Die arabische Welt für Einsteiger

Reisezeit: April - Dezember 2006  |  von Kerstin Franz

Mein erstes Wochenende: Trauer-Tag

Eigentlich wollten Dalia, Mohaeed (wird Mo-ai-jed ausgesprochen) und ich am Donnerstag die Nachtszene Abu Dhabis unsicher machen. Aber sie rief mich an und sagte, dass ihr Vater vermisst werden würde und logischerweise war ihr nicht danach, tanzen zu gehen.
Ihr Vater ist eigentlich aus dem Sudan, lebt aber mit Frau in Kairo. Er wollte unbedingt in den Sudan reisen, um noch einmal sein Land zu sehen, und nun war er nicht auffindbar und ging auch nicht ans Telefon. Die ganze Verwandtschaft im Sudan versuchte, ihn zu finden.
Freitagmittag rief mich dann Mohaeed an und sagte mir, der Vater von Dalia wäre gefunden worden - er war gestorben, die weiteren Umstände waren unklar. Ich fragte, ob ich etwas für sie tun könne, und sie antwortete, ich könne vorbeikommen.

Dalia lebt bei der Schwester von Mohaeed, Amal, und ihren zwei Kindern Dana und Hamoudi. Sie lässt sich gerade von ihrem Ehemann scheiden.
Ich wurde unglaublich freundlich empfangen und sofort mit Saft und Datteln versorgt.
Dalia sah verhärmt aus: sie hatte nicht geschlafen, nichts gegessen, nichts getrunken und rauchte eine Zigarette nach der anderen.
Sie erzählte mir, dass ihr Vater am Donnerstagmorgen noch gesehen wurde, und dann war er den ganzen Tag nicht erreichbar und auffindbar gewesen, bis man ihn letztendlich doch gefunden hat, tot. Aber sie wusste bis jetzt noch nicht, ob er auf der Straße zusammengebrochen und gestorben war, oder ob das bei einem Arzt geschehen ist, zu dem er gegangen sein soll weil er sich unwohl gefühlt hat.
Ihr Bruder Saeed, der in Kairo lebt, war nach der Nachricht über den Tod des Vaters sofort in den Sudan geflogen. Es ist so Tradition, dass der älteste männliche Nachkomme den Verstorbenen wäscht, herrichtet und beerdigt.

Dalia war traurig, weil Saeed ihr nicht erlaubte, ebenfalls in den Sudan zu fahren. Sie hatte ihren Vater seit 7 Monaten nicht mehr gesehen und wollte Abschied von ihm nehmen. Sie erzählte mir, dass sie der Liebling ihres Vaters gewesen wäre und er ständig von ihr geredet hätte. "Dalia, Dalia, Dalia....". Und auch für sie war ihr Vater, mit Saeed, derjenige in ihrer Familie, mit dem sie sich am Besten verstand. Doch Saeed wollte nicht, dass sie ihren Vater sah, weil er sich durch den Tod und die Wärme im Sudan zu sehr verändert hatte... .
Ständig riefen irgendwelche Leute an, unter anderem auch Saeed und Svenja, Saeed's Freundin (Deutsche), die dann auch mal eben an mich weitergereicht wurden, obwohl ich Svenja im Grunde nur vom Hören Sagen kenne und Saeed bisher auch erst zweimal getroffen hatte. Aber egal... Ich solle acht geben auf Dalia!
Bei einem der Anrufer, der ihr wohl sehr nahe stand, fing sie zu weinen an, rief immer wieder "ya baba habibi" (was ungefähr "mein geliebter Papa" heißt) und hörte von da an auch nicht mehr so richtig auf. Ich wurde selbst traurig, obwohl ich ihren Vater nicht kannte und sie erst einmal zuvor getroffen hatte. Ihr Leid ging mir sehr nahe. Und zugleich fand ich es gut, wie sie ihren Schmerz hinaus gelassen hat.

Nach und nach kamen 4 Frauen zu Besuch: Arbeitskolleginnen von Dalia. Interessanterweise waren sie alle unterschiedlich gekleidet bzw. verschleiert: das Kopftuch locker übers Haar gelegt bis hin zu schwarzem Gewand und mit Abellja (das Kopftuch), das nur die Augen frei ließ. Gemein hatten sie, dass sie alle in schwarz gekleidet waren. Und ich kam mir, als Westlerin, wie ein Eindringling vor, und trug noch nicht mal Trauerkleidung... Ursprünglich hatte ich nämlich nur kurz vorbeischauen wollen, letztendlich blieb ich 5 Stunden. Ich war froh, dass ich wenigstens eine schwarze Hose an hatte. Mein rosafarbenes T-Shirt stach trotzdem hervor - zumal sich Amal und Dana nun auch noch schwarz gekleidet hatten...
Verstärkt wurde mein Gefühl, nicht wirklich am richtigen Ort zu sein, noch dadurch, dass die Frauen mich so lange ignorierten, bis Dalia mich ihnen vorstellte. Und auch danach redeten sie weiter miteinander auf Arabisch.
Irgendwann wurde dann ein bestimmtes Koran-Heft hervor geholt und die Frauen lasen der Reihe nach eine bestimmte Passage leise vor sich hinmurmelnd vor. Dalia erklärte mir, dass das quasi ein Wunsch sei, der dem Toten auf seiner Reise mit gegeben wurde. Auch sie, obwohl nicht religiös, las - und zwar das ganze Heft.

Wenigstens hatte sich der letzte Wunsch von Dalia's Vater erfüllt, denn er ist in sein Heimatland gereist, um dort zu sterben - ich wünsche ihm, dass er mit Frieden im Herzen gestorben ist!

© Kerstin Franz, 2007
Du bist hier : Startseite Asien Vereinigte Arabische Emirate Trauer-Tag
Die Reise
 
Worum geht's?:
Im Februar fiel die Entscheidung: ich werde mein Praxissemester von Mai bis Ende Oktober in einem Büro in den Vereinigten Arabischen Emiraten, genauer gesagt in deren Hauptstadt Abu Dhabi absolvieren. Diese Entscheidung zu treffen hat sich Tage hingezogen und die Nerven von so einigen arg strapaziert ;-) Vielen Dank an dieser Stelle für eure Unterstützung und Hilfe! :-) Und weil es mir da so gut gefällt, bleibe ich noch etwas länger :-)
Details:
Aufbruch: 27.04.2006
Dauer: 8 Monate
Heimkehr: 14.12.2006
Reiseziele: Vereinigte Arabische Emirate
Al Ain
Ägypten
Der Autor
 
Kerstin Franz berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.