen (mit Teigfäden, Butterschmalz und Sirup überbackener Mozzarella - zum Niederknien!).
Mit Winken werde ich schließlich von drei Leuten am Bahnsteig verabschiedet, die sich mit ihrer herzlichen Gastfreundschaft und der gemeisam verbrachten Zeit unvergesslich gemacht haben - und (neben anderen Menschen, denen ich begegnet bin) meinen Eindruck von der Türkei wesentlich prägen. Dieses neue Bild ist um Welten besser als das, was uns in den Medien vermittelt wird. Erdoğan ist mir übrigens kein einziges Mal über den Weg gelaufen. Dafür viele, viele andere, denen ich sehr dankbar bin, weil sie mir gezeigt haben, dass die Welt doch immer noch genauso gut und schön ist, wie ich sie vor der Reise in vager Erinnerung hatte.
Aufbruch: | 26.08.2019 |
Dauer: | 6 Wochen |
Heimkehr: | 07.10.2019 |
Deutschland
Rumänien
Türkei
Schweiz