Reise durch Indien

Reisezeit: Juni 2022 - Januar 2023  |  von Beatrice Feldbauer

Keoladeo Nationalpark

Nach dem Frühstück mache ich eine Runde durchs Quartier. Schaue in viele kleinen Läden, wo ich von einigen Ladenbesitzern bereits gegrüsst werde, weil ich wohl schon zum dritten Mal vorbei laufe. Andere rufen Pani? Wasser? denn sie möchten mir eine Flasche Wasser verkaufen. Kleine Geschäfte, die auf die kleinsten Einkünfte angewiesen sind. Bei Coiffeuren schaue ich hinein und werde mit einem Winken gegrüsst. Komm herein, meint der Coiffeur, der grad einem kleinen Jungen eine modernen Kurzhaarschnitt verpasst.

Bei der Wäscherei frage ich, wie lange man für die Wäsche braucht und wann ich sie zurück haben könnte. Morgen, meint der Mann hinter der Theke und lacht: I am so happy, lacht er, als ich verspreche, später noch einmal zu kommen.

Beim Fahrradhändler muss ich selber lachen. Ein kleiner Junge schaut zu, wie sein rotes Fahrrad repariert wird. Doch er ist nicht der einzige Zuschauer. Fünf Männer sitzen ebenfalls da, plaudern, gucken in ihre Handys. Vielleicht warten sie auf Arbeit, vielleicht gehören sie einfach zu zum Inventar des Händlers und machen kleine Besorgungen, wenn es sie braucht.

die Wäscherei

die Wäscherei

All die vielen Kioske, die Lebensmittelhändler, die Garküchen, sie alle sind von der Weisung betroffen, ab 17. Oktober ihr Geschäft zu schliessen. Ich kann das gar nicht fassen. Wie kann es möglich sein, dass man so mit den eigenen Leuten verfährt. Wo sollen all die Menschen hin, wovon sollen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Sie leben zum grössten Teil in ihren eigenen Häusern. Um irgendwo anders neu anzufangen, müssten sie Miete zahlen, müssten jeden Tag irgendwohin fahren. Wo es wahrscheinlich schon genugend Kioske, Coiffeure oder Reiseagenturen gibt. Ich kann die Verzweiflung gut verstehen. und weiss, dass es hinter den freundlichen Gesichern brodelt.

Gegen 500 Geschäfte seien betroffen, erzählt Ali bei einem Chai in seinem kleinen Büro. Letzte Nacht gab es wieder eine Versammlung und man hat beschlossen, einen Anwald anzustellen. Einen, der bei der Regierung in Delhi vorstellig werden soll. Vielleicht werden auch ein paar Vertreter des Gewerbes mitgehen. Es muss etwas passieren, man kann das nicht einfach über sich ergehen lassen.

Jetzt wird Geld gesammelt, um den Anwald zu bezahlen. 50'000 Rupies soll Ali bis Freitag bezahlen, Arif der Juwelier spricht von 30'000. Doch beide wissen im Moment nicht, woher sie es nehmen sollen. Ali war bereits auf der Bank, doch das ist hoffnungslos.

Die einzige Möglichkeit sind Verkäufe, aktuelle Geschäfte. Wohl darum schlägt Ali vor, heute Nachmittag nach Bharatpur zu fahren. Was ist das? will ich wissen. Ein Vogelschutzgebiet, eine Naturschutzzone, erklärt Ali. Und dass er selber auch mitfahren würde. Es tue ihm gut, weg zu kommen aus der Stadt, weg von den anderen, da sich jedes Gespräch hier nur um das eine dreht. Wie soll es mit uns weiter gehen?

Bevor wir losfahren, bringe ich noch meine Wäsche in die Laundry, und Tarachand versichert mir, wie happy er sei, dass ich zurück gekommen bin. Dann leert er meinen Wäschesack auf der Theke aus und zählt die Stücke durch. Das ist ziemlich peinlich, aber er kommt auf die gleiche Anzahl: 10 kleine, 10 grosse Stücke. Morgen Mittag kann ich sie abholen

Es sind fast 60 km bis Bharatpur. Der Ort liegt in Rajasthan, so dass wir auch noch einen kleinen Checkpoint passieren müssen, als wir die Landesgrenzen ankommen. Auf der Strasse gibt es sie überall, diese Checkpoints. Im Zug oder Bus spürt man sie nicht. Aber Autos müssen kurz anhalten, der Taxifahrer zeigt seine Papiere, erklärt woher sein Passagier ist, worauf ich kurz durch das Fenster visioniert werde, dann können wir weiter fahren.

Das Vogelschutzgebiet ist liegt im Keoladeo-Nationalpark, der fast mitten in der Stadt Bharatpur liegt und durch eine Mauer rundum abgeschlossen ist. Es handelt sich um eine Senke, in der das ganze Jahr Wasser hat, je nach Jahreszeit ist der Wasserstand höher oder tiefer. Die beste Jahreszeit für einen Besuch sei der Winter von November bis März, weil dann viele Zugvögel aus Afganistan und anderen Ländern hier überwintern.

In den Park kommt man mit Rikschafahrern und wahrscheinlich könnte man sich auch Fahrräder ausleihen. Ali kommt zu meiner Überraschung mit auf die Fahrt und bleibt diesmal nicht mit dem Taxifahrer draussen. Das erschwert es für unseren Fahrer doch beträchtlich, denn wir sind beide keine leichte Fracht. Das merkt man vor allem am Anfang unserer Fahrt, da das Gelände ganz leicht ansteigt. Da muss sich Rakesh ziemlich anstrengen, er tut mr leid.

Das gebotene Speedlimit von 20 km/h kann er jedenfalls problemlos einhalten. Und auch die Pferdekutsche, die uns irgendwann entgegenkommt, wird damit keine Probleme haben. Es seien nur zwei Pferde im Einsatz, den Rest bewältigen die Rikschafahrer, erklärt Rakesh.

Wir begegnen einer Affenbande. Noch immer habe ich ziemlichen Respekt vor den Tieren, auch wenn sie uns diesmal kaum beachten, knapp zu Seite gehen, wenn sich ein Fahrzeug nähert und danach die Strasse wieder in Anspruch nehmen.

Ich sehe viele wunderschöne Schmetterlinge, die sich am Strassenrand auf die wenigen Blüten sammeln, leider kann ich nicht absteigen, Rakesh fährt weiter.

Erst im Schatten einiger höherer Bäume, da wo es eine grössere Wasserfläche gibt, bleibt er stehen, wir können absteigen. Ich liebe diese dunklen Wasser mit den schwarzen Bäumen, die sich im Wasser spiegeln, aber ich merke, dass Ali die Sache bald gesehen hat, er will weiter.

Nur noch versuchen, den Vogel im Dickicht zu fotografieren, dann steigen wir wieder auf. Ich weiss natürlich, dass sich ein Handy für Vogelbeobachtungen nicht wirklich eignet, werde mich eben mit den Fotos von weit entfernten Vogelsiluetten begnügen müssen. Wichtig ist ja eh, dass ich sie überhaupt gesehen habe. Und die Fahrt durch die grüne Natur mit den vielen Wasserstellen tut richtig gut nach all den Strassen udn dem Verkehr in der Stadt.

Als wir das nächste mal anhalten, steht da schon eine Rikscha und deren Fahrer macht uns auf eine Wasserschlange aufmerksam. Es dauert eine ganze Weile bis ich sie endlich entdecke. Direkt vor mir in den Zweigen der Böume. Ich hatte beim Begriff Wasserschlange das Wasser abgesucht und jede verdächtige Form als Schlange gesehen.

Dabei hängt sie direkt vor uns, räkelt sich zwischen den Blättern und schert sich nicht um die schnatternden grünen Papageien, die aufgeregt flattend wegfliegen.

Rakesh hat derweil mein Handy genommen, einen Feldstecher davor geklemmt, macht ein paar Fotos und sogar ein Video von der Schlange.

Nein, sie ist nicht giftig, versichert mir der Guide der anderen Rikscha.

Wir fahren weiter. Ich suche die Umgebung nach Vögeln ab, doch Rakesh ist viel besser darin. Immer wenn er einen Vogel sieht, hält er an, wir steigen herunter und ich versuche zu fotografieren.

Mir gefallen aber nicht nur die Vögel, die tatsächlich schwierig einzufangen sind, sondern vor allem auch die Landschaft. die grünen Wasserflächen, die fast komplett mit kleinen Wasserpflanzen überwachsen sind, die schwarzen Wasser zwischen abgestorbenen Ästen die irgendwann ins Wasser gefallen sind, die offenen Wasserflächen, in denen sich die Umgebung spiegelt. Nur Ali scheint die Idylle nicht geniessen zu können. Ich merke, wie er weiter drängt. Schade, ich wäre gern auch ein paar Schritte gelaufen, doch das ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zu einer Stelle, wo auf der anderen Seite der grossen Wasserfläche ganz viele Buntstörche hausen. Sie seien am Brüten, erklärt Rakesh. In ganzen Kolonien leben sie hier in den Bäumen, fliegen auf und suchen Nahrung, kommen zurück, stehen in ihren Nestern. Leider sind sie viel zu weit weg für scharfe Bilder, aber ich finde sie trotzdem spannend. Vor meiner Reise nach Indien hatte ich keine Ahnung, dass sie überhaupt existieren, dann habe ich sie in jedem Zoo angetroffen und jetzt hier in der Freiheit.

Buntstörche in den Bäumen

Buntstörche in den Bäumen

Flughunde hängen in den Bäumen

Flughunde hängen in den Bäumen

Ein Kormoran lässt seine Flügel trocknen

Ein Kormoran lässt seine Flügel trocknen

Noch ein paarmal halten wir an, damit ich fotografieren kann. Auch bei den riesigen Flughunden, die über der Strasse in den Ästen hängen, versuche ich mein Glück.

Kurz darauf erreichen wir das Ende der Strecke, die ca 5 km lang ist. HIer gibt es eine kleine Cafeteria, doch seit der Pandemie ist sie nicht mehr aufgegangen. Dafür kann ich den Aussichtsturm besteigen. Ali bleibt unten, das ist ihm zu anstrengend, er braucht jetzt eine Zigarette.

Ich geniesse die Ruhe da oben, sehe über das Wasser zu den Nestern der Buntstörche und in den Palmenhain.

Rakesh, unser Rikschafahrer

Rakesh, unser Rikschafahrer

Bevor wir zurück fahren will uns Rakesh noch etws zeigen. In den Ästen eines hohen Baumes hinter der Cafeteria hocken zwei Eulen. Ich nehme an, dass die sich tagsüber immer hier irgendwo aufhalten. Mithilfe des Feldstechers holt er sie näher und macht mir ein paar gute Aufnahmen der beiden grossen Vögel.

Dann fahren wir zurück. Die Schatten sind länger geworden, es weht ein leichter Wind, der sehr willkommen ist, denn es ist ein richtig heisser Tag heute.

Leider habe ich auf der ganzen Strecke kaum mehr Schmetterlinge gesehen, auf diese Aufnahmen muss ich wohl verzichten, das würde von Ali zu viel Geduld erfordern. Vielleicht kann ich die letzten paar Meter zu Fuss gehen, denn dort habe ich besonders viele gesehen, als wir vorbei fuhren.

Ich mache dann tatsächlich die letzten paar Meter zu Fuss. Schmetterlingen begegne ich leider keinen mehr, aber ein paar Kühe kreuzen den Weg. Und mein Abstecher ermöglicht es mir, unserem Fahrer heimlich ein Trinkgeld zuzustecken. Für die Aufnahmen, die er für mich gemacht hat. Ich hatte gestern schon gemerkt, dass Ali das nicht schätzte, als ich meinen Guide etwas bezahlte. Das sei alles in meinem Preis inbegriffen, meinte er. Vielleicht denkt er, dass ich meine Trinkgelder bei ihm lassen soll. Was zwar in seinem Falle verständlich ist, aber ich muss mich ja nicht immer an Vorgaben halten. Jedenfalls strahlt Rakesh über das ganze Gesicht und versichert mir, dass er jetzt sehr happy sei.

Auch Ali sagt, dass ihm der Ausflug gut getan hat, ein paar Stunden haben wir die Situation in seinem Quartier weggelassen er hatte auch keine Anrufe, es blieb ruhig.

Doch am Abend in Agra holt ihn die Realität wieder ein, es gibt eine neue Versammlung, man versucht noch immer das Geld für den Anwald zusammen zu bekommen. Ob das wohl etwas nutzt?

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es geht wieder los. Vier Monate ist es her, seit ich von meiner Südamerikareise zurück gekommen bin. Sieben Monate war ich unterwegs. Und jetzt stehe ich vor einem neuen Start. Mein Traum ist das Taj Mahal. Mein Ziel heisst Indien.
Details:
Aufbruch: 01.06.2022
Dauer: 8 Monate
Heimkehr: 30.01.2023
Reiseziele: Vereinigte Arabische Emirate
Indien
Indonesien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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