TimeOut in Südamerika

Reisezeit: April - August 2008  |  von Beatrice Feldbauer

Woche 14 12.-18. Juli 2008: Linien

Es ist schon länger bekannt, dass dieses Riesenfaultier Mühe hat, längere Zeit ein Faultier zu sein und so entschloss ich mich heute Morgen, meine Siebensachen wieder einmal zusammenzupacken und die Weiterreise ins Auge zu fassen.

Zuerst genoss ich aber noch einmal das Frühstücksbuffet. Man weiss ja nie, was noch kommt. Danach ging ich zum Busbüro und reservierte einen Platz im Abendbus nach Lima. Und auf dem Rückweg sah ich ein sehr eigenartiges Fahrzeug. So etwas wie ein Buggy mit 7 Sitzen hinten drauf, die ausserdem noch überdacht und leicht ansteigend angebracht waren.

Der Sandfloh

Der Sandfloh

Ein solches Fahrzeug hatte ich noch nie gesehen und so war es nicht verwunderlich, dass ich die zwei Typen fragte, die vor einem Exkursionsbüro miteinander schwatzten, ob man damit Ausflüge machen könne. "Ja, eigentlich schon", war die Antwort, "aber es gehört nicht zu unserem Büro. Anderes Geschäft, damit fährt man in die Sandwüste."

Da ich jetzt schon mal im Gespräch bin, frage ich, ob es eine Möglichkeit gibt, die Linien und Zeichnungen, die ich gestern aus der Luft sah, auch vom Boden aus zu sehen. "Ja, eigentlich schon. Man könnte einen Ausflug machen. Es gibt da einen Mirador, den man besuchen kann." "Und wie komme ich dazu, jemanden zu finden, der einen Ausflug macht?"

Jetzt wird es konkreter. "Hier, mein Kollege ist Guia, er hat einen Wagen, er könnte sie hinausführen." Schon viel besser, aber ich merke, der Kollege ist nicht wirklich begeistert, sein angeregtes Gespräch einfach so zu unterbrechen. Ausserdem kann er seine Wagenschlüssel nicht finden. Sind vielleicht zu Hause geblieben.

"Nun schau nochmal nach, in deiner Jacke", rät ihm sein Freund. Und tatsächlich, da sind die Wagenschlüssel und es gibt keine Ausrede mehr. Ich steige in den uralten Nissan und röchelnd erwacht der Motor zum Leben.

Natürlich kommt zuerst mal die obligate Frage: "De donde son?" Woher kommen sie? "Ah, Suiza, sprechen sie deutsch?" Er hat in Deutsch gefragt und ich antworte selbstverständlich auch in Deutsch. Es folgen weitere Fragen: "Geht es ihnen gut?" und "wie heissen Sie?" "Ich heisse Adrian." Damit scheint sein Deutsch zu Ende zu sein, aber ich bestätige ihm, dass seine Aussprache sehr gut sei und damit ist das Eis gebrochen.

Wir fahren auf der Panamericana zur Stadt hinaus. Hier im grünen Gürtel neben dem trockenen Bachbett sind wahrhaftig die Gemüsegärten der Stadt. "Im Moment ist Kartoffelsaison. Und der Mais blüht", erklärt Adrian. "Im Sommer ist Regenzeit, aber jetzt im Winter wächst alles. Die Erde ist sehr fruchtbar. Es gibt hier Grundwasser, weil diese Gegend etwas tiefer ist, als die Wüste rundum". Ich frage ihn nach den Trauben, die ich zu sehen geglaubt hatte. Ja, natürlich, werden auch Trauben angebaut. Es wird Wein und Pisco produziert.

Wir halten kurz an, damit ich ein paar Fotos machen kann. An den Kaktussen hat es weisse Spuren, die ich als Staub betrachte. Aber Adrian zeigt mir, dass das kleine weisse Insekten sind. Sie sind fast kugelrund und kleben an den grossen Blättern. Es braucht nur einen ganz kleinen Anstoss und die Kügelchen öffnen sich. Heraus quillt eine dunkelrote Flüssigkeit.

"Die Leute sammeln sie mit kleinen Pinseln ein und verkaufen sie an die Kosmetikindustrie. Es ist der Farbstoff für Lippenstift und bringt gutes Geld," erklärt Adrian.

Nur schmal ist der grüne Gürtel, ein paar Meter steigt die Strasse an und schon sind wir draussen in der Steinwüste. Hier gibt es ein paar Hügel, aber daneben ist das Land absolut eben.

ein paar Meter Anstieg und der grüne Gürtel ist fertig

ein paar Meter Anstieg und der grüne Gürtel ist fertig

Schon nach ein paar Kilometern hält Adrian an und schwenkt in einen kleinen Parkplatz ein. Hier ist der erste Mirador, ein Hügel. Wir steigen hinauf und ich muss innerlich lachen. Kaum bin ich wieder unterwegs, steige ich bereits wieder auf Hügel. Doch es ist ein sehr kleiner Hügel und ausserdem habe ich hier überhaupt keine Mühe mehr mit dem Atem. Es ist einer von über 30 Punkten, von dem viele Linien ausgehen. Es sind Linien, die in einem Winkel von 20 Grad vom Hügel wegzeigen.

Der Mirador

Der Mirador

Maria Reiche, die deutsche Wissenschaftlerin, die viele Jahre die Linien in der Wüste von Nazca studierte, kam zum Schluss, dass es sich um ein riesiges Observatorium gehandelt hätte. Die Linien zeigen dahin, wo die Sonne an bestimmten Tagen im Jahr unterging. Zum Beispiel hier, dies ist die Linie des 21. Juni. Bis hierhin kommt die Sonne, dann geht sie wieder zurück. Mit den Linien liess sich das Datum ablesen. Es gibt aber auch viele Linien, die sich irgendwo zu einem Spitz treffen. Dreiecke und Quadrate. "Die hat dieser Däniken als Landeplätze definiert". "Glaubt man hier an die Möglichkeit von Landebahnen?" Nein, daran glaubt man hier nicht.

Und wie wurden die Linien gemacht? Von Hand, einige ganz einfach nur dadurch, dass die Steine aus dem Weg geräumt wurden, andere Linien wurden leicht eingegraben. Es gibt Linien, die 30 cm breit sind, aber auch welche die bis zu 1 Meter breit sind. Die Sonnenlinien sind manchmal durch Querlinien verbunden.

"Und was ist mit den Zeichnungen?" "Es gibt verschiedenen Theorien, aber schau mal, es gibt dabei so viele Vögel. Den Kolibri, den Papagei, den Kondor." Adrian hat eine Zeichnung dabei und zeigt mir noch viel mehr Vögel, als die die ich gestern gesehen hatte. "Vögel sind die Boten und Vermittler zum Himmel. Was hier unbedingt wichtig war, war Regen, Wasser." Vielleicht wollte man damit die Vögel anlocken, um Wasser bitten. Könnte einleuchten. Die Zeichnungen sind vom Mirador alle nur in Richtung Meer. In die andere Richtung gibt es keine Zeichnungen. "Aber es gibt noch eine andere auffällige Serie: Meerestiere. Den Wal, einen Fisch, Seevögel. Auch dies vielleicht eine Bitte um Wasser".

eine flache Ebene, soweit das Auge reicht - ideale Zeichnungsflächen

eine flache Ebene, soweit das Auge reicht - ideale Zeichnungsflächen

Erstellt wurden die Zeichnungen von einem Volk, das lange vor den Inkas gelebt hat. Die Entstehung wird zwischen 300 vor und 300 nach Christus datiert. Die Gegend hier war nie Teil des Inkaimperiums, das erst später entstand.

Die Zeichnungen sind zum Teil tiefer angelegt, als die Linien. Einige sind bis zu 30 cm in den Grund eingegraben. Allerdings sind sie heute bis auf 5 cm wieder mit Sand aufgefüllt. Aber weil der Sand eine andere Farbe hat, kann man sie immer noch sehr gut erkennen.

Wie haben sich die Linien so gut erhalten? Es wird hier sehr heiss. Und wenn es heiss ist gibt es direkt über dem Boden kaum Wind, keine Bewegung. Ausserdem ist der eigentliche Boden hier heller, man sieht das auch da, wo die Erosion oder Wasser Spuren hinterlassen hat. Durch die Verschiebung der Kontinente kamen auf den hellen Boden dunklere Steine zu liegen. Wenn man diese entfernt, entstehen helle Linien.

eine ganz normal Linie

eine ganz normal Linie

Nicht alle Linien sind aus der Nähe als solche zu erkennen. Erst die Distanz zeigt sie. Wenn man so schräg über die Ebene schaut, erkennt man immer mehr Linien. Die Piloten, die zwischen Lima und Peru flogen, haben schon früh entdeckt, dass hier etwas im Sand ist, aber erst in den 30-er Jahren fing Maria Reiche mit ihrer Forschung an. Sie war es auch, die die erste Zeichnung entdeckte. Eine Spinne. Uraltes Symbol für Fruchtbarkeit. Überhaupt die Symbole. Diese waren schon immer bekannt in den Töpferwerkstätten der Umgebung. Einige auch in traditionellen Textilien. Und sie wurden im Sand wieder entdeckt.

Wir fahren noch ein paar Kilometer weiter, kommen zu einem Eisengerüst, auf dem wir 12 Meter hinauf steigen können. Hier sind die beiden Figuren 'Hände' und 'Baum'. Knapp kann ich die Figuren erkennen. Noch nicht herausgefunden hat man, wie die Figuren massstabgetreu auf diese Grösse gebracht werden konnten. Jetzt sehe ich auch die ganz feine Schnur, die rund um die Figuren gezogen ist. Die Figuren sind also geschützt. Man darf sie nicht betreten.

Knapp kann man den Baum erkennen: die Wurzeln sind oben.

Knapp kann man den Baum erkennen: die Wurzeln sind oben.

Noch etwas weiter in der Wüste gibt es ein Museum, das der Forscherin, Maria Reiche gewidmet ist. Ob ich das sehen möchte? Eigentlich würde ich es gerne sehen, aber ich fühle mich bereits wieder etwas erschöpft. Die Sonne brennt heiss vom Himmel und ich gehe jetzt besser zurück. Riesenfaultier lässt grüssen.

Trotzdem, ich bin sehr froh, dass ich diesen Ausflug gemacht habe. Der Flug gestern liess mich etwas ratlos zurück. Ich hatte etwas gesehen, aber ich konnte es in gar keinen Zusammenhang mit etwas bringen. Adrian hat mir trotz anfänglichem Missbehagen ein paar sehr interessante Erklärungen geliefert. Die Sandwüste, zu der man mit den eigenartigen Fahrzeugen unter anderem zum Sanddünen-Surfen fährt, liegt weiter zum Meer hin.

Zurück im Hotel bestelle ich ein spätes Mittagessen, das ich draussen beim Pool geniesse und um fünf Uhr wird mein Bus losfahren. Um Mitternacht werde ich in Lima eintreffen.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nicht Nichtstun steht im Mittelpunkt. Sondern etwas tun, wofür im normalen Alltag zu wenig Zeit bleibt. Meine beiden Leidenschaften Reisen und Schreiben möchte ich miteinander verbinden. Und wenn mich dabei jemand begleitet, umso schöner. Es sind vor allem Geschichten, die ich erzähle und erst in zweiter Linie Beschreibungen von Orten und Gebäuden. Ich möchte versuchen, Stimmungen herüberzubringen. Feelings, sentimientos. Wenn mir das manchmal gelingt, ist mein Ziel erreicht.
Details:
Aufbruch: 12.04.2008
Dauer: 4 Monate
Heimkehr: 03.08.2008
Reiseziele: Uruguay
Brasilien
Paraguay
Argentinien
Chile
Bolivien
Peru
Guatemala
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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