Reise durch Indien

Reisezeit: Juni 2022 - Januar 2023  |  von Beatrice Feldbauer

Wasserstrassen

Wer um alles in der Welt klopft da bereits um sechs Uhr an meine Türe? Schlaftrunken stehe ich auf, da steht einer der jungen Bootsmänner mit einer Kanne und einem Becher. Morgentee.

Da ich etwas überrumpelt bin, lasse ich mir einen Becher einschenken, verziehe mich aber gleich wieder ins Bett. Das war es also, was im Programm als Early-Morning-Tee angekündigt war. Hätte gern darauf verzichtet.

Ein Stunde später kommt jemand mit einem Becher Tee und ein paar Bisquits, das scheint eine Art Früh-Frühstück zu sein. Ich stehe auf, bin nicht ganz sicher, wann das heutige Programm beginnt.

Heute stehen Tiger auf dem Programm. Sie leben hier im Delta und wir werden den ganzen Tag auf den Wasserstrassen unterwegs sein. Allerdings habe ich es irgendwie verpasst, zu erfahren, wann wir losfahren wollen. Entweder war die Information schlecht, vielleicht, habe ich es nicht mitbekommen, weil ich ja die einzige bin, die kein Hindi versteht, vielleicht hat aber auch niemand etwas gesagt. Aber da ich zum zweiten Mal geweckt wurde, wird der Tag jetzt wohl irgendwie anfangen.

Jedenfalls stehe ich um halb acht Uhr am Schiffssteg. Vorher habe ich noch einmal beim Fischmarkt vorbeigeschaut wo grad ein grosser Fisch gewogen wird. Wenn ich die Gewichte richtig interpretiert habe, müssen es fünf Kilogramm sein, die auf der anderen Seite der Waagschale liegen.

Über dem Wasser wallt noch leichter Dunst und es liegen verschiedene Schiffe vor Anker. Ich kann unsere Schiffe nicht ausmachen. Sie sehen alle ungefähr gleich aus. Es liegen viele da draussen auf dem Wasser, warten, bis sie kurz anlegen können, um ihre Passagiere aufzunehmen. Anscheinend sind wir nicht die einzige Gruppe, die hier ist. Ich bin etwas verwirrt, nach einer halben Stunde ist unser Schiff noch immer nicht da und von den Passagieren kann ich auch niemanden erkennen. Soll ich zurück zum Hotel, mich noch einmal richtig erkundigen?

Ich schaue mich noch einmal auf dem kleinen Markt um, schaue einem der grossen Plüschtiger in die Augen. Sie werden in Massen verkauft. Kleine und grosse Tiger und andere Plüschtiere. Ob wir heute tatsächlich einem echten Tiger begegnen werden?

Und endlich erkenne ich ein paar meiner Mitreisenden. Auch sie sind unsicher, wissen nicht, wann wir losfahren werden, aber immerhin bin ich jetzt nicht mehr allein und dann kommt auch der Guide daher. Das Schiff wird gleich anlegen.

Es gibt noch eine kurze Diskussion, ja man kann es gar als Streit bezeichnen, während wir auf das Schiff warten. Zuerst finde ich es lustig, als zwei Boots-Helfer anfangen sich anzuschreien. Natürlich verstehe ich kein Wort, finde es witzig, vor allem, als sich der eine oder andere Passagier noch einmischen. Doch es scheint ersthaft zu sein und jeder will noch etwas dazu sagen. Dass Inder tatsächlich Streit haben können, verwundert mich sehr, denn bisher habe ich sie als tolerant und ruhig erlebt Ohne grosse Emotionen, weder positiv noch negativ und jetzt das.

Die Worte fliegen nur so hin und her. Und dabei stehen sie alle auf dem schmalen Steg, der hinunter zu den Booten führt. Wenn da nur keiner runterfällt. Eine Schlägerei erträgt die Situation nicht. Unten liegt dicker Schlamm. Endlich ist die Sache geklärt, die Gemüter beruhigen sich, eines der Schiffe legt ab. Worum es ging? Die Zeit für jedes Boot ist limitiert, anscheinend hat eines der Touristenboote zu lange da gestanden, weil noch nicht alle Passagiere da waren. Andere wollten auch zusteigen, wollten anlegen, doch der Platz und die Zeit sind limitiert.

Jetzt liegen unsere beiden Boote da, wir können einsteigen, es sind zum Glück alle Passagiere da, so dass wir bald darauf loslegen können

Wir fahren auf die andere Seite des Wasserarmes, der so breit ist, dass er wie ein See wirkt. Mit uns ist ein neuer Guide eingestiegen. Anirban erzählt, dass er hier in einem der Dörfer lebt und uns durch das Delta begleiten wird. Seine Aufgabe sei es, uns wilde Tiere zu zeigen. Ob man denn tatsächlich Tiger sehen könne, will man von ihm wissen.

Ja, es leben ziemlich viele Tiger hier im Delta. Es ist der bengalische Tiger, das ist nach dem sibilirischen Tiger der zweitgrösste, den es gibt. Speziell bei diesem Tiger ist, dass er schwimmen kann. Er schwimmt sogar sehr gut, ziemlich schnell und kann breite Wasserwege von bis zu 80 Metern überwinden. Das muss er auch, denn sein Terrain ist gross. Tiger leben allein, nur während der Paarungszeit kann man zwei zusammen antreffen, die restliche Zeit sind Tiger einsame Jäger..

Die Bewohner der Dörfer haben immer wieder gefährliche Begegnungen mit dem wilden Tier. Seien es Krabbenfischer oder Honigsammler, es gibt jedes Jahr 4-5 Todesfälle mit Tigern, denn bei einem Angriff gibt es kein Überleben für den Menschen. Waffen dürfen keine mit sich getragen werden, die Tiger stehen unter absolutem Schutz. Sie können tatsächlich Salzwasser trinken und es scheint, dass das die Tiere agressiver macht. Auch werden sie hier nicht so alt, wie Tiger in anderen Umgebungen. Der Königstiger oder eben bengalischer Tiger ist das Nationaltier von Indien und Bangladesch.

Anirban versteht es, unser Interesse für das Tier zu wecken und wir sehen dem heutigen Tag mit gemischten Gefühlen entgegen. Und dann herrscht kurzfristig etwas Aufregung. Eine Schlange überquert das Wasser. Schwimmt mit erhobenem Kopf und schlängelnden Bewegungen neben dem Schiff. Eine Giftschlange.

Gut gemacht, unsere Aufmerksamkeit ist geweckt.

Am Ufer steigen wir aus dem Boot und gehen zum Aussichtsturm, der hier aufgebaut wurde, damit man sich eine Übersicht über die Situation verschaffen kann.

Eine Schlange!

Eine Schlange!

Anirban, unser Guide, der uns durch die Wasserwege begleiten wird.

Anirban, unser Guide, der uns durch die Wasserwege begleiten wird.

Noch immer liegt leichter Dunst über dem Wald, in der Nähe liegt ein Süsswasserbecken. Obwohl der Tiger mit Salzwasser überleben kann, mag er lieber Süsswasser und so ist das Becken bewusst hier angelegt. Auch die gerodeten Stellen sollen den Touristen helfen, einen Tiger zu sehen, der sich der Wasserstelle nähert. Ich allerdings zweifle schon jetzt daran, dass wir heute einen echten Tiger vor die Linse bekommen werden. Da stapfen 50 Touristen durch die Gegend, die Tiger werden sich hüten, genau dann zur Wasserstelle zu kommen. Aber wie immer, Überraschungen sind gewünscht.

Die Umgebung des Turmes und der Weg vom Wasser dorthin ist mit einem hohen Zaun geschützt. Wir können uns also bedenkenlos bewegen. Die Pflanzungen sind junge Mangrovenpflanzen, die ausgesetzt werden, sobald sie eine gewisse Grösse erreicht haben.

Leider wurde in der Vergangenheit der halbe Mangrovenwald abgeholzt, jetzt ist man daran, wieder aufzuforsten.

Das Delta gehört nur zu einem Drittel zu Indien, die Grenze ist hier ganz in der Nähe, Zwei Drittel des Deltas gehörten zu Bangladesch. Dort ist es der grosse Fluss Brahmaputra, der das Wasser aus Butan und dem Norden von Bangladesch ins Meer bringt.

Eine Bienenwabe.

Eine Bienenwabe.

Nach unserem Besuch auf dem Aussichtsturm geht es zürick aufs Schiff, wo jetzt das Frühstück serviert wird. Paneer-Curry mit Chapati und einem süssen Honigkringel. Die Süssigkeiten hier sind meistens in Honig eingelegt und tropfen nur so. Aber sie schmecken wunderbar.

Wir fahren weiter dem Ufer entlang, und unser Guide erzählt noch ein wenig vom Leben hier am Wasser, von den Tigern und er schafft es, dass wir alle von Tigern fasziniert sind und an seinen Lippen hängen.

Bald erreichen wir den zweiten Aussichtsturm. Auch hier wieder gibt es hohe Zäune, die die Touristen vor den Tigern schützen. Ausserdem ein grosses Süsswasserbecken, in dem das Regenwasser aus den Munsunzeiten gespeichert wird und breite abgeholzte Schneisen. Doch, man könne hier Tiger beobachten, versichert mit Anirban, muss aber zugeben, dass das eher in den Morgen- oder Abendstunden der Fall ist. Dann, wenn die Touristen nicht hier sind, sondern nur die Wärter, die hier arbeiten und die Pflanzungen überwachen.

Mangroven mit ihren typischen Luftwurzeln

Mangroven mit ihren typischen Luftwurzeln

Wir fahren weiter. Suchen das Ufer ab, nach wilden Tieren. Doch die einzigen Tiere, die wir aufschrecken, sind ein paar Vögel am Ufer. Weisse Silberreiher und kleinere braune Vögel, die aufgeregt ein paar Meter weiter fliegen, wenn die Boote in Sichtweite kommen.

Immerhin, zweimal können wir einen Eisvogel sehen. Wie er da am Ufer auf einem freien Ast sitzt und das Wasser überwacht. Doch bis wir nahe genug sind, dass die Kameras ihn erfassen könnten, ist er längst weiter geflogen.

Wir sind ein ganzer Konvoi von insgesamt fünf Booten. Wie soll sich da ein Tiger ans Wasser trauen. Die Wasserwege, durch die wir fahren, sind streng limitiert, es sind nur Touristenboote unterwegs. Ich frage nach den Fischerbooten, denn ich würde gern sehen, wie hier gefischt wird. Mit ausgelegten Netzen?

Die Fischer kommen nicht hierher, diese Wasserstrassen, durch die wir fahren, sind strikte nur für die Touristen frei gegeben, erklärt mit Anirban. Wenn das nicht nur die Fischer sondern auch die Tiger wissen, ist die Chance, heute noch einen zu sehen, bestimmt nicht gegeben. Ausserdem sind die Wasserstrassen sehr breit. Auf der Karte sieht es nach schmalen Wasserläufen aus, aber in Wirklichkeit sind es breite Flüsse.

Doch plötzlich wird Anirban ganz aufgeregt. Dort! Ein Krokodil, ein Grosses! Da braucht man nicht einmal einen Feldstecher, um es zu sehen.

Tatsächlich liegt da ein grosses schwarzes Krokodil auf einer Sandbank. Lässt sich von der Sonne wärmen. Wenigstens haben die Krokodile nicht das Weite gesucht, als die Touristenboote angesagt waren. Wir finden später noch ein zweites. Und auch ein paar Rehe verstecken sich am Ufer zwischen den Bäumen. Man muss allerdings schon sehr gut hinsehen, um sie zu entdecken. Meine Kamera reicht da natürlich nicht für ein gutes Bild.

Rehe zwischen den Mangroven

Rehe zwischen den Mangroven

Die Stunden ziehen sich dahin, es ist ein langer, langsamer Tag. Wir fahren entlang dem Ufer, fahren in schmalere Flussläufe, einmal sogar bis fast kein Wasser mehr da ist. Dann muss das Schiff drehen und wieder zurück fahren. Gesehen haben wir zwar keine Tiger, aber es wurde wenigstens dauernd davon gesprochen und der bengalische Tiger wird mir bestimmt ein Begriff bleiben. Wo auch immer ich ihm in Zukunft begegne, werde ich an diese Fahrt denken.

Ausser unseren Touristenbooten ist uns nur noch dieses Boot begegnet. Es gehört der Polizei, die für die Kontrolle der Gegend zuständig ist.

Ausser unseren Touristenbooten ist uns nur noch dieses Boot begegnet. Es gehört der Polizei, die für die Kontrolle der Gegend zuständig ist.

Wir kommen noch einmal zu einem kleineren Aussichtsturm, der aber auch nicht mehr hergibt. Dafür gibt es hier noch einen langen Canopy-Steg. Einen Kilometer lang führt er durch das Gelände. Natürlich schauen wir uns trotzdem die Augen aus nach einem gelben Tiger.

Zwischen den niedrigen Palmen dort drüben würden sie sich sehr gut verstecken, meint Anirban. Er schafft es, unsere Aufmerksamkeit immer wieder zu fesseln und die Hoffnung nicht ganz einschlafen zu lassen. Auf der anderen Seite des Wasserbeckens können wir immerhin einen Varan ausmachen. Einen grossen, der von blossem Auge tatsächlich knapp erkennbar ist.

HIer gibt es grössere Pflanzungen und es scheint auch ein richtiges Schutzzentrum zu sein. Jedenfalls leben hier ständig ein paar Soldaten. Es gibt einen gut geschützten Bereich mit ein paar kleinen Hütten.

Es gibt mehr als 100 verschiedene Mangrovenarten auf der Welt. 80 Sorten davon kommen hier im Delta vor.

Nach diesem letzten Beobachtungs-Punkt, der ziemlich weit im Süden liegt, sind wir an der letzten Station unserer Exkursion angekommen. Wir fahren zurück und es gibt Mittagessen.

Reis, Dal und zwei Sorten von Fischcurry. Nur schade, dass hier alles gekocht wird. Fisch vom Grill ist nicht bekannt. Es muss alles totgekocht werden. Das schmeckt zwar fein, aber als ich die schönen Fische am Morgen gesehen hatte, hatte ich grosse Lust nach einem richtig feinen Fisch vom Grill. Doch dafür bin ich hier wohl im falschen Land.

Bald darauf geht die Sonne unter und wirft noch einmal eine goldene Strasse über das Wasser. Als wir ins Dörfchen zurück kommen, verziehe ich mich ins Zimmer. Zwar gäbe es später noch Nachtessen, doch da bin ich bereits tief eingeschlafen.

Der Tag auf dem Wasser war zwar überhaupt nicht anstrengend, aber die vielen Stunden haben mich schläfrig gemacht.

Als um zehn Uhr an meine Türe geklopft wird, öffne ich zwar kurz - sonst hätte wohl das Klopfen nicht aufgehört, doch ich verzichte auf das Nachtessen. Da ich sowieso meistens nur Frühstück und Nachtessen esse, ist mein Magen noch immer beschäftigt.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es geht wieder los. Vier Monate ist es her, seit ich von meiner Südamerikareise zurück gekommen bin. Sieben Monate war ich unterwegs. Und jetzt stehe ich vor einem neuen Start. Mein Traum ist das Taj Mahal. Mein Ziel heisst Indien.
Details:
Aufbruch: 01.06.2022
Dauer: 8 Monate
Heimkehr: 30.01.2023
Reiseziele: Vereinigte Arabische Emirate
Indien
Indonesien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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