Reise durch Indien

Reisezeit: Juni 2022 - Januar 2023  |  von Beatrice Feldbauer

Teegarten

Heute will ich mir die Teegärten ansehen. Diese sind in eher im Süden der Stadt. Ramesh, der wohl noch immer nicht ganz überzeugt ist, dass ich einen guten Fahrer gefunden habe und mir helfen will, fragt, ob seine Tochter heute mitkommen dürfe. Sie würde etwas Englisch-Praxis brauchen und ausserdem könne sie mir bei der Kommunikation mit Rahul helfen. Von seiner Begründung bin ich nicht ganz überzeugt, so nett er ist, so besorgt scheint er zu sein, dass ich den richtigen Umgang habe.

Das mag ja nett sein, aber ich brauche das nicht und reagiere darauf in der Regel instinktiv abweisend. Doch als er mir seine Tochter Sujata am Mittag vorstellt, muss ich zugeben, dass sie sehr nett ist und dass wir einen guten Nachmittag miteinander verbringen werden.

Guwahati ist die grösste Stadt Assams, auch wenn sie nicht die Hauptstadt des Bundesstaates ist. Die Stadt hat fast eine Million Einwohner und soll die am schnellsten wachsende Stadt von Indien sein. Darum ist mir überhaupt nie klar, wann wir noch in der Stadt sind und wann das Land anfängt. Wir fahren durch ein grosses Militärlager. Die Strasse ist auf beiden Seiten mit hohen Zäunen gesichert und irgendwann haben wir tatsächlich die Stadt verlassen. Es geht jetzt in die Hügel, es geht stetig bergauf.

Und dann sind wir im Teegebiet. Rechts von uns wächst Tee am ganzen Hügel. Diese wunderschönen gleichmässigen Pflanzen, alle gleichhoch, genau das wollte ich sehen. Wir halten an.

Doch da gibt es etwas anderes, was meinen Blick in seinen Bann zieht.

Es ist eine kleine Kuhherde. Wobei sich klein nicht nur auf die Anzahl der Tiere bezieht, sondern vor allem auf die Grösse der Kühe. Sind das tatsächlich ausgewachsene Kühe? Oder sind das vielleicht nur Rinder und Kälber? Ich versuche, die beiden Hirten, die die Kühe begleiten zu fragen, doch das ist schwierig. Kühe sind Kühe. Cows are cows. Was gibt es da weiter abzuklären. Ich habe kein Wort für Rinder, weiss auch spontan nicht, was ein Kalb ist. Eine Baby-Cow vielleicht. Ja, es sind die Mütter mit ihren Babys, die da daher kommen. Sie sind tatsächlich viel kleiner als die riesigen Tiere, die ich oft in den Städten gesehen habe. Eine kleine Kuhrasse. Da könnte man sich auf der Stelle in Kühe verlieben. Und erst die kleinen Kälber. Sie bleiben am Strassenrand stehen, reissen ein paar trockene Grasbüschel aus und gehen dann ihren Weg weiter. Begleitet von den beiden Hirten, die zwar mit Stecken ausgerüstet sind, sie aber nur mit Worten weitertreiben. Hü und ho...

Auf der anderen Strassenseite wächst der Tee. Es sind starke niedrige Büsche mit ledrigen Blättern. Ich habe keine Ahnung, wann Erntezeit ist, auch Rahul und Sujata können mit dazu nichts sagen. Ich merke, sie haben sich beide noch nie mit Tee befasst. Aber sie lassen sich anstecken, fangen plötzlich auch an, die Teepflanzen zu fotografieren.

Ich finde ein paar wenige Blüten. Sie sehen wie Rosen aus, Heckenrosen vielleicht. Im übrigen riechen sie nicht, weder die Blüten noch die Blätter. Der Teegeruch kommt wohl erst mit der Fermentation. Ich finde die Pflanzen schön, weil sie die Gegend zeichnen. Diese gleich hohen Büsche, die sich über den ganzen Hügel hinziehen. Manchmal stehen ein paar höhere Bäume dazwischen. Vielleicht brauchen Teepflanzen Schatten, beim Kaffee jedenfalls werden die höheren Bäume extra deswegen stehen gelassen. Vielleicht ist es auch nur eine Wohltat für die Pflücker, die die obersten hellgrünen Blätter von Hand pflücken.

Wir fahren weiter und kommen an abgeernteten Reisfeldern vorbei. Nur die Stoppeln stehen noch und dazwischen stehen die Kühe. Sie laben sich an den Stoppeln. Kühe und Ziegen.

An anderen Orten sind Menschen am Arbeiten. Auch die Reisfelder sehen wunderschön aus. Mir gefallen sie vor allem am Anfang, wenn die hellgrünen Halme im Wasser anfangen zu wachsen. Jetzt, im Herbst sind sie reif, werden sie geerntet.

Und genau das möchte ich jetzt sehen, darum bitte ich Rahul, anzuhalten. Er ist sich inzwischen meine Wünsche in Sachen Landschaft gewohnt. Etwas unsicherer ist Sujata. Sie kann anfangs gar nicht verstehen, was ich da will, folgt mir dann aber doch in das Reisfeld. Sieht meine Begeisterung für die reifen Halme, und meint dann, dass sie die Gegend noch gar nie so gesehen hätte.

Freude für die Natur ist einem vielleicht nicht unbedingt einfach so gegeben, vor allem wenn man noch so jung ist. Sie will übrigens Lehrerin werden, ist noch im Studium und heute ist ihr freier Tag.

Wir machen ein paar Selfies, sehen den Pflückerinnen zu, wie sie mit einer Sichel die Garben abschneiden und die Büschel auf den Stoppeln liegen lassen. Später werden sie von einem Transporter abgeholt. Natürlich würde ich auch da gernetwas mehr wissen, wie die Reisernte vor sich geht. Im kleinen habe ich es vor ein paar Jahren in Laos auf einer Reisfarm gesehen, aber wie die Verarbeitung hier weitergeht, wäre spannend.

Mich erinnert die Szene an die Ernte-Bilder von Albert Anker, einem schweizer Maler.

Mich erinnert die Szene an die Ernte-Bilder von Albert Anker, einem schweizer Maler.

Die Garben warten darauf, eingesammelt zu werden.

Die Garben warten darauf, eingesammelt zu werden.

Wir fahren weiter, es geht noch immer durch die Hügel, und die Sonne steht schon wieder tief am Horizont als ich rechts von der Strasse eine eigenartige Felsformation sehe. Ist das von Menschen gemacht oder eine Folge der Erosion?

Rahul hält an, doch das Gebilde ist leider in einem Garten, ein Tor verschliesst den Zugang. Lass uns weiterfahren, da erfahren wir nichts, meine ich, doch jetzt habe ich die Neugier meiner beiden Begleiter geweckt. Sie möchten jetzt beide wissen was es ist und gehen an das Gitter, entdecken dahinter eine Frau und bitten sie, uns hereinzulassen. Was dann auch tatsächlich passiert.

Es ist dies eine Schule für beeinträchtigte Kinder. Vielleicht sogar eher ein Heim. Ein paar sind draussen am Spielen. Viel kann uns die Frau nicht erklären, ausser dass die Kinder hier wohnen. Zu den Felsen im Hintergrund meint sie, dass die so gemacht wurden. Den Zweck kann ich nicht ergründen, scheint aber eine sehr eigenwillige Konstruktion zu sein.

Das interessanteste an dieser kleinen Begegnung ist aber für mich, dass sich Sujata jetzt plötzlich für ihre Umgebung interessiert. Sie ist eine fröhliche junge Frau, erzählt, dass sie für westliche Kleider schwärmt. Auch wenn sie sich für traditionelle Anlässe natürlich auch gern in ihre seidenen Gewänder hüllt. Sie zeigt mir ein paar Fotos, auf denen sie wie eine Prinzessin aussieht.

Sujata

Sujata

Wir fahren weiter und kommen noch einmal zu einem grossen Teegarten. Auf beiden Seiten der Strasse breiten sich die Felder aus und Rahul schlägt einen Spaziergang vor. Er hat ein Loch im Zaun gefunden und wir schlüpfen hinein, schlendern auf schmalen Wegen zwischen den Pflanzen, machen Selfies, lachen, plaudern und haben viel Spass zusammen.

Als ich erwähne, dass ich gern die Pflückerinnen gesehen hätte, hängt sich Sujata spontan ihre Handtasche um den Kopf und mimt eine der Pflückerinnen. Wie sie mit dem Daumen die obersten Blätter abknipst und über den Kopf in den angehängten Korb fallen lässt. Ja, so müsste das wohl aussehen.

Wenn man sich statt der Handtasche einen Korb auf dem Rücken vorstellt, wäre das wohl das perfekte Bild einer Teepflückerin.

Wenn man sich statt der Handtasche einen Korb auf dem Rücken vorstellt, wäre das wohl das perfekte Bild einer Teepflückerin.

Wir sind heute ziemlich spät gestartet, darum wird es jetzt auch schon schnell wieder dunkel. Wir fahren zurück über die Hauptstrasse, was die Rückfahrt viel schneller macht, denn wir sind durch das Tal mit der bergigen Nebenstrasse, vorbei an den Teeplantagen gefahren.

Beim Vorbeifahren entdecke ich an einem Rotlicht eine deutsche Küchen- und Möbelfirma und frage mich, wer sich hier wohl so teure exklusive Einrichtungen leisten kann. Doch es wird sie wohl schon geben, die reichen Inder und die Häuser, die ich sehe, haben wahrscheinlich oft ein ganz anderes Innenleben, als es von aussen den Anschein hat.

Später am Abend erzählt mir Ramesch, dass Ranjan, der Vater des heutigen Besitzers, mir heute Abend gern ein wenig von der Geschichte des Tees erzählen möchte, ob ich Lust hätte.

Und ob ich Lust habe.

Es wird ein gemütlicher Abend. Ranjan erzählt, wie sein Vater um 1950, kurz nach der Unabhängigkeit Indiens mit der Produktion von Tee begonnen hat. Vorher war das nur den Briten vorbehalten. Teeproduktion war staatlich. Britisch.

Kennst du die Geschichte des Tees? Man sagt, dass einem Hirten ein Blatt in sein heisses Wasser gefallen ist, das er auf der Weide getrunken hat. Weil es so gut schmeckte, hat man angefangen, die Blätter des Teebaumes zu pflücken und daraus entstanden in China die Anfänge der Teeproduktion. Tee ist eine Art Kamelien-Art. Ja, jetzt verstehe ich, was mir bei der Blüte so bekannt vorkam. Und auch die festen Blätter. Kamelie, das ist es.

Die Briten liebten Tee, darum wurde er hier im Norden des Landes im grossen Stil angebaut. Aber vor allem für den Export. Inder trinken den Tee fast nur mit Zucker und Gewürzen und ganz viel Milch. Ausser den Teepflückern. Sie trinken ihn oft mit Salz um den Schweiss während der Arbeit zu kompensieren, ergänzt Reena, Ranjans Frau.

Ranjan erklärt mir den Ablauf der Teeproduktion, doch ist es schwierig, ihm genau zu folgen, denn er spricht ein sehr schnelles Englisch und ich kann vieles, was er erzählt, nicht genau nachvollziehen. Jedenfalls werden die Teeblätter gebrochen, getrocknet, geschnitten und oxidiert. Vieles passiert maschinell, die Briten haben schon früh Maschinen für die Produktion eingeführt. Heute wird auch das meiste mit der Maschine geerntet. Nur noch an wenigen Orten werden die Teeblätter von Hand geschnitten. Wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es zwei Arten der Teeproduktion, den Tee in Blättern, so wie wir ihn in der Schweiz und anderen europäischen Ländern gern trinken und den Broken-Tee, der aus ganz kleinen, fast gemahlenen Teeblättern besteht. Fast schon Instand-Tee. Assam-Tee ist vor allem Broken-Tee. Bei der Frage, wie man verschiedene Teesorten machen kann, kann ich nicht mehr mithalten beim Verstehen. Nur soviel, die Teepflanze scheint immer die gleiche zu sein. Der Unterschied liegt in der Lage des Anbaus, dem Trocknungs- und im Oxidationsprozess, den er mir nicht im Detail erklärt, weil das für eine theoretische Abhandlung etwas zu schwierig ist. Ein wichtiges Qualitätsmerkmal sind jedenfalls die Blätter. Es macht einen Unterschied, ob nur die kleinen hellgrünen Blätter, die zuoberst an der Pflanze wachsen, geerntet werden, oder ob auch dunklere Blätter dazu kommen. Heute ist die Konkurrenz aus Afrika sehr gross, darum haben die beiden, als die Kinder grösser wurden und es klar war, dass keines in die Produktion einsteigen möchte, die Plantagen verkauft. Heute betreibt ihr Sohn das Hotel und arbeitet im übrigen als Guide.

Ranjan aber hat in der Corona-Zeit angefangen mit Malen, etliche seiner Bilder hängen in den Räumen und ausserdem schreibt er Geschichten aus seiner 40-jährigen Teeplantagen-Zeit, die in einer Zeitschrift abgedruckt werden. Er verspricht mir, etwas davon zu schicken. Bin gespannt darauf.

Es war ein interessanter Abend. Ein Geschenk, ganz unerwartet.

Reena und Ranjan Kumar Choudhury, langjährige Teeproduzenten

Reena und Ranjan Kumar Choudhury, langjährige Teeproduzenten

Zu Weihnachten habe ich eine erste Geschichte erhalten. Tiger in the House.
Sie ist in englisch, falls jemand Interesse hat, schicke ich sie gerne weiter.

Auch von Sujata habe ich an Weihnachten eine schöne Reaktion bekommen. Sie meinte, dass sie an diesem Nachmittag erst die Schönheit der Natur entdeckt habe. Die Teegärten und die Reisfelder. Sie würde auch gern reisen und die Welt entdecken. All die Schönheiten der Natur. Ich mag es, Menschen zu inspirieren, damit sie ihre Träume entdecken und ihnen folgen. Manchmal gehen Träume nämlich in Erfüllung, man muss nur daran glauben.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es geht wieder los. Vier Monate ist es her, seit ich von meiner Südamerikareise zurück gekommen bin. Sieben Monate war ich unterwegs. Und jetzt stehe ich vor einem neuen Start. Mein Traum ist das Taj Mahal. Mein Ziel heisst Indien.
Details:
Aufbruch: 01.06.2022
Dauer: 8 Monate
Heimkehr: 30.01.2023
Reiseziele: Vereinigte Arabische Emirate
Indien
Indonesien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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