TimeOut in Südamerika

Reisezeit: April - August 2008  |  von Beatrice Feldbauer

Woche 12 28. Juni-4. Juli 2008: Calle Jaen

Marco der an der Hotelrezeption arbeitet, hat mich eingeladen, heute mit ihm ein paar Museen zu besuchen. Mein Erlebnis vom ersten Tag gab ihm etwas zu denken und er merkte, dass ich gegenüber dieser Stadt etwas kritisch war. Er hätte heute frei und möchte mir ein paar positive Dinge von dieser Stadt zeigen. Ausserdem wäre es auch Zeit, dass sein 6-jähriger Sohn einmal ein Museum sehen würde.

Marco holt mich am morgen ab und wir gehen zuerst zum Musikmuseum. Da kommen auch seine Frau Peggy und sein Sohn Fernando dazu. Zusammen besichtigen wir das sehr schön gestaltete Musikmuseum, wo viele alte und neue Instrumente ausgestellt sind.

Die Calle Jaen, wo sich viele interessante Museen befinden

Die Calle Jaen, wo sich viele interessante Museen befinden

Fernando freut sich besonders, denn er darf an vielen Orten selber ausprobieren, wie etwas tönt. Trommeln und Xylophon darf man zum erklingen bringen und sogar eine alte kleiner Orgel mit Fusspedals für die Luft darf ausprobiert werden. Mich interessieren vor allem die verschiedenen Panflöten, die nicht nur in einer Reihe angeordnet sind, sondern sozusagen in bis zu drei Stufen übereinander liegen. Solche Instrumente werden immer noch benutzt. Der Strassenmusikant in Arica hatte verschiedene dieser Instrumente und auch andere Flöten dabei. An der Decke hängen lange Musikstäbe mit einem eigenartigem Trichter davor. Die kommen mir verdächtig wie Alphörner vor. Würde gern wissen, wie diese Instrumente tönen.

Alphörner?

Alphörner?

Es gibt aber auch verschiedene grosse und vor allem kleine Harmonikas. Ähnlich wie Schwyzerörgelis, nur noch viel kleiner. Natürlich gibt es auch ganz viele verschiedene Trommeln und Rhythmusinstrumente. So wurden Schneckenhäuser auf eine Schnur gebunden und werden als Rasseln gebraucht. Die Rasseln, die man sich um die Handgelenke binden kann, und die aus Ziegenhufen bestehen, werden heute noch gebraucht.

Eine Art Rasseln

Eine Art Rasseln

Im Raum mit den Saiteninstrumenten gibt es ein paar Kuriositäten: eine Art Gitarre mit fünf verschiedenen Bespannungen hängt da und eine Violine und eine Gitarre die auf beiden Seiten gespielt werden kann. Als Klangkörper müssen die verschiedensten Materialien herhalten. Der Panzer einer Schildkröte eignet sich dazu sehr gut, vor allem, weil man darauf auch noch trommeln oder rhythmisch darüber streichen kann. Interessant, was alles als Musikinstrument herhalten kann.

ein sehr eigenartiges Saiteninstrument

ein sehr eigenartiges Saiteninstrument

Am Schluss kommen wir in einen Raum mit Instrumenten aus der ganzen Welt. Da gibt es eine Sitar aus Japan, eine Klarinette aus Deutschland, TamTams aus Afrika und eine Laute aus der Schweiz.

Im Hof des Museums steht eine eigenartige Installation. Es ist ein Kocher, der mit Sonnenenergie funktioniert. Ins Zentrum einer Schüssel ähnlich einer Satellitenschüssel wird ein Topf gestellt. Wenn man das ganze gegen die Sonne richtet, kann damit gekocht werden. Vor allem für Orte mit viel Sonne und wenig Holz, oder wo Holz geschont werden muss, wurde diese Kochgelegenheit entwickelt.

Eine Kochgelegenheit für heisse Länder

Eine Kochgelegenheit für heisse Länder

Im Goldmuseum werden Gegenstände ausgestellt, die von den Inkas hergestellt wurden. Wir fragen uns dabei vor allem, wie die Inkas das Gold so behandeln konnten, dass dieses dünne und vor allem sehr glatt polierte Goldblech entstehen konnte. Und auch hier ist erkennbar, wie wichtig in alten Kulturen bereits der Schmuck war.

In einem weiteren Museum werden Masken ausgestellt, die bei Folklorefesten getragen werden. Sie stellen oft den Teufel dar und sollen vor bösen Geistern schützen. Ganz am Schluss besuchen wir noch das Haus von Pedro Domingo Murillo. Er war es, der für die Unabhängigkeit Boliviens gekämpft, aber seinen Kampf kurz vor dem Erreichen des Ziels mit dem Leben bezahlen musste.

Alle diese Museen befinden sich in der kleinen schmalen Calle Jean, mit schönem Kopfsteinpflaster. Es ist eine sehr alte Gasse und es gab lange Zeit Legenden von einer schönen Witwe, die nach ihrem Tod hier nachts herumging und betrunkene Männer verführte. Als Abwehr hat man irgendwann ein Kreuz beim Eingang zur Gasse angebracht und seither scheint hier Ruhe eingekehrt zu sein. Vielleicht nehmen aber die betrunkenen Männer seither einen anderen Heimweg.

Es ist natürlich viel interessanter, solche Museen mit Freunden zu besuchen, als wenn man alle Erklärungen selber nachlesen müsste. Vor allem Fernando ist ganz begeistert von seinem ersten Museumsbesuch. Peggy lädt mich zum Mittagessen in ihr Haus ein. Das ist eine sehr grosse Ehre für mich und selbstverständlich nehme ich mit Freuden an. Darum verabschiedet sie sich und will zu Hause die letzten Vorbereitungen machen, während mir Marco noch einen speziellen Aussichtspunkt der Stadt zeigen will.

Hier auf einem sehr hoch gelegenen Platz kann man fast die ganze Stadt überblicken. Auch das Fussballstadion sieht man hier. Schon gestern haben mir Victor und Enrique erklärt, dass 'dieser Schweizer' Josef Blatter gesagt hätte, hier könne man nicht Fussball spielen. Ich kann mir schon vorstellen, dass die Stadt mit ihren gut 3500 m nicht tauglich ist für den Weltfussball. Trotzdem kämen aber die Chilenen und Peruaner hierher und würden hier sogar manchmal gewinnen. Nur die Brasilianer kämen nie hierher, die würden hier verlieren.

Peggy zeigt mir stolz ihr Haus. Es steht in einer kleinen Gasse und ist drei Stockwerke hoch. Es gehört ihren Eltern und die Familie lebt hier in einem drei-Generationen-Haushalt. Es gibt ein paar kleine Zimmer, eine Küche und einen Ess-Aufenthaltsraum. Alles ist sehr einfach.

Zum Mittagessen gibt es ein vorzügliches Poulet mit Reis und Kartoffeln. Und ausserdem gibt es diese eigenartig schwarzen Kartoffeln, die ich vorgestern auf dem Markt gesehen hatte. Ich konnte mir da nicht vorstellen, dass man die essen könnte und ich gebe zu, dass sie mir auch nicht wirklich schmecken. Ich will jetzt aber trotzdem wissen, wie die eigentlich 'entstehen'. Es sind ganz normale Kartoffeln, die man in der Erde lässt. Wenn dann die Erde gefriert, gefrieren auch die Kartoffeln in der Erde. Sie schrumpfen dabei zu kleinen unförmigen 2-3 cm grossen Kugeln. Ja und diese werden dann eben gekocht und gelten als Delikatesse. Es gibt auch noch eine weisse Variante. Diese waren ebenfalls gefroren, sind aber geschält.

Das Mittagessen ist nebst diesen eigenartigen Kartoffeln wirklich hervorragend und ich glaube nicht, dass hier jeden Tag Fleisch auf den Tisch kommt. Marco hat zwei Jahre in London gearbeitet, während Peggy und der Sohn in La Paz geblieben sind. "Zwar konnten wir uns dadurch etwas mehr leisten, aber das war einfach keine Familie", sagt Marco. Und man kann gut sehen, wie sehr er an seinem Sohn hängt. Allerdings ist er jetzt seit November zurück und arbeitet erst seit einer Woche in dem Hotel in dem ich wohne. Eigentlich würde er gern wieder irgendwo in Europa arbeiten, vielleicht auch in Kanada, denn die finanzielle Situation hier ist sehr schlecht. Vor allem gilt die Arbeit nicht viel. Das habe ich mir schon gestern gedacht, als ich meine beiden Begleiter bezahlt hatte. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie man mit so wenig Geld überleben kann, auch wenn hier natürlich alles viel weniger kostet.

Am Nachmittag gehen wir in den Zoo. Natürlich war Fernando auch da noch nie und auch Marco und Peggy freuen sich daran. Der Zoo ist ein paar Hundert Meter tiefer unten ausserhalb der Stadt und auf dem Weg dahin kommen wir durch eine pittoreske Landschaft, die mich stark an das Tal des Todes bei San Pedro de Atacama erinnert. Auch hier wurde die leichtere obere Schicht vom Wind verweht und geblieben ist roter nackter Sandstein in abstrakten Formen.

Der Zoo ist sehr einfach aber es gibt doch ein paar exotische Tiere, wie Pumas, Löwen und Leoparden. Mir gefällt aber vor allem, dass ich die Condore von nahem sehen kann.

Auf dem Heimweg im Taxi schläft Fernando ein. Es war viel für ihn heute und auch ich merke wieder, dass ich ziemlich geschafft bin. Von der Höhe, den vielen Eindrücken. Ich will nur noch beim Busterminal meine morgige Fahrt abklären, dann verabschieden wir uns. Wir werden bestimmt in Kontakt bleiben.

Peggy, Fernando und Marco

Peggy, Fernando und Marco

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nicht Nichtstun steht im Mittelpunkt. Sondern etwas tun, wofür im normalen Alltag zu wenig Zeit bleibt. Meine beiden Leidenschaften Reisen und Schreiben möchte ich miteinander verbinden. Und wenn mich dabei jemand begleitet, umso schöner. Es sind vor allem Geschichten, die ich erzähle und erst in zweiter Linie Beschreibungen von Orten und Gebäuden. Ich möchte versuchen, Stimmungen herüberzubringen. Feelings, sentimientos. Wenn mir das manchmal gelingt, ist mein Ziel erreicht.
Details:
Aufbruch: 12.04.2008
Dauer: 4 Monate
Heimkehr: 03.08.2008
Reiseziele: Uruguay
Brasilien
Paraguay
Argentinien
Chile
Bolivien
Peru
Guatemala
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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