Mit dem Zug nach Armenien und zurück
7. Etappe: Armenien
Armenien Teil 1: Yerevan
Ich bin am eigentlichen Reiseziel angelangt und schlafe die ersten zwei Nächte auf der Couch von der supernetten Naira, deren Kontakt mir ein vielreisender Freund von daheim vermittelt hat (danke Dominik!!). Sie führt mich am Abend etwas durch Yerevan, Armeniens Hauptstadt. Als Landei bin ich von der Größe, der Hektik und dem Lärm der Stadt wie immer etwas überwältigt, aber mit Naira fühle ich mich gut aufgehoben und sie zeigt mir einige nette Ecken, die ich teilweise alleine nie gefunden hätte. So zum Beispiel das kleine rustikale Dörfchen auf einem Hügel mitten in der Stadt, in dem die Leute in alten Steingebäuden leben, an denen der Zahn der Zeit erbarmungslos nagt und in die die dort Wohnenden leider nicht investieren, weil sie befürchten, eventuell demnächst von dort verscheucht zu werden, weil der Ort nicht ins Stadtbild passt. Allgemein ist es schade, viele alte Häuser der Stadt beim Verfall zuzuschauen, während allerwegen riesige moderne Gebäude aus dem Boden gestampft werden. Obwohl Yerevan eine uralte Stadt ist, ist das älteste Gebäude in der Innenstadt kaum zweihundert Jahre alt. Dennoch hat der Stadtkern durch seine Fassaden aus verschiedenen beige-, violett- und rotschattiertem Vulkangestein ein individuelles Flair.
Unterwegs in Yerevans "Dorf" Kond, entlang der Häuser aus vorsowietischer Zeit. Um die Ecke liegt übrigens eine relativ monumentale Gedenkstätte von jemandem von der Mafia, der dort vor Jahren zu Tode gekommen ist und wo die Angehörigen sich nun zum Grillen treffen können. Solche Stätten gibt es in Armenien einige.
Am darauf folgendem Tag besuche ich alleine das Genozidmuseum, das auf einem Berg über der Stadt trohnt. 2016 hat der deutsche Bundestag parteiübergreifend den Völkermord an den Armeniern offiziell anerkannt, was einen Konflikt mit der Türkei ausgelöst hat, die prompt ihren Botschaftler aus Deutschland abzog...
Zumindest ist mir seitdem bekannt, dass diese Tragödie stattgefunden hat. Nun weiß ich, dass die Osmanen mit den Armeniern um 1915 und auch in Pogromen davor genauso schlimm verfahren sind, wie die Nazis mit den Juden, wenn auch nicht auf derartig "industriell" organisierte Art (weshalb der Vergleich von der israelischen Regierung abgelehnt wird). Die Vernichtung geschah unter den Augen von Generälen und Diplomaten u.a. westeuropäischer Länder, die es vorzogen, nicht einzuschreiten bzw. die Osmanen zu unterstützen. Tatsächlich nahmen die Nazis den Genozid an den Armeniern als Vorbild für den Holocaust an den Juden. In der Ausstellung habe ich immer wieder das Gefühl, alles schon mal gesehen zu haben. Die Gedenkstätte erinnert mit ihrem kalten, düsteren Basalt und Granit an Yad Vashem in Jerusalem und die gleichen ohnmächtigen Fragen nach dem Wie und dem Warum wirbeln mir durch den Kopf.
Es gibt einen kleinen Park, in dem reihenweise Nadelbäume in unterschiedlichen Größen stehen und wo die aufgewühlten Gedanken der darin Wandelnden von atmosphärischer Musik begleitet werden. Gepflanzt wurden und werden die Bäume von PolitikerInnen, die hier auf Staatsbesuch kommen sowie von verschiedensten internationalen Friedens- und Menschenrechtsorganisationen, religiösen Vereinigungen und Kirchenrepräsentanten.
Gedenkstätte des Genozids an den Armeniern. Die 44 Meter in den Himmel empor ragende Säule symbolisiert die Wiederauferstehung des armenischen Volkes.
Im ausliegenden Gästebuch des Museums lese ich immer wieder sowas wie: "Ich hoffe, dass nie wieder jemand so etwas schreckliches erleben muss...". Beeindruckend. Als würden Menschen heute anders miteinander umgehen. Es passiert immer noch, genau jetzt. Aber anderswo. Wo wir lieber nicht so genau hinsehen...
Ich schreibe mein Lieblingszitat rein, das mir bei allen möglichen Gelegenheiten in den Sinn kommt:
"We've got to find a way to melt the ice in people's hearts. Only if we find a way to melt the ice in people's hearts, people will have the chance to use their knowledge wisely." (Angaangaq)
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Wer sich weiter informieren möchte, kann mal hier nachsehen:
"Aghet" - Dokumentarfilm über den Genozid (auf deutsch)
Armin Wegner, deutscher Fotograf des armenischen Genozid
Aurora Mardiganian, Widerstand
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Am dritten Tag in Yerevan treffe ich schließlich meine kleine Gruppe, mit der ich die nächsten 10 Tage vor allem zu Pferd in den Armenischen Highlands verbringen werde. Wir sind vier Teilnehmende plus Konstantin, einem alten Freund von mir, der sich vor zwei Jahren mit fernwind.de selbstständig gemacht hat und seine armenischen KollegInnen dabei unterstützen möchte, einen nachhaltigen, respektvollen Tourismus in Armenien zu etablieren.
Nach der Scoutingtour im letzten Jahr findet nun die erste "richtige" Tour in diesem Land statt; da weitere Kandidaten aus Krankheitsgründen kurzfristig abgesprungen sind, in überschaubarer Gruppengröße.
Hinzu kommt Vladimir, unser einheimischer Guide, der uns die ganze Tour über begleiten wird. Dieser führt uns zunächst zu verschiedensten Sehenswürdigkeiten Yerevans und in Restaurants exquisiter armenischer Küche, an der es uns auf dieser Reise nicht mangeln wird.
Altes armenisches Handwerk: Die kunstvolle Herstellung der hier typischen Kreuz-/Gedächtnissteine (Chatschkaren), von denen ich später noch etwas genauer berichten werde.
Noch ein Kunsthandwerk, das übrigens Unesco-Weltkulturerbe ist: Die Herstellung von Lavash, dem dünnen armenischen Fladenbrot, in das man allerlei leckere Sachen einrollen kann... Aus deutscher Perspektive kann ich sagen: Armenien hat eine tolle Brotkultur! (Weil wir im Ausland unser Brot oft vermissen...)
Die erste Nacht der Expedition verbringen wir in einem ziemlich luxuriösen Hotel. Solch edle Unterkünfte bin ich ja überhaupt nicht gewohnt und meine persönliche low-budget-backpacker-Prägung erzeugt sowohl ein Gefühl von Ehrfurcht als auch eine Wahrnehmung unnötiger Dekadenz. Während der Expedition, die am nächsten Tag startet, werden wir uns so manches Mal bescheiden nach der ein oder anderen Annehmlichkeit sehnen...
Aufbruch: | 26.08.2019 |
Dauer: | 6 Wochen |
Heimkehr: | 07.10.2019 |
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