Mit dem Zug nach Armenien und zurück

Reisezeit: August - Oktober 2019  |  von Caroline Gustke

5. Etappe: Kars - Batumi

Stadt, Land, Fluss...

In Kars treffen wir gegen ein Uhr morgens ein. Netterweise werde ich von meinem Couchsurfing-Host und dessen Freund, der Polizist und eigentlich gerade im Dienst ist, abgeholt. Schließlich sitzen wir in der zugequalmten WG-Küche, trinken noch eine Weile Tee und führen mithilfe von Google Translate Unterhaltungen in Zeitlupe, denn bis auf ein paar Wörter spricht niemand Englisch. Furkan, mein Host, beherrbergt ständig internationale Gäste, die gegebenenfalls alle nebeneinander auf dem Teppich schlafen.
Dilaver, der Polizist, erzählt, seine Schwester wohne in Berlin und berate die Kanzlerin zu Fragen rund um die türkischen Einwohner des Landes. So sei er mal dazu gekommen, auf einen Kaffee in Merkels Büro mit dabei zu sein.

Couchsurfing in Kars.

Couchsurfing in Kars.

Atatürk.

Atatürk.

Frühstück.

Frühstück.

Bei Tageslicht sehe ich am Morgen noch die ein oder andere Ecke von Kars. Die Gegend gefällt mir nicht, denn alles wirkt irgendwie lieblos, heruntergekommen und schmuddelig. Die ganze Gegend hat einst zu Armenien gehört und es gibt diverse historische Ruinen, von denen ich allerdings nichts zu sehen bekomme, weil ich weiterfahren muss, um meinen Zug in Batumi rechtzeitig zu erreichen. Da ich gerade eh keine besondere Lust auf Sightseeing habe, ich Banausin, finde ich das auch nicht weiter tragisch.
Der olle Busbahnhof vermittelt noch mal einen richtig schäbigen letzten Eindruck: Die Busse sind alt und der Asphalt voller Schlaglöcher; ist gibt jede Menge streunernde Hunde und es liegt viel Müll herum. Es sind fast nur Männer dort zu sehen, die Älteren alle im Jackett. Am Busbahnhof hängt außerdem eine Gruppe (vermutlich ziemlich perspektivloser) junger afghanischer Geflüchteter herum, für die Furkan kein freundliches Wort übrig hat - kennen tut er von ihnen natürlich keinen. Mir tun die Afghanen Leid; leider bietet sich nicht so richtig die Gelegenheit, ein Gespräch mit ihnen zu beginnen, was ich im Nachhinein sehr schade finde.
Jedenfalls freue ich mich jetzt so richtig auf mein nächstes Ziel: Batumi, Georgien.

Rinderherden kurz hinter Kars.

Rinderherden kurz hinter Kars.

Beeindruckende Weite ringsherum.

Beeindruckende Weite ringsherum.

Eins der vereinzelten kleinen Bergdörfer.

Eins der vereinzelten kleinen Bergdörfer.

Die Reise dauert fast den ganzen Tag und ist eine Höllenfahrt, denn die Fahrer des Minibüs/Bullis sind rasant unterwegs und teilweise bin ich ziemlich beunruhigt.
Einmal raus aus Kars, führt der Weg zunächst über lange Highways; zu sehen ist eine unglaubliche, hügelige Weite. Große Rinderherden weiden auf den ansonsten spärlich bewachsenen Erhebungen, teilweise auch Ziegen und Schafe. Am blauen Himmel ziehen Adler majestätisch ihre Kreise.
Immer wieder tauchen in der Einöde kleine, ärmliche Dörfchen auf. Schönheit und Hässlichkeit offenbaren sich in dieser Gegend zu gleicher Zeit. Es ist Erntezeit und gerade wird das Heu eingefahren. Ich sehe Pferde und Gänse, spielende Kinder und arbeitende Menschen. Die Arbeit an diesen harschen, abgelegenen Orten muss unglaublich hart sein. Die Tiere laufen frei herum und zwischendurch muss der Bus erst mal eine Kuh die Straße passieren lassen. Allerwegen lässt der in der Natur herumliegende Unraut darauf schließen, dass es hier kein Recycling gibt. Auch einen toten Hund und eine halbverweste Kuh sehe ich am Straßenrand liegen. Und dann sind da die schier endlosen Wiesen und gelben Stoppelfelder, auf denen die großen Viehherden umherziehen.
Die Berge werden trockener und die Täler fruchtbarer. Wunderschön heben sich die verschiedenen Rot- und Beigetöne der Felsen und das satte Grün der Vegetation vom blauen Sommerhimmel ab.

Es ist faszinierend zu beobachten, wie sich die Landschaft mit den Kilometern verändert.

Es ist faszinierend zu beobachten, wie sich die Landschaft mit den Kilometern verändert.

Lost places...

Lost places...

Je höher sich die kurvenreichen Bergstraßen empor schlängeln, desto rauer, höher und kahler werden die Berge. Etwa die zweite Hälfte des Weges führt am Fluss Çoruh entlang, der kurz vor der Stadt Artvin aufgestaut ist.
Durch den Damm wurden einst einige Dörfer flussaufwärts unter Wasser gesetzt; unterwegs sehe ich die Spitze eines Minaretts mitten aus dem klaren blauen Wasser des Flusses schauen. Weiße Ränder an den Felsen zeugen davon, dass das Wasser früher mindestens 10-15 Meter höher gestanden haben muss. Immer wieder tauchen auch kleine Ansammlungen verlasser und verfallener kleiner Häuser aus Lehmziegeln auf. Dort, wo die noch besiedelten Orte auf einem schmalen Grad zwischen Bergen und Fluss eingeklemmt sind, hängen Seilwinden, mit denen Personen und Lasten über den Fluss gezogen werden.
Wer lebt an solchen Orten? Ich schätze, wenn man hier geboren und aufgewachsen ist, braucht man diese Umgebung und die Einsamkeit, weil sie
Alltag und Mentalität der Menschen stark prägen und tief in die Seele und die Lebensweise eingeschrieben sein müssen.

Mein Bus ist nur mäßig gefüllt und es gibt nur wenige Orte, an denen jemand aus- oder zusteigt. Zusteigende Frauen werden meist von ihrer halben Familie an der Haltestelle verabschiedet.
Ich überlege, ob das womöglich Demonstrationszwecken dient, denn wie ich feststelle, zeigen viele Männer ihr Interesse an Frauen ziemlich schamlos und direkt. So sitzt schräg neben mir ein (deutlich älterer) Mann, der mir sein Smartphone herüberreicht und ein Gespräch per Google-Übersetzer beginnt, indem er nach meinen Kontaktdaten fragt und ob ich verheiratet sei. Zu sagen, dass man nichts von Social Media halte, keine türkische Nummer besitze und außerdem vergeben sei, hält ihn nicht davon ab, weiter zu werben und persönliche Fragen zu stellen. Ich vertreibe mir die Zeit damit zu versuchen, den Dialog auf interessantere Inhalte zu lenken und frage ihn danach, inwiefern hier über den Klimawandel gesprochen wird, was der Sinn in seinem Leben ist, warum er morgens aufstehe und wie er zu einer positiven Weltgemeinschaft beitrage. Für eine Weile funktioniert diese Strategie einigermaßen. Er schreibt, dass sich viele Leute Gedanken über das Klima machten und es vereinzelte Demonstrationen gebe, die Regierung aber weder Verständnis noch Interesse zeige. Er selbst scheint sich mit dem Thema nicht viel zu befassen, jedenfalls nehmen Frauen in seinem Kopf deutlich mehr Raum ein. Er zeigt mir Fotos von seinen Töchtern und von seiner Frau, die gerade in Ankara und er darum alleine sei... Oh Mann. Aufdringliche Kerle mit schlüpfrigen Absichten in erzkonservativer muslimischer Gegend - wie geht das zusammen und was sagt uns das? Ist dieses Phänomen ein Gegensatz zum Glauben und zum Lebensstil oder eine Parallele bzw. ein Resultat?

Später, im nächsten Zug, erzähle ich anderen von dieser Begegnung und ich erfahre, dass dieses Verhalten hier Gang und Gäbe sei, denn die Männer dürften schließlich fünf Frauen haben (und wenn das wirklich praktiziert wird, dann doch in konservativen Gegenden), auch wenn diese Tradition ursprünglich natürlich nicht dazu gedacht ist, dass der Mann sich lustig durch die Gegend vögeln darf, sondern dass er sich gegebebenfalls um den Lebensunterhalt von fünf Familien kümmern muss, aber das wird anscheinend nicht so genau genommen. Oftmals wüssten die Ehefrauen von der Untreue ihres Mannes und nähmen es aus Abhängigkeit einfach hin.

Das Gute am Bus- und Bahnfahren ist, dass die anderen Leute einem Sicherheit geben und auch nervige Leute irgendwann aussteigen oder weiter als ich fahren.

Nach kurzer Rast und einem kleinen Mittagessen geht es weiter; allmählich würde ich echt gerne mal ankommen, denn wir sind um 9:30 Uhr losgefahren. Ich muss mich aber noch bis zum Spätnachmittag gedulden. Immerhin ist die Gegend späktakulär und verändert sich immer wieder. Die Schluchten werden tiefer, die Felsen steiler, die Tunnel länger und die ursprünglich so beeindruckend schöne Farbe des Flusswassers schmutziger, vor allem hinter dem Tagebau. Hier wohnt niemand mehr.
Bis Hopa, der kleinen Grenzstadt direkt am Schwarzen Meer, ist es nicht mehr weit und es ist verstörend, wie sich der Fluss innerhalb einer Stunde Fahrt bis zum Delta in eine gelbgrüne Dreckbrühe verwandelt.

Als ich das Meer sehe, bin ich erleichtert. Mit einem Minibus fahre ich das letzte Stückchen bis zum Grenzübergang, der mit seinen langen Rollwegen und Gepäckscannern an einen Flughafen erinnert. Der georgische Grenzbeamte beäugt meinen Pass und fragt scherzhaft auf Deutsch, ob ich aus der Deutschen Demokratischen Republik käme. Nach einer weiteren halben Stunde Fahrt mit dem Minibus erreiche ich kurz vor Sonnenuntergang das Zentrum von Batumi und checke für die Nacht in ein nettes Hostel ein. Völlig fertig und verschwitzt freue ich mich auf eine Dusche und Ruhe - ich habe noch nicht mal meinen Rucksack abgestellt, da werde ich aber schon zum Kaffee eingeladen und erst entlassen, als ich auch noch etwas gegessen habe.
Das ist doch auch ein schöner Empfang in Georgien.

© Caroline Gustke, 2019
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Fliegen kann jeder - Zugfahren auch. Der Klimawandel macht mir Angst und mein bisheriger CO2-Fußabdruck ist erschreckend. Daher steht für mich fest: Bis Fliegen nachhaltig geht, wird nicht mehr geflogen! Nun ist die Reise - Pferdetrekking durch den armenischen Westen - schon lange geplant und so gehe ich das Wagnis ein, die etwa 5000 km pro Weg per Zug zurückzulegen, quer durch Europa und darüber hinaus - als Konsequenz von Erkenntnis, als Klimastreik und Selbstversuch.
Details:
Aufbruch: 26.08.2019
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 07.10.2019
Reiseziele: Armenien
Deutschland
Rumänien
Türkei
Schweiz
Der Autor
 
Caroline Gustke berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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