Mit dem Zug nach Armenien und zurück

Reisezeit: August - Oktober 2019  |  von Caroline Gustke

Klimabilanz

Mit der Bahn auf den Spuren der Hippies

Dieser Trip war nicht nur eine Urlaubsreise, sondern auch eine Art Protestfahrt. Leider habe ich es unterwegs nicht geschafft, an einer der großen Klimademos teilzunehmen, die in der Zeit stattgefunden haben. Dafür habe ich geflugstreikt. Klar hält mich der ein oder andere für etwas verrückt, aber das ist schon okay. Ich bin da weder alleine, noch machen wir Flugstreikenden etwas grundlegend Neues. Wusstet ihr z.B., dass das Interrailticket bereits 1972 eingeführt wurde und im Zeitgeist der 68er-Bewegung entstanden ist?! Damals war die Idee, jungen Leuten eine günstige Möglichkeit zu bieten, Europa mit dem Rucksack kennenzulernen. Mittlerweile sind die verschiedenen Varianten des Interrailtickets für alle Altersgruppen erhältlich. Aus dem Stegreif fällt mir allerdings niemand aus meinem Bekanntenkreis ein, der schon mal damit unterwegs war, was vermutlich daran liegt, dass die Fliegerei als modernes, erschwingliches und zeitsparendes Verkehrsmittel derart etabliert ist, dass es genau zu unserem schnelllebigen Alltag passt. Hinsichtlich der vielen Leute, die ich inspirieren konnte, die Bahn dem Flieger vorzuziehen, erhoffe ich mir, in nicht allzu langer Zeit eher als Pionierin der Rückbesinnung auf die Bahn zu gelten denn als extravagant. Das Thema Klima hat sich in den letzten Monaten so dermaßen in der öffentlichen Diskussion festgesetzt, dass es so schnell nicht mehr weggehen wird. Der aktuelle Prozess des Umdenkens hat gerade erst begonnen und darum gehe ich davon aus, dass die Nachfrage bei der Bahn rapide zunehmen und Angebote sowie Infrastruktur ausgebaut werden! Das wäre eine sehr feine Sache und passiert hoffentlich in Bälde.

Der Mensch und das Klima

Allgemeines:

Das klimaerträgliches Jahresbudget an CO2-Emissionen eines Menschen beträgt 2,3 Tonnen (laut atmosfair.de).
Der Wert ist natürlich an die Weltbevölkerungsanzahl gebunden.
Diese liegt 2019 bei über 7,7 Milliarden Menschen.
Zum Vergleich:
2010: 6,9 Milliarden
2000: 6,1 Milliarden
1990: 5,2 Milliarden (da bin ich dazu gekommen)
1960: 3 Milliarden (als Mama 1 Jahr alt war)
1935: 2,1 Milliarden (da ist meine Oma geboren)
1900: 1,7 Milliarden (7 Jahre später erfand der Belgier Leo Hendrik Baekeland das Bakelit/Plastik)
(Ende 18. Jh.: Industrielle Revolution in England; ab Mitte des 19. Jh. in Deutschland)
* Quelle: statista.com

Das o.g. klimaerträgliche Pro-Kopf-Jahresbudget wird in Zukunft also dementsprechend sinken.

Im Jahr 2016 verursachen die Deutschen pro Kopf 8,88 Tonnen CO2-Emissionen. Deutschland nimmt damit Platz 11 in der Weltrangliste ein. Bisher ist die Tendenz weltweit steigend.
* Quelle: statista.com

Die Weltbevölkerung ist im Vergleich zum Alter der Erde also explosionsartig gewachsen und sie wächst weiter.
Die immensen, natur-, klima- und menschenfeindlichen Eingriffe des Menschen in das Ökosystem Erde sind seit langem bekannt.

Fakt ist, so können wir nicht weitermachen. Wir müssen Verantwortung über unser Zuhause übernehmen oder uns auf katastrophale Zustände gefasst machen. Da wir alle auf dem selben Planeten hocken, darf sich jede*r angesprochen fühlen, insbesondere jene, die in Industrienationen leben. Eine*r alleine kann die Welt nicht retten, viele gemeinsam aber schon und jede*r fängt bei sich selbst an.

*

Mein Reisefußabdruck

...Darum bin ich mit dem Zug nach Armenien gefahren und habe unterwegs schön dazu beigetragen, unsere Luft zu verpesten! Das tut mir sehr Leid (aber... s.u.)! Tatsächlich lässt sich mein Fußabdruck sogar ungefähr berechnen:

Meine zurückgelegte Strecke insgesamt:
Bahn: 10.273 km
Taxi: 240 km
Minibus: 120 km

Ja, ich könnte einen Kompensationsbetrag bezahlen*, aber die Emissionen habe ich trotzdem verschuldet und mit meiner Ablasszahlung wird mein verursachtes CO2 wohl kaum umgehend wieder aus der Atmosphäre gefiltert, geschweige denn wird das verbrauchte Erdöl zurück in den Boden gepumpt. Vermeiden ist als weitaus besser!
*  Habe ich sogar: Ich habe zum "Einheitsbuddeln" drei Bäume gespendet.

Ja, ich könnte einen Kompensationsbetrag bezahlen*, aber die Emissionen habe ich trotzdem verschuldet und mit meiner Ablasszahlung wird mein verursachtes CO2 wohl kaum umgehend wieder aus der Atmosphäre gefiltert, geschweige denn wird das verbrauchte Erdöl zurück in den Boden gepumpt. Vermeiden ist als weitaus besser!
* Habe ich sogar: Ich habe zum "Einheitsbuddeln" drei Bäume gespendet.

Hier sind die Ergebnisse meiner Werte von unterschiedlichen Webseiten im Vergleich:

Wie ihr seht, spucken unterschiedliche Seiten teilweise erheblich verschiedene Ergebnisse aus. Das liegt daran, dass die Emissionen unterschiedlich kalkuliert werden: Manche berechnen die Reise ab der Zapfsäule, andere rechnen die Emissionen von Treibstoffgewinnung, Reifenabrieb sowie Bau und Instandhaltung der Infrastruktur mit ein.
Dass die Verkehrsmittel unterschiedlich alt sind und je nach Art und Land unterschiedliche Treibstoffe verwenden, von Ökostrom bis Diesel, macht die Berechnung noch schwieriger. Hinzu kommt die unterschiedliche Auslastung der Verkehrsmittel: Ein überfüllter ICE ist natürlich bei weitem klimafreundlicher als ein halbleerer Zug (also fahrt mehr Bahn, dass sich das auch lohnt!).

Trotzdem wird bei allen Ergebnissen deutlich, dass die Reise mit der Bahn erheblich weniger CO2-Emissionen produziert, als die Reise per Flugzeug, nämlich durchschnittlich knapp 83 %!

Wie viele Emissionen könnten wir also alleine durch den Umstieg auf die Bahn einsparen?! Klar, um an das „klimaerträgliche“ Pro-Kopf-Budget (2,3 t) zu erreichen, müssen wir auch an vielen anderen Ecken umsatteln, aber wie ihr seht, sind die Emissionen der Fliegerei nicht unerheblich. Wäre ich die Strecke geflogen, hätte ich schon weit mehr als die Hälfte des okay-Wertes verbraucht.

*

Sollten wir nicht lieber ganz zu Hause bleiben?

Am meisten CO2 würden wir natürlich sparen, wenn wir einfach zu Hause blieben oder nur noch Fahrrad fahren würden. Allerdings glaube ich, dass es weder möglich noch weise wäre, nun komplett aufs Reisen zu verzichten. Aber wenn das Bewusstsein für Umwelt und Klima steigt und wir alle unseren Fußabdruck verbessern, dann ist das ein Gewinn, der uns weiter bringen wird als jegliche Verbote.

Dafür müssen wir nicht in die Vergangenheit zurück schreiten. Wir müssen das verbessern, was wir haben und unser Wissen und unsere Möglichkeiten bedacht einsetzen. Nur weil ich fliegen (und es mir leisten) kann, heißt es nicht automatisch, dass es gut ist. Ja, Entwicklung und Fortschritt verlaufen oft langsam. Aber wir sind alle Teil des Ganzen und jede*r trägt irgendwo seinen/ihren Teil dazu bei. Greta ist eines der besten Beispiele. Ich freue mich auf emissionsfreie Flugzeuge – und emissionsfreie Züge natürlich auch! Ich glaube, je höher Druck und Nachfrage, desto schneller wird der Nah- und Fernverkehr sich verändern und anpassen (und hoffentlich auch erschwinglicher werden)!
Es ist also sowohl eine Frage der Politik als auch des Willens der Bevölkerung!

*

„Ich habe aber nicht so viele Urlaubstage...“

Zeit ist definitiv ein Faktor beim Langstreckenreisen mit der Bahn! Armenien war mein Ziel bevor ich wusste, dass ich mit dem Zug hinfahren würde, sonst hätte ich meinen Urlaub wohl mehr in der Nähe verbracht. Europa hat so viel zu bieten! Aber selbst Istanbul erreicht man von Norddeutschland aus in 2,5 Tagen; von Österreich aus sogar in 1,5. Wenn man bereits den Weg als Ziel betrachtet, ist das auch überhaupt kein Zeitverlust! Klar ist es etwas anderes, am Strand zu sitzen anstatt im Zug, aber ich habe die Reise derart genossen, die werde ich nie vergessen, den Strand wohl schon!
Und ist es denn wirklich notwendig, den jährlichen Familienurlaub mal eben im Hotel in Ägypten zu verbringen? Für manche mag das zum Lebensstil gehören, für mich ist es – gerade im Angesicht der Klimakrise - unnötig, vor allem wenn es Millionen großartiger Alternativen gibt.

Lange Rede, kurzer Sinn: Probiert es einfach mal aus und macht eine entschleunigende Bahnreise!

*

So, das war's von mir! Danke an alle, die bis hier hin mitgelesen haben; ich hoffe, ich konnte in einigen das Bahnreisefieber entfachen!
Alles Gute!
Caro

*

Links

https://klimaohnegrenzen.de/kompensieren/detaillierte-co2-bilanz#bahn-berechnen
https://www.carbonfootprint.com/calculator.aspx
https://uba.co2-rechner.de/de_DE/mobility#panel-calc
https://www.quarks.de/umwelt/klimawandel/co2-rechner-fuer-auto-flugzeug-und-co/

Und schaut doch mal bei Fernwind vorbei; kann sein, dass wir uns dann auf der ein oder anderen Reise mal begegnen!
https://fernwind.de/expeditionen/

Nimm nur Erinnerungen mit, hinterlasse nichts außer Fußspuren. - Chief Seattle

Nimm nur Erinnerungen mit, hinterlasse nichts außer Fußspuren. - Chief Seattle

© Caroline Gustke, 2019
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Fliegen kann jeder - Zugfahren auch. Der Klimawandel macht mir Angst und mein bisheriger CO2-Fußabdruck ist erschreckend. Daher steht für mich fest: Bis Fliegen nachhaltig geht, wird nicht mehr geflogen! Nun ist die Reise - Pferdetrekking durch den armenischen Westen - schon lange geplant und so gehe ich das Wagnis ein, die etwa 5000 km pro Weg per Zug zurückzulegen, quer durch Europa und darüber hinaus - als Konsequenz von Erkenntnis, als Klimastreik und Selbstversuch.
Details:
Aufbruch: 26.08.2019
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 07.10.2019
Reiseziele: Armenien
Deutschland
Rumänien
Türkei
Schweiz
Der Autor
 
Caroline Gustke berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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