Indien...und dann?

Reisezeit: August 2010 - Mai 2011  |  von André Hellberg

Dharamsala

Und der Zug nach Pathankot hatte weitere Verspaetung. Er sollte eigentlich um 13 Uhr ankommen. Um 16 Uhr war er dann endlich da. Das war nach den Tagen vorher schon ne Quaelerei. Aber was soll man in Pathankot? Also rein in den Bus und fuenf Stunden nach Dharamsala gefahren.

Ich habe vermutet, dass Pathankot schon in den Bergen liegen wuerde. Nix da. Aber nach einer halben Stunde Busfahrt von Pathankot ging es los. 4,5 Stunden Serpentinen vom Feinsten. Ich habe in meinem Leben ja schon Einiges an Serpentinen gesehen. Aber diese Fahrt war schon aufregend.

Ziel dieser Fahrt war das indische Dharamsala, welches dem Dalai Lama und seinem Volk als Zufluchtstaette vor der Invasion der chinesischen Armee im eigenen Land dient.

Seitdem 1950 die chinesische Armee in Tibet einwanderte sind die Tibeter aus ihrem eigenen Land vertrieben, ihre Kultur zu 90 % zerstoert worden. Es werden dort Kloester zerstoert, Moenche in Gefaengnisse gesperrt. Desweiteren wird den Tibetern die chinesische Familienpolitik aufgedrueckt und durch Zwangssterilisationen der Frauen durchgesetzt. Bis 1950 war Tibet ein unabhaengiges Land mit eigener Flagge und Waehrung.

Die Region Tibet liegt auf dem so genannten Dach der Welt und ist eine sehr unwirtliche Gegend. Die Tibeter lebten dort sehr abgeschieden. Sie lebten von der Landwirtschaft und ihrem buddhistischen Glauben. Jeden Tag kommen hier in Dharamsala gefluechtete Tibeter an. Diese Tibeter koennen kein Englisch und sind mit dem nur minder weiter entwickelten Land Indien restlos ueberfordert. Daher gibt es hier in Dharamsala viele gemeinnuetzige Organisationen, die sich dem Ziel verschrieben haben die gefluechteten Tibeter fuer die Zukunft "fit" zu machen. Das bedeutet, dass die Gefluechteten jede Menge Unterricht brauchen. Sprachen sind dabei das Wichtigste. Das Ziel ist natuerlich, dass sie irgendwann einmal im Tourismusgeschaeft arbeiten koennen. Ein Guesthouse fuehren, oder in einem Restaurant arbeiten. Daher werden jede Menge Englischlehrer gesucht. Aber auch alles andere, was man vermitteln kann, wird hier gerne genommen, gebuendelt und koordiniert.

Dharamsala liegt auf 1830 Metern. Rings herum sind Berge, die noch um einiges hoeher sind.
Es ist hier recht klein und beschaulich. Und alles dreht sich um die Vergangeheit und Zukunft der Tibeter. Die Moenche und Nonnen in ihren roten Roben gehoeren zum normalen Strassenbild.

Schon sehr lange interssiere ich mich fuer das Schicksal des Tibeters. Daher war es fuer mich klar, dass Dharamsala ein Teil dieser Reise werden wird. Schon kurz nach meiner Ankunft stand fuer mich fest, dass ich mich an der Entwicklungshilfe der Tibeter beteiligen will. Aber was soll man als Polizeibeamter des Landes Schleswig-Holsteins den Tibetern schon vermitteln? Das deutsche Strafgesetzbuch oder doch lieber die Landesgesetze Schleswig-Holsteins? Mit meinem Englisch kaempfe ich mich selbst mehr schlecht als recht durch dieses Land, also war das eh keine Option. Also was tun?
Wieder einmal war der Lonely Planet meine Hilfe. Dort stand geschrieben, dass es ein Zeitung mit dem Namen "Contact" gibt, in der saemtliche Plaetze fuer Volunteers gelistet sind. Ich mir also diese Zeitung besorgt. Ausser den Anlaufstellen fuer Englischlehrer war dort ein Buero genannt, welches weitere Plaetze fuer Volunteers zu vergeben haette. Ich also dorthin.

Nun ist es ja so, dass so eine Arbeit immer eine Erfahrung fuer beide Seiten bedeutet. Und die meinige sollte nicht zu klein ausfallen. In dem Buero sagte man mir naehmlich, dass es sich dabei um das Buero fuer die Koordination des "Baby Care Centers" handeln wuerde. Man zeigte mir auch sogleich einen kleinen Film, der beschrieb, was ich zu tun haette, wenn ich den Job mache. Es handelte sich also um den Job des Kindergaertners, der auch windeln, lautes Singen und fuettern von kleinen Kindern bedeutete. Oder genauer gesagt von Kindern im Alter von 9 Monaten bis zu drei Jahren. Also alle Dinge, die ich fuer mein Leben gern mache: Mit Exkrementen umgehen, im Mittelpunkt stehen und in Lebensmitteln matschen... Juchuh!!!

Am naechsten Tag sollte ich dann auch gleich anfangen. Mit mir waren noch drei weitere Volunteers da. Desweiteren gibt es 5 fest Angestellte und immer um die 20 Kinder. Das Ganze wird gemacht, damit die Eltern arbeiten gehen koennen.
Ab 8.30 Uhr werden die Kinder von den Eltern gebracht. Zur selben Zeit treffen dann auch wir ein. Als erstes bindet sich erstmal jeder ein Schuerze um. Die Kinder haben alle ein Tuch um den Hals gebunden, um die laufenden Nasen abzuwischen. Noch bis vor kurzem hatte jeder Mitarbeiter ein Tuch in der Schuerze. Man kam dann aber darauf, dass man eventuelle Krankheitserreger von einer Kindernase zur naechsten transportiert.

Bei dem "Kindergarten" handelt es sich um vier Raueme. Eine Kueche, ein Badezimmer, ein Raum fuer die ganz Kleinen und ein groesserer Spielraum. Dort findet eigentlich alles statt. Ab 9 Uhr werden dann die Spielsachen rausgeholt. Diese werden grosszuegig im Raum verteilt. Alle viertel Stunde wird das eine Spielzeug aufgeraeumt und das Naechste wird grob im Raum verteilt. Zwischendurch wird auch mal eine Tanz- oder Singviertelstunde eingelegt.

Viele der Kinder sagen schon bescheid, wenn sie mal muessen. Dann wird aus dem Badezimmer ein Toepfchen geholt und das Kind dort draufgesetzt. Bei der Gelgenheit wird gleich mal geschaut, ob die Windel nass ist. Wenn ja, wird sie halt gleich vor Ort getauscht.
Um 10.30 Uhr ist dann grosse Pippizeit angesagt. Alle Kiddis werden aufs Toepfchen gesetzt und die Windeln bei Bedarf getauscht.

Um 11 Uhr ist Zeit zum Essen. Die Kleinen bekommen einen Brei aus Reis und diversen Gemuese. Dazu werden sie an die Wand gesetzt. Jedes Kind bekommt ein Laetzchen umgebunden und einen feuchten Lappen. Damit werden die Haende und das Gesicht gesaeubert. Jeder der Mitarbeiter setzt sich dann vor eine Horde Kinder und fuettert was das Zeug haelt. Dabei moeglichst nicht die Teller der Kleinen vertauschen, die merken das naehmlich ganz genau. Wenn sie ihren Teller leer gegessen haben, dann bringen sie diesen selbststaendig in die Kueche. Wenn sie wieder raus kommen, duerfen sie sich etwas Wasser zum trinken abholen.

Ab 11.45 Uhr ist Schlafenszeit. Dazu werden Matratzen an den Waenden verteilt. Pro Matratze liegen dann bis zu fuenf Kiddis. Manche der Kinder sehen die Matratze nur und schlafen schon ein. Manche der Kinder muessen mehrfach gebeten werden. Zum Einschlafen wird den Kindern von den tibetischen Frauen auf den Kopf gehauen. Sanft zwar, aber gehauen. Selbiges habe ich auch schon bei indischen Frauen beobachtet. Und wie durch ein Wunder schlafen die Kinder dadurch sofort ein.
Um 12 Uhr haben wir dann Feierabend. Nachmittags kommen andere Volunteers

Heute, am 06.09.2010 hatte ich meinen zweiten Tag im Kindergarten. Natuerlich bedarf es einiger Eingewoehnungszeit. Jedoch fiel es mir heute schon bedeutend leichter mit Exkrementen umzugehen, im Mittelpunkt zu stehen und in Lebensmitteln zu matschen. Es macht mir viel Freude zu sehen, wie die Kinder dankbar sind, dass man da ist. Und sei es nur durch ein Laecheln. Das ganze geht zwei Wochen lang.

Ein sehr suesser tibetischer Junge war mir heute aufgefallen. Er spielte immer fuer sich alleine. Ein sehr introvertierter Junge. Mit gespreizten Beinchen sass er immer vor der Wand. Zwischen den Beinchen und der Wand hatte er das Spielzeug gelagert, welches er ergattert hatte. Und so spielte er friedlich vor sich hin. In der Kindergruppe ist ein anderer Junge, ich habe ihn "Motzkopf" getauft. Da er immerzu am meckern ist und sich von niemanden etwas sagen laesst, hat er diesen Namen verdient. Ein verzogenes Goer moechte ich sagen. Dieser und sein Kumpel bauten sich neben dem introvertierten Jungen auf. Jeder auf einer Seite. Sie taten immer so, als wuerden sie etwas in den Mund nehmen und auf den Jungen spucken. Dabei beschimpften sie ihn offensichtlich und klauten ihm Spielzeug. Der Junge fing dann an fuerchterlich an zu weinen. Ich ging zu den Jungens hin, nahm ihnen das Spielzeug wieder ab und fing an mit dem introvertierten Jungen zu spielen. Der war sichtlich ueberrascht, dass sich jemand direkt um ihn kuemmert und hoerte sofort auf zu weinen. Eine Gesichtsregung war jedoch nicht zu erkennen. Er forderte mich lediglich immer dazu auf nicht aufzuhoeren, wenn ich das Spiel einstelle. Erst nach bestimmt zehn Minuten huschte ein Laecheln ueber sein Gesicht. Und das war das fruehe Aufstehen heute schon wert...

Ansonsten gehe ich hier jeden Tag in einem anderen Land essen. Es gibt gutes italienisches, japanisches, chinesisches und indisches Essen. Nur Steak gibbet natuerlich auch hier nicht. Ich habe nicht mehr das Gefuehl in Indien zu sein. Daher zieht es mich schon fast wieder weg. Aber meine Arbeit hier werde ich natuerlich noch zu ende bringen. Ausserdem gibt es hier noch eine gute Yogaschule. Ausserdem ein gutes Vipassana-Zentrum. Es gibt also viel zu tun.

Ich verbringe hier viel Zeit mit meiner Arbeitskollegin Nicole. Einer Deutschen, die in die Schweiz ausgewandert ist. Am Nachmittag treffen wir oftmals Christian, der ein Auslandssemester in Indien macht. Abends treffen wir uns meistens mit Petra und Norbert zum Abendessen.

Den Dalai Lama habe ich auch schon gesehen. Er kam von einem "Teaching" aus "Shimla". Er wurde vom ganzen Ort begruesst, als er mit dem Auto ankam. Ueberhaupt ist der Dali Lama im ganzen Ort praesent. Uebrall haengen seine Bilder. Ueberall gibt es Dokumentationen ueber Tibet und den Dalai Lama zu sehen. Vom 08.09. an gibt der Dalai Lama ein "Teaching" ueber die "Herz-Sutra". Eine der wichtigsten Sutras aus dem Buddhismus. Zu diesem "Teaching" haben wir uns heute erstmal angemeldet. Die Atmosphaere bei diesen "Teachings" soll super sein. Ich werde berichten...

© André Hellberg, 2010
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nachdem ich nun drei Jahre auf den August 2010 gewartet habe um mein freies Jahr zu beginnen, bin ich jetzt langsam richtig heiß drauf. Ich werde von Hamburg über Moskau nach Delhi fliegen und dort früh morgens ankommen. Von dort soll es erstmal ´gen Norden, in den Himalaya gehen. Dann wieder ´gen Süden, dann ´gen Osten, ´gen Süden, und noch weiter und weiter... und letztlich kommt eh alles anders als gedacht... Indien, ich komme...
Details:
Aufbruch: 05.08.2010
Dauer: 9 Monate
Heimkehr: Mai 2011
Reiseziele: Indien
Malaysia
Thailand
Der Autor
 
André Hellberg berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.