Mit dem Zug nach Armenien und zurück

Reisezeit: August - Oktober 2019  |  von Caroline Gustke

7. Etappe: Armenien: Pferdetrekking um den Vulkan Armaghan

Der schwarze Hengst im Nebel.

Der schwarze Hengst im Nebel.

Black Beauty

Auch der neue Tag beginnt regnerisch. Im dichten Nebel brechen wir schließlich auf, noch höher hinauf in die Berge, auf über 3000 Meter. Eine Herausforderung ist der herren- und herdenlose pechschwarze junge Hengst, der uns schon gestern Abend im Dorf begegnet ist und großes Interesse an unseren Stuten zeigt, die wiederum ihre Fohlen verteidigen wollen. Er folgt uns mehrere Kilometer sehr aufmerksam, zieht im stolzen Galopp über die Hänge an uns vorbei und lässt sich nicht abschütteln, auch nicht von Gash, der ihm hinterher rennt und kläfft, weil er genau weiß, wer zur Herde gehört und wer nicht. Black Beauty macht so manches Pferd samt Reiter unserer kleinen Gruppe nervös. Tigran jagt indes auf seinem temperamentvollen Schimmel die steilen Hänge hoch und runter, hinter dem Hengst her, um ihm den Weg abzuschneiden und Distanz zwischen ihn und die Herde zu bringen. Ich verlasse mich auf mein Selbstvertrauen und auf Máné und finde das Ganze ziemlich späktakulär. Nach einer Weile geht der Plan auf, der Hengst bleibt zurück und es geht ruhig weiter. Eine ähnlich verlaufende Begegnung haben wir am Nachmittag mit ein paar Gamprn, den beeindruckend großen armenischen Hütehunden.
In einer Wolke, aber bei weitestgehend trockenem Wetter machen wir auf dem Pass ein kleines Picknick. Die bergige Weite, die sich vor uns erstreckt, ist unglaublich und darauf zu zu reiten, fühlt sich fast an wie Fliegen und ich strahle, wie die Sonne!

Pause für Mensch und Tier.

Pause für Mensch und Tier.

Glück ist, wenn man trotzdem lacht: Wer braucht schon Sonnenschein, wenn er auf dem Pferd durch die Berge fliegen kann?!

Glück ist, wenn man trotzdem lacht: Wer braucht schon Sonnenschein, wenn er auf dem Pferd durch die Berge fliegen kann?!

Am Abend erreichen wir mitten in einer weiten Graslandschaft ein winziges, an einem kleinen See gelegenes Dorf mit teilweise zusammengebrochenen Farmhäusern. Ein paar alte Frauen treiben mit einem Stock eine Gruppe Schafe oder Kühe vor sich her; am Wegesrand stehen ein paar sich unterhaltener Leute und ringsherum erstreckt sich die raue, gelbe Weite. Unser Guide hat an diesem Ort Verwandte, die hier ein sehr einfaches, bäuerliches Leben führen.
Wir werden nicht nur in die zweiräumige Hütte zum Essen eingeladen, sondern auch dazu, im Nebenzimmer zu übernachten. Zu der Einladung sage ich nach mehreren sehr kalten und teils schlaflosen Nächten nicht nein, denn es gibt einen Ofen!! Arman, einer der Eigentümer träumt davon, eines Tages ein Bed&Breakfast hier zu eröffnen, um regelmäßig Touristen beherrbergen zu können. Die Menschen lieben dieses Wort, "Touristen". Und seine alte Mutter würde das auch freuen. Sie zählt die deutschen Wörter auf, an die sie sich aus ihrer Schulzeit erinnert, eins, zwei, drei, Mutter, Vater etc., und nimmt mich an die Hand, um mich in die Küche zu führen, denn ich muss gewiss hungrig sein.
Nach einem üppigen Abendessen in relativ großer Runde und selbstverständlich etlichen Toasts auf das Leben, die Gesundheit, die Familie, die bestandenen Herausforderungen des Tages und das Wetter wird sogar noch gesungen - ich muss ein russisches Lied lernen, das geht so nicht weiter!

Ich schlafe in dem mit Pappe ausgekleideten und im matten gelben Öllampenlicht höhlenartig erscheinenden "Dormitory", umgeben von lauter schnarchenden Kerlen, die sich zum Einschlafen auf Armenisch Witze erzählen, die mir teilweise übersetzt werden, damit ich mitlachen kann. Mitten in der Nacht wache ich in meinem Metallhängebett auf - weil es durch den Ofen, in dem die ganze Nacht lang das Feuer lodert und knackt, viel zu warm ist und die Männer miteinander reden. Ich sehe, wie Arman sein Gewehr schultert und das Haus verlässt; ach so, der will nur die Wölfe vertreiben gehen, alles ganz normal. Vielleicht weil Konstantin und ich dauernd Bella Ciao singen, fällt mit in dem Augenblick eben dieses Lied ein. Ich fühle mich, wie in einer spannenden Geschichte. Es ist alles sehr faszinierend (und im Übrigen fühle ich mich sehr sicher hier, falls sich das gerade jemand fragt).

Allabendliches geselliges Beisammensein.

Allabendliches geselliges Beisammensein.

Ritt auf den Vulkan

Expeditionstag Nr. 5. Ein Expeditionsteilnehmer verlässt uns heute. Er ist vorgestern im Dorf bei einer Bachüberquerung an einer Wäscheleine hängen geblieben und vom Pferd gefallen. Er hat nur kleine Blessuren davongetragen, aber das Erlebnis sowie die darauf folgende Begegnung mit dem wilden Hengst hat seinem Vertrauen in sich und sein Pferd leider den Garaus gemacht, sodass er den Ritt nicht mehr genießen kann. Er kehrt nach Yerevan zurück, wo wir ihn fünf Tage später wieder treffen werden.
Zu fünft machen wir daher heute eine Tagestour auf den Mount Armaghan, einem erloschenen Vulkan, auf dessen Kraterrand - in einer Wolke - eine sagenumwobene Kapelle sowie einige alte verwitterte Chatschkaren stehen.
Im Krater liegt ein kleiner klarer See, zunächst im mystischen Nebel, der sich jedoch zwischendurch lichtet, während wir picknicken. Unterhalb der Bergspitze ist das Wetter schön; neben Adlern und einem Fuchs sehen wir einige Wolfshöhlen, die jedoch zu dieser Jahreszeit unbewohnt sind. Es gebe nicht sehr viele Wölfe hier, aber einen stabilen Bestand. Tigran erzählt, dass Schäfer vor einigen Jahren mal einen ganzen Wurf Wolfswelpen getötet haben und das Wolfsrudel sich anschließend gerächt hat, indem es mehrere Dutzend Schafe auf einen Schlag gerissen hat. Es gibt in Armenien keinerlei staatliche Ausgleichszahlungen, wenn so etwas passiert. Seit dem wird jedenfalls von derart drastischen Maßnahmen abgesehen und die Herden werden eben so gut wie möglich bewacht.

Wer sieht hier ein Boot?

Wer sieht hier ein Boot?

Kapelle auf dem Kraterrand des Mount Armaghan.

Kapelle auf dem Kraterrand des Mount Armaghan.

Alte Chatschkaren auf dem Mount Armaghan.

Alte Chatschkaren auf dem Mount Armaghan.

Nur kurze Augenblicke geben die Wolken die Sicht auf den Kratersee frei.

Nur kurze Augenblicke geben die Wolken die Sicht auf den Kratersee frei.

Als wir wieder aufsatteln, kommt auch schon die nächste Wolke - und ermöglicht diese mystische Stimmung.

Als wir wieder aufsatteln, kommt auch schon die nächste Wolke - und ermöglicht diese mystische Stimmung.

Tieridylle und Knochensuppe

Der nächste Tag ist das Ende der ersten Etappe. Bevor wir nach Gomk aufbrechen, was einige Stunden von hier entfernt liegt, bekommen wir erst einmal ein opulentes Frühstück serviert: Neben einer Geburtstagstorte für Christine servieren uns die Einheimischen khash, einst ein Armeleuteessen, das aufgrund seiner Nahrhaftigkeit heute als angesehene Delikatesse gilt. Es wird aus dem Innern von Schweinepfoten zubereitet, die 12 Stunden lang gekocht werden. Die Suppe ist fett und sehr kalorienreich und wird mit einer ordentlichen Portion frisch gehackter Knoblauchscheiben und getunkten Lavashstückchen gegessen. Sie serviert zu bekommen bedeutet eine große Ehre. Die Leute freuen sich, dass wir sie essen und stoßen mit uns fröhlich auf ein langes Leben an.
Wir verbringen den gemütlichen Vormittag damit, Hundewelpen durch die Gegend zu schlüren, mit den DorfbewohnerInnen zu interagieren (ich wünschte, ich könnte ihre Sprache verstehen...), die Pferde zu striegeln und mit den Fohlen zu schmusen. Um die Ecke gibt es außerdem ein Fohlen, das mal gerade einige Tage alt ist. Und ja, es ist so idyllisch, wie es klingt!

Black Mountain und Abschiede

Nachdem die Zelte abgebaut sind, machen wir einen letzten Ausflug in dieser Gegend. Wir reiten auf den Black Mountain, auf dem einige altertümliche, zunächst ganz unscheinbare, von bunten Flechten bewachsene Steine liegen, auf denen astromische Pictogramme eingemeißelt sind. Sie sind uralt, man weiß nicht sehr viel über ihre Hintergründe und es gibt davon zehntausende in den Bergen.
Leider regnet es schon wieder, der Wind betäubt alle Gliedmaßen und diesmal macht es keinen Spaß, denn wir müssen Abschied nehmen, von Tigran und den freundlichen Pferden, die uns tagelang so brav durch die Gegend getragen haben und die wir am Ende des Ritts gefühlt mitten im Nirgendwo einigen dorthin bestellten Jungs übergeben, die sie nach Martuni zurück reiten. Völlig durchnässt sitzen wir schließlich im beheizten Bulli in Richtung Gomk.
Trotzdem: Life is good.

Astronomische Pictogramme auf dem Black Mountain.

Astronomische Pictogramme auf dem Black Mountain.

© Caroline Gustke, 2019
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Fliegen kann jeder - Zugfahren auch. Der Klimawandel macht mir Angst und mein bisheriger CO2-Fußabdruck ist erschreckend. Daher steht für mich fest: Bis Fliegen nachhaltig geht, wird nicht mehr geflogen! Nun ist die Reise - Pferdetrekking durch den armenischen Westen - schon lange geplant und so gehe ich das Wagnis ein, die etwa 5000 km pro Weg per Zug zurückzulegen, quer durch Europa und darüber hinaus - als Konsequenz von Erkenntnis, als Klimastreik und Selbstversuch.
Details:
Aufbruch: 26.08.2019
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 07.10.2019
Reiseziele: Armenien
Deutschland
Rumänien
Türkei
Schweiz
Der Autor
 
Caroline Gustke berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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