TimeOut in Südamerika

Reisezeit: April - August 2008  |  von Beatrice Feldbauer

Woche 8 31. Mai - 6. Juni 2008: Fin del Mundo

Ich bin kaputt. Müde, voll von neuen Eindrücken aus einer völlig neuen Welt. Und vollgeschwatzt von einem Schwall von spanischen Erklärungen. Schon Leny, die mich um neun abholt, redet fast ununterbrochen. Sie hat aber auch viel zu erzählen. Wir sind eine ganz kleine Gruppe. Nur noch Rosaria und Paolo aus Brasilien. Da muss man noch besser zuhören, kann sich schlecht unbeteiligt absetzen. Besuch im Nationalpark steht auf dem Programm.

Leny, deren Grosseltern Wolga-Deutsche waren, sie spricht aber trotzdem kein Wort deutsch. "Die wollten damals ihre Vergangenheit vergessen, und den Jungen ein von der Vergangenheit unbeschwertes Leben vermitteln", vermutet sie. Leny erzählt vom Klima hier, hier in der südlichsten Gegend des Kontinents. Im Winter hilft das Meer, dass es nie tief unter Null sinkt, in der Regel ist es nie unter minus ein Grad. Im Sommer wird es aber auch gar nie über neun Grad. Neun Grad? Ich muss wieder einmal nachfragen, ob ich das auch richtig verstanden habe. Ja, neun Grad. Und auf die Frage, ob es denn auch Blumen gäbe, hat sie sofort ein Faltblatt zur Hand, in dem alle Blumen aufgeführt, sind, die es in der Gegend gibt. Es sind erstaunlicherweise eine ganze Menge. Mehr zum Klima. Es regnet jeden Tag. Aber nie richtig viel, immer nur so ein Nieseln, das gibt keine hohen Niederschlagsmengen. Nur gerade 600 mm im Jahr. Aber trotzdem ist es immer feucht. Aber wenn es einmal drei Tage nicht regnet, fragen wir, was denn nun los sei? Im Winter sind die Nächte lang, im Sommer geht dafür die Sonne fast nie unter. Da kannst du ganz gut noch um Mitternacht bei Helligkeit ein Asado essen. Asado ist die wichtigste Spezialität: Fleisch vom Grill, an anderen Orten auch Parilla genannt.

Wir fahren zuerst zum 'Tren al fin del mundo'. Selbstverständlich spielt man hier überall mit diesem Satz und so heisst auch der alte Museumszug: Zug zum Ende der Welt. Es ist eine alte Dampflokomotive, die zu touristischen Zwecken privat betreiben wird.

Wie auch an anderen Orten auf der Welt wurde dieser unwirtliche Flecken am Anfang zwangsbesiedelt: mit Gefangenen. Sie mussten im Wald Bäume fällen und mit dem Holz die ersten Gebäude der neuen Stadt errichten. Dafür wurde dieser Zug gebaut. Um die Männer am Morgen in den Wald zu fahren und das Holz zurück zu transportieren. Aus dem Lautsprecher erzählt eine Stimme die Geschichte der Bahn und dazu läuft melancholische Musik. Endzeitstimmung. Die abgeholzten Baustrünke draussen, die im kalten Schnee stehen, erzählen die gleiche kalte Geschichte. Ende der Welt, Ende des Lebens.

Zum Glück stehen da plötzlich ein paar Pferde draussen, suchen auf ein paar kahlen Stellen etwas zum fressen. Auf halber Strecke hält der Zug kurz an. Fünfzehn Minuten Pause. Wir steigen aus. Es ist saukalt da draussen und ausserdem ist der Bahnsteig mit einer dicken Eisschicht bedeckt. Es gibt nicht viel zu sehen, ausser den Baumstrünken und dem Schnee. Darüber senkt sich ein sonnenloser Himmel mit dichten Wolken. Und da vorn stösst die Dampflokomotive ihre Nebelschwaden aus. Und dann verteilt einer der Bähnler heisse Schokolade. Die tut jetzt richtig gut, und neu gestärkt fahren wir weiter zur Endstation. 1947 wurde die Sträflingskolonie übrigens aufgegeben und damit war auch die Zeit des Zuges vorläufig abgelaufen.

An der Endstation warten Leny und Roberto mit dem Bus. Wir fahren jetzt richtig in den Nationalpark. Leny zeigt uns die Spuren eines der häufigsten Tiere hier: der Biber frisst ganze Lichtungen frei. Fällt alle Bäume. Hier wo der Wald wieder dicht steht, weil das Abholzen nicht so tief eingedrungen ist. Wir kommen an den Lago Roca und machen einen kurzen Spazierweg dem Ufer entlang. Es ist kalt, auf dem See schwimmen ein paar Enten. Die Bäume tragen Bärte, barba de los viejos (Bärte der Alten) und verleihen dadurch dem Wald einen märchenhaften Anstrich. Aber es ist kalt, ich stecke meine Hände in die Taschen.

Und gerade, als ich denke, es wäre Zeit zum umkehren, steht da ein Haus. Und zufällig ist es ein Restaurant und noch zufälliger ist es offen. Es gibt Kaffee, Tee oder heisse Schokolade und dazu einen wunderbaren Apfelkuchen. Im grossen Kamin brennt ein Feuer und bald sind alle Finger wieder aufgewärmt.

Roberto hat unterdessen den Bus hergebracht und so fahren wir kurz darauf wieder weiter. Nächster Halt an der Bahia Lapataia, am Lago Roca. Hier endet die Panamericana. Die Strasse, die Alaska mit Feuerland verbindet. 17'848 km bis Alaska erzählt die Tafel.

Der Laco Roca ist ein grosser See, der durch den Rückgang eines Gletschers entstanden ist. Sein Ursprung liegt auf chilenischer Seite. Hier hat man vor knapp 200 Jahren Menschen entdeckt, die nackt da lebten. Sie ernährten sich vom Fischfang, assen viel Robbenfleisch und schmierten sich zum Schutz gegen die Kälte mit Robbenfett ein. Man sieht hier am Ufer noch runde Vertiefungen, wo einmal eine Hütte stand. Die Hütten wurden von vielen Generationen genutzt und so sind die Vertiefungen geblieben. Uns schaudert der Gedanke, dass hier Menschen nackt hatten leben können. Der Ausblick auf den See ist aber sehr romantisch, auch wenn sich die Sonne noch immer nicht zeigt und sich im Gegenteil wieder leichter Nieselregen eingestellt hat. Auf der Rückfahrt muss Roberto Ketten montieren. Es gibt auf der eisglatten Strasse kein Weiterkommen mehr. Aber er ist geübt, und so sind wir schon bald zurück in der Stadt Ushuaia.

Es ist erst ein Uhr und ich überlege, was ich heute noch anstellen könnte. In der Touristeninformation hatte ich etwas von Yachten gelesen, die jeweils am Nachmittag in den Beagle Canal hinaus fahren. Der Beagle Canal ist der Durchgang vor der Stadt Ushuaia. Ähnlich wie die Magellanstrasse verbindet er den Atlantik mit dem Pazifik, einfach etwas weiter südlich. Im Hafen finde ich bald ein Büro wo ich ein Ticket kaufen kann und pünktlich um drei fahren wir los. Diesmal hab ich den Europa-Bonus nicht allein. Wir sind 4 Argentinier, 2 Portugiesen und ich. Wieder eine kleine Gruppe, denn im Sommer fährt die Yacht mit 16 Leuten hinaus.

Wir haben also angenehm Platz in der grossen Kabine. Eusebio, unser Führer erklärt erst einmal die Geografie. Und dazu liegt schon bald die Karte auf dem Tisch. Interessant, wie oft man hier die Karte braucht. Schon Leny hat am morgen immer wieder die Karte gezeigt, um uns die komplizierte Geografie erklären zu können. Hier gibt es unzählige Meeresarme und immer wieder ist die Grenze zu Chile zu erklären.

Eusebio ist übrigens kein Einheimischer. Nein er wurde in Buenos Aires geboren und auf die Frage, warum er hier sei, meint er voller Überzeugung: "Weil es hier so viel spannender ist. Schaut doch mal diese Umgebung an, diese Fauna und Flora. Das ist so gewaltig". Ich hatte am Morgen die gleiche Frage schon Leny gestellt. Auch sie ist nicht hier geboren und hat lange Jahre in Iguazu gearbeitet, also fast in den Tropen. Auch sie hat mir vom Leben hier geschwärmt. Und das obwohl es kaum einen Tag ohne Regen gibt, obwohl sich die Sonne an vielen Tagen, wie heute, überhaupt nie zeigt.

Nach kurzer Fahrt kommen wir zu einem Felsen auf dem eine Kolonie See-Löwen lebt. Ganz zuoberst hocken die ältesten Männchen. Sie verteidigen ihre Plätze gegen jüngere Rivalen und es ist ein ständiger Kampf, der da lautstark ausgetragen wird. Weiter unten liegen die Weibchen mit ihren vielen Jungen. Eigentlich würde ich jetzt ganz gern eine Foto mit Geruch und Sound machen, aber vielleicht würden alle das Programm gleich wieder schliessen, wenn sie dieses Foto ansehen würden. Es ist ein unglaublicher Gestank, der von diesen Tieren ausgeht und es brüllen nicht nur die Männchen auf ihrem Thron, sondern auch die Jungen, wenn sie etwas wollen. Aber trotzdem ist es natürlich sehr eindrücklich, die Tiere hier in Freiheit beobachten zu können. Weil wir auf der Yacht sind, kommen wir viel näher heran, als der grosse Katamaran, der ebenfalls hier ist.

Auf der nächsten Insel wohnen Kormorane. Von weitem gesehen könnte man meinen, es seien kleinere Pinguine, aber es sind Kormorane und manchmal fliegt einer weg, oder kommt einer dazu. Aber eigentlich stehen sie sich hier einfach die Füsse in den Bauch. Und sie lassen sich von den Schiffen nicht stören. Die kommen jeden Tag hierher.

Wir umkreisen noch den alten Faro les Ecaileurs und als wir zurück in die Kabine kommen, überrascht uns der Matrose mit einem Imbiss. Kaffee, Milch- und Schokoladepulver stehen auf dem Kartentisch. In der Kombüse hat er heisses Wasser gemacht und dazu gibt's Kekse. Wir bedienen uns und währenddessen geniesst die Crew einen Mate. Der Kapitän lädt mich ebenfalls zu einem Becher Mate ein und ich nehme die Einladung an. Allerdings wende ich mich nachher wieder ganz gerne dem Kartentisch zu.

Ein kurzer Spaziergang auf einer Insel stand ebenfalls noch auf dem Programm und bald nähern wir uns dieser Insel. Die Sonne ist bereits untergegangen und so meint Eusebio, wir müssten uns etwas beeilen. "Oder mögt ihr nicht mehr bis zum Hügel mitkommen?" Fragt er. Alle wollen mit und dann legt Eusebio los. Er rennt sozusagen hinauf. Zum Glück bliebt er zweimal stehen um uns einerseits einen uralten Strauch zu zeigen: "der ist bestimmt schon 30 Jahre alt, aber hier wächst eben alles sehr langsam" und andererseits an einem Strauch ein paar Beeren, die in den nächsten Tagen reifen werden und Nahrung für die Vögel sein werden. Ich keuche ihm hinterher, immer darauf bedacht, den Anschluss nicht zu verpassen. Erst ganz oben lasse ich die anderen an mir vorbei ziehen, damit niemand mitbekommt, wie ich um Luft ringe. Aber die Aussicht auf die Lichter der Stadt ist toll und der Aufstieg hat sich trotz Anstrengung gelohnt. Zurück geht es erst recht im Laufschritt. Es ist auch höchste Zeit, denn schon bald wird man hier gar nichts mehr sehen. In der Kabine empfängt uns der Matrose mit einem Schnaps. Mit diesem stossen wir auf dem Rückweg an und feiern zusammen den erfolgreichen Ausflug in den Beagle-Canal.

Ja und jetzt bin ich fix und fertig. Zwar habe ich diesen Bericht noch geschrieben, aber ihn jetzt auch noch online zu stellen und Fotos auszuwählen. Nein, heute nicht mehr. Hab unterdessen etwas zum Essen gepickt. Käse, Salami, Brot und den Rest Rotwein von gestern. Ist doch einfach toll, eine eigene Wohnung mit vollem Kühlschrank zu haben.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nicht Nichtstun steht im Mittelpunkt. Sondern etwas tun, wofür im normalen Alltag zu wenig Zeit bleibt. Meine beiden Leidenschaften Reisen und Schreiben möchte ich miteinander verbinden. Und wenn mich dabei jemand begleitet, umso schöner. Es sind vor allem Geschichten, die ich erzähle und erst in zweiter Linie Beschreibungen von Orten und Gebäuden. Ich möchte versuchen, Stimmungen herüberzubringen. Feelings, sentimientos. Wenn mir das manchmal gelingt, ist mein Ziel erreicht.
Details:
Aufbruch: 12.04.2008
Dauer: 4 Monate
Heimkehr: 03.08.2008
Reiseziele: Uruguay
Brasilien
Paraguay
Argentinien
Chile
Bolivien
Peru
Guatemala
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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