addicted to life

Reisezeit: April 2020 - Dezember 2021  |  von Markus Knüsel

better safe than sorry, oder?

protest grafittis in bogota

protest grafittis in bogota

teil 1

der flug war ganz okay, ausser ein paar holperer kein problem. der flug war auch deswegen okay, weil er praktisch leer war. die flugbegleiter*innen überraschten uns aber mit einem vollkommen neuen outfit; sie sahen aus wie krankenpfleger*innen auf der intensivstation.
ps: warum wurde früher im flugzeug eigentlich immer geklatscht? und warum ist das heute nicht mehr so? diese armen geschöpfe dort hätte support sicherlich gut getan, obwohl sie auch nichts zu tun hatten, denn essen gab es ja auch nicht wie auch kein unterhaltungsprogramm oder magazine. also alles sehr spartanisch und sauber, wir sind zwei stunden später wohlbehalten in bogota angekommen.

die immigration war auch kein grosses ding, wir waren sehr gut vorbereitet und hatten alle benötigen papiere zur hand gehabt, wir kriegten ein visum für 90 tage. bis dahin lief alles nach dem sogenannten „schnürchen“, bis wir den taxi chauffeur unseres gebuchten flughafen transports nicht vor ort fanden. andere taxifahrer hofften auf ihre chance und rissen sich um die beiden gringos, bis wir ein bisschen entnervt von tannen zogen. ein fahrer von einem hotel, welcher auch auf kundschaft wartete, half uns dann aber unverhofft weiter und rief „unseren“ fahrer an und machte diesem beine. kurz darauf war er vor ort, hatte wohl nicht damit gerechnet, dass wir so wenige probleme am zoll haben werden. das gebuchte hostel war zwar nett aber das zimmer so super klein, dass wir uns ausser im bett nicht zu zweit im zimmer aufahlten konnten. hoffentlich wird das nicht zum standart hier. noch ne kurze warme dusche (heisswasser ist hier nicht standard) und ab ins kleine bettchen.

meine erste nacht in kolumbien verlief nicht so gut, wir hatten laute nachbarn, welche meinten auch noch um 3 uhr in der früh irgendwelche netflix-serien voll aufgedröhnt zu schauen. und die höhe machte mir ein bisschen zu schaffen. schweres atmen, kurzzeitiges herzrasen und kopfweh. das frühstück war im hostel inklusive, bestand aus früchten und viel ei, ganz wenig brot. naja, besser als gar nix zwischen die zähne zu kriegen. jedenfalls war der kaffee saulecker. bei richtig kalten 14 grad gingen wir dann auf die suche nach cash und einer simkarte. cash wurde schnell gefunden, bei der simkarte kriegten wir gleich einen typischen bürokratischen einblick in kolumbien: ticket draussen vor dem gebäude gelöst mit passport nummer, empfangschalter weisst dich dann an die richtigen schalter weiter, dieser ist jedoch nicht für neue simkarte zuständig. also wieder zurück zum empfangsschalter. dort muss nachgefragt werden und wir kriegen einen neuen schalter im obergeschoss zugeteilt. endlich, der typ kann was und scheint richtig kompetent zu sein. bezahlen mussten wir die simkarte dann wieder im erdgeschoss an einem kassenhaus. danach wieder hoch zum bekannten typen, der dann die simkarte aushändigte. und all das auf spanisch, claudi hätte dafür ein diplom verdient.

sonst wirkte für mich bogota aber nur als eine hässliche grossstadt an, welche gefahren birgt, jedenfalls was man vom hörensagen her mitkriegte. dem wollten wir abhilfe schaffen und buchten am folgenden tag eine free walking tour. unsere tourführerin angelica berichtete uns im perfekten englisch über die geschichte von bogota.

wieder mal die spanier..., als man an der karibischen küste der indigenen bevölkerung schon alles gold abgenommen hatte, wollte man ins landesinnere, ihnen wurde gesagt, dass es dort noch viel mehr davon geben soll. also machten sie sich auf, jedoch starben viele an tropischen krankheiten. man suchte einen ort, wo es keine mücken gab und wurde auf 2700 meter höhe fündig, dem heutigen bogota. das indigene volk in dieser gegend war zudem friedlich gesinnt und war deshalb doppelt interessant für die spanier. aber man kam ja wegen dem gold und dazu gibt es dann auch eine tragisch lustige story dazu: wenn die indigenen stämme ihren neuen könig bestätigten, traf man sich am see el dorado. der könig wurde auf ein floss gesetzt und komplett mit honig und goldstaub bekleckert. Als opfer warf das volk, welches sich um den see begeben hatte, esswaren, wertvolle gegenstände und ja genau – gold – in den see. das wollten die spanier nicht wahrhaben und probierten durch das abschöpfen des wasser durch einen kanal an das gold zu kommen... und es funktionierte. bis heute werden immer wieder goldstücke gefunden, so auch ein relikt aus gold, welches eben diese krönung oben zeigen sollte.

dann wurde es politisch. bis heute sind immer wieder die gleichen familien clans im kapitol vertreten bzw. wurden präsident von columbien. in den 40iger jahren probierte es ein junger mann aus der bevölkerung und hätte die wahl wohl auch gewonnen, wenn er nicht um die ecke gebracht worden wäre. seine ermordung liessen tumulte folgen und eine niederstreckung durch die polizei. bis heute weiss man nicht wer den mord in auftrag gegeben hat und wieviele leute damals gestorben sind.

jedenfalls daraus entstanden die verschiedenen paramilitärs (guerilla), welche sich dann mit der regierung über 50 jahre bekriegten. diesem krieg gesellten sich dann noch die drogenkartelle wie das von medellin oder cali dazu und das machte kolumbien dann zum pulverfass und zum gefährlichsten land auf dem planeten.

die tour endete vor dem gericht. und auch dort musste ich ein paar mal leer schlucken. was für ne story: 1985 stürmten 35 guerilleros das oberste gericht und nahmen 350 leute als geiseln, 28 stunden lang. die geiselnehmer forderten den damaligen staatspräsidenten auf, sich der justiz zu stellen. machte dieser aber logischerweise nicht und schickte das militär vor und wir sprechen hier von panzern: alle geiselnehmer wurden erschossen, mit ihnen starben aber auch elf richter und 53 zivilisten. und weitere zwölf personen verschwanden spurlos, bis heute. der palast brannte komplett aus und lag in trümmern. dies wiederum brachte pablo escobar ins spiel, da jegliche unterlagen von ihm bei diesen bränden zerstört wurden. die theorie sieht vor, dass der drogenbaron die paramilitär für diese geiselnahme finanziell grosszügig unterstützt hat, einfach mit einem anderen beweggrund als die guerilleros. das gericht wurde wieder neu aufgebaut – ironie des schicksals: es gibt nur für die 11 getöteten richter eine gedenktafel, die restlichen zivilisten waren halt nur zur falschen zeit am falschen ort. wieso das bis heute niemand aufdecken will? ganze einfach - weil bis heute nachkommen der damaligen zuständigen leute im kongress sitzen und keinen bock auf aufklärung haben. das hamsterrad dreht sich auch im 21. jahrhundert weiter...

die tour hatte unsere wissenslust geweckt, weshalb wir am selben tag noch eine zweite tour buchten – die graffiti tour mit jay. jay ist ein nachkomme von illegalen immigranten aus kolumbien in die usa, wo er auch bis vor 15 jahre wohnte. er kam aber zurück, weil ihm unter anderem das leben in kolumbien besser gefiel und er natürlich als perfekt englisch sprechender völlig andere offene türen vorfindet als andere leute. graffitis haben in der hauptstadt grossen kult und es ist eine gute art in die opposition zu treten. aber auch hier gibt es grobe missstände zwischen militär/polizei und der friedfertigen sprayer. in die internationalen medien schaffte es ein fall von 2012. es ging um einen mord an einem 16 jährigen junge namens diego, der von einem polizisten erschossen wurde, nachdem er zusammen mit anderen jugendliche graffitis auf öffentliche mauern gesprüht hatte. diego war weder bewaffnet noch gefährlich, er rannte lediglich vor einer busse davon. normalerweise bleiben solche verbrechen ohne konsequenzen, jedoch war dies bei diego ein bisschen anders, da seine eltern ziemlich gut betucht waren und der ganze mordfall aufgedeckt haben wollten. deswegen wendeten sie sich an die internationalen medien. denn plötzlich fanden die ermittler eine waffe beim jungen, welche belegen sollte, dass diego doch gefährlich gewesen und der einsatz gerechtfertigt sei. der anwalt von den eltern konnte dann aber herausfinden, dass es gar keine schmauchspuren auf den händen von diego gab, also musste das von jemanden inszeniert worden sein. anyway, wieso sollte ein junge aus reichem hause beim sprayen mit einer waffe rumlaufen? die regierung musste darfaufhin zugeständnisse geben und inzwischen ist das sprayen nicht mehr überall illegal und die politik stellt sogar gelder dazu verfügung. aber es ist nicht mehr als ein teufelskreis, denn die grafittis sind oft politisch und regierungskritisch. wieso also sollte eine regierung künstler unterstützen, die dann die gleiche regierung kritisiert? 2019 wurde dann ein junge namens dilan cruz bei friedlichen anti-regierungs-protesten erschossen. die aufruhr war danach erneut gross und erlangte ebenfalls interesse in den internationalen medien. in der grafitti szene wird er als eine art als märtyrer verehrt. denn auch dieser junge hat, wie viele andere getötete teenies, nichts verbotenes getan und kriegte die volle ladung staatsgewalt. dies nur wenige beispiele von tausenden, jammerschade. neben grafittis wird aber auch mit plakaten politisiert und demostriert. zum beispiel gab es da ein plakat mit diversen hochrangigen polizei- und militärköpfen drauf. hintergrundstory: als die regierung mit der farc im krieg stand, unterstützte die us regierung die kolumbianische. für jeden getöteten rebelle kriegte die armee von kolumbien geld von den amis. was machte die regierung? die armee entführte wahllos leute, steckte diese in farc uniformen & brachte sie danach um. man weiss von 6402 solcher fälle, in auftrag gegeben von 13 ranghohen offizieren. unglaubliche zahl, unglaubliche geschichte. der zeichner dieses plakates wollte das zuerst auf eine grosse hausfassade malen, wurde aber von polizei dabei gestört. deshalb lies er überall in der stadt diese plakate mit seiner botschaft aufgehängt. ihr vermutet es schon, auch hier gab es nie eine lückenlose aufklärung der morde.

so, genug politik, wir sind ja schliesslich auf einer reise und nicht in einer politrunde.

6402 in auftrag gegebene morde von diesen herren

6402 in auftrag gegebene morde von diesen herren

© Markus Knüsel, 2020
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Die Reise
 
Worum geht's?:
dem sommer durch die welt folgen
Details:
Aufbruch: 07.04.2020
Dauer: 20 Monate
Heimkehr: Dezember 2021
Reiseziele: Costa Rica
Schweiz
Kolumbien
Italien
Frankreich
Deutschland
Dänemark
Schweden
Der Autor
 
Markus Knüsel berichtet seit 14 Jahren auf umdiewelt.
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