TimeOut in Südamerika

Reisezeit: April - August 2008  |  von Beatrice Feldbauer

Woche 7 24.-30. Mai 2008: Gletscher

Ich werde um neun Uhr abgeholt. Habe also genügend Zeit, um in Ruhe zu erwachen, zu frühstücken und meine sieben Sachen zusammenzusuchen. Draussen ist es noch dunkel, aber der Himmel ist klar. Es wird ein strahlender Tag werden.

Pascuale heisst der Fahrer, aber er sei hier bekannt unter dem Namen Schumacher. Und der Guia heisst Boris. Erster Halt am Lago Argentino. Am Himmel zeigen sich die ersten Strahlen und beleuchten die schneebedeckten Gipfel am anderen Ufer. Und dann geht die Sonne richtig auf und es ist wie ein aufatmen, es wird schlagartig hell, alle Gesichter strahlen. Die Nacht ist vorbei.

Wir sind in einem kleinen Bus unterwegs, zwölf Touristen aus verschiedenen Teilen der Welt. Ein paar Argentinier, ein Brasilianer aus Rio, ein Spanier aus Madrid, ein junges deutsches Paar und ich. "Wenn Japaner dabei wären, müssten wir extra einen Platz frei halten für deren Kameras", spottet Boris. Aber wir haben den Japanern nichts vorzuhalten, alle sind wir bestens ausgerüstet mit Kameras.

Denn heute gibt es bestimmt wieder genug zum konservieren. Wir sind auf dem Weg zum Glaciar Perito Moreno. Dazu fahren wir in den Süden und kommen auf der Strasse in den Nationalpark. Boris erzählt von Klima, Fauna und Flora. Es ist eine sehr trockene Gegend hier. Es gibt gerade mal 400 mm Niederschlag im Jahr. (Ich kann mit dieser Zahl nicht sehr viel anfangen und habe darum am Abend die Zahl für die Schweiz ergoogelt: 2000 mm.) Die Vegetation ist sehr schwach. Es reicht aber für Schafherden und vereinzelt auch Rinderherden. Es gibt Kräuter und ein paar niedrige Büsche. Einer dieser Büsche ist eine Art Blaubeere, El Calafate genannt und von daher kommt auch der Name des Ortes. Es hat bedeutend mehr Blaubeer-Büsche, als Einwohner, versichert uns Boris. Und es werden viele Dessert, Marmelade und Likör daraus gemacht.

Eine Art patagonische Mispel

Eine Art patagonische Mispel

An den Berghängen, wo der Niederschlag etwas höher ist, wachsen auch ein paar Bäume. Jetzt im Winter tragen die meisten keine Blätter mehr, so dass man die Flechten besser sehen kann. Und auch ein paar Schmarotzer leben zwischen den Ästen. Eine Art patagonische Mispel.

Das wichtigste Tier im Park ist, ich kann es kaum glauben, der Puma. Allerdings bleibt er fast unsichtbar, er ist ein Jäger der Nacht, er jagt Füchse, Dachse, Enten und andere Vögel. Ja, auch Vögel gibt es viele hier. Hoch oben fliegen der Adler, der ein Jäger ist und der Aasfresser, der Condor, den ich ja vorgestern bereits gesehen hatte.

Ausserdem gibt es viele Carpinteros. Diesen Namen finde ich speziell witzig. Carpintero heisst nämlich Schreiner. Spechte sind also Schreinervögel. Und in einer Lagune macht uns Boris auf eine Gruppe Flamingos aufmerksam. Die sind allerdings nicht so klar ersichtlich, könnte also irgend ein Vogel sein. Auch Charitos leben hier. Ich glaube, die richtige Übersetzung ist Nandu. Es ist eine Art Vogel Strauss, etwas kleiner. Und wir haben Glück, sehen zwei, die sich schnell von der Strasse entfernen, als wir uns nähern.

Wir machen einen kurzen Fotohalt am südlichen Arm des Lago Argentino, am Brazo Rico. Ruhig liegt der See in den ersten Sonnenstrahlen. Das andere Seeufer spiegelt sich darin. Doch eigentlich wollen wir alle nur das eine: den Perito Moreno sehen. Noch ein paar Kurven und dann sehen wir ihn.

Den Gletscher, der noch immer wächst und inzwischen den Seearm abgetrennt hat. Wie eine Staumauer steht er da. Atemberaubend schön. Wir fahren weiter, kommen zum kleinen Hafen. Gibt es noch Worte, diese gewaltige Masse Eis zu beschreiben. Wir besteigen ein Schiff, das uns in die Nähe des Gletschers bringen wird.

Und wie hingepflanzt liegt da wieder ein riesiger blauer Eisberg. Blau, als ob er gefärbt wäre. Wir nähern uns dem Gletscher, der hier ins Wasser zu kippen scheint. Vom Berg her wird er gestossen und er erhebt sich 60 Meter über das Wasser. 60 Meter, das ist so hoch, wie der Obelisk in Buenos Aires. Nicht vorstellbar und auch gar nicht so erkennbar, selbst als wir ganz nahe an der Mauer entlang fahren.

Und es ist kalt. Eisig kalt. Viel kälter als vor zwei Tagen. So kommt es mir jedenfalls vor. Trotz Sonne, aber es weht ein eisiger Wind. Eigentlich wollte ich einen Whisky mit Gletschereis bestellen, aber sogar das Mädchen hinter der Bar wärmt sich die Hände an der Kaffeemaschine und so entscheide ich mich für einen Kaffee.

Aber ich muss bald wieder hinaus aufs Deck. Noch einmal staunen, noch einmal spüren. Und plötzlich kracht es, und ein Grollen geht durch den Eisblock. Irgendwo ist ein Stück abgebrochen. Weit oben und soeben kracht es ins Wasser. Wellen breiten sich aus, der Eisblock ist in tausend Stücke zerstoben. Es gibt hier nur ganz wenige Eisberge, die Stücke fallen von so hoch herunter, dass sie nicht am Stück bleiben. Wir treiben eine ganze Stunde vor der Mauer aus Eis. Dann fahren wir zurück zum Ufer und es geht mit dem Bus weiter.

Es gibt einen Aussichtspunkt mit Restaurant fürs Mittagessen. Was soll ich jetzt mit Mittagessen? Ich folge den Stegen und nähere mich dem Gletscher. Immer tiefer geht es über endlose Stufen. Durch einen Herbstwald mit kahlen Bäumen. An einigen aber gibt es noch ein paar Blätter, die mit ihren Rot- und Gelbtönen eine wunderbare Stimmung in diese weissblau schimmernde Welt bringen.

Wieder kann ich kaum aufhören auf den Auslöser meine Kamera zu drücken. Immer in der Hoffnung, einen losbrechenden Eisblock einzufangen. Aber das ist zu schwierig. Blitzschnell geht es. Es ist ganz ruhig. Sogar die wenigen Besucher bleiben ruhig, ehrfürchtig. Und immer wieder durchbricht ein Krachen und das darauffolgende Grollen die Stille. Der Gletscher lebt. Manchmal bricht ein Stück in den See, aber oft kommt das Krachen vom Innern des Gletschers. Das Schiff ist wieder unterwegs. Und jetzt, von oben gesehen, sieht man, wie winzig es ist, vor dieser riesig hohen Eismauer.

Ich bleibe fast zwei Stunden. Folge den Stegen, bleibe stehen, schaue, staune, und weiss, dass ich diese Bilder nie mehr vergessen werde. Und dass ich dazu auch gar nicht unbedingt Fotos brauche.

Auch die Aussicht auf die andere Seite ist phantastisch

Auch die Aussicht auf die andere Seite ist phantastisch

Später wärme ich mich im Restaurant mit einer heissen Schokolade auf. Zurück geht die Fahrt nach El Calafate und die meisten sind müde, schlafen, dösen. Zwei Stunden später treffen wir im Ort ein. Ich steige an der Busstation aus, will meine morgige Fahrt buchen. Abfahrt frühmorgens um vier Uhr. Das ist brutal, für mich jedenfalls. Ich werde wieder gut 16 Stunden unterwegs sein. Das heisst, früh schlafen gehen. Werde mich wecken lassen und ein Taxi organisieren.

Aber vorher sehe ich mir noch einmal die Bilder des Tages an. Diese unbeschreibliche Welt in weiss und blau.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nicht Nichtstun steht im Mittelpunkt. Sondern etwas tun, wofür im normalen Alltag zu wenig Zeit bleibt. Meine beiden Leidenschaften Reisen und Schreiben möchte ich miteinander verbinden. Und wenn mich dabei jemand begleitet, umso schöner. Es sind vor allem Geschichten, die ich erzähle und erst in zweiter Linie Beschreibungen von Orten und Gebäuden. Ich möchte versuchen, Stimmungen herüberzubringen. Feelings, sentimientos. Wenn mir das manchmal gelingt, ist mein Ziel erreicht.
Details:
Aufbruch: 12.04.2008
Dauer: 4 Monate
Heimkehr: 03.08.2008
Reiseziele: Uruguay
Brasilien
Paraguay
Argentinien
Chile
Bolivien
Peru
Guatemala
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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