Reise durch Indien

Reisezeit: Juni 2022 - Januar 2023  |  von Beatrice Feldbauer

Baby Taj Mahal

Auf dem heutigen Spaziergang durch das Quartier gerate ich auch in die etwas hinteren Gassen. Dabei fällt mir dieser kleine Laden auf. Der Mann hat sein Angebot auf der Treppe im Hauseingang aufgestellt. Hier bekommt man alles von kleinen Snacks, Getränken, Süssigkeiten und sogar Spielzeug.

Mich versetzt dieser Laden grad um ein Jahr zurück. Weihnachten 2021 war ich in Lima und habe mit Susana, einer Ladenbesitzerin mit genau dieser Ausstattung auf ihrer Ladentreppe Weihnachten gefeiert. Eine berührende Erinnerung und sie bringt mich zu der Frage, wo ich wohl dieses Jahr an Weihnachten sein werde. Doch den Kopf zerbreche ich mir deshalb nicht, auch das letzte Mal war diese Begegnung sehr spontan und überhaupt nicht geplant. Weihnachten findet überall statt.

Ich folge der Gasse noch etwas weiter, bleibe vor einem Haus stehen, mit Fensterbogen und einem Bogen über der Türe, da werde ich von einem Mann angesprochen. Er sieht gebildet aus, irgendwie edel. Ein grosser Mann in seiner langen hellen Korta mit passenden Hosen. Er tragt eine Brille, was ihn irgendwie aristokratisch macht.

Diese Häuser sind mehr als 400 Jahre alt, erzählt er. Zuerst war der Ort ein Dorf, ein Dorf, das sich um das Taj Mahal scharte. Viele der Häuser haben noch immer Spuren aus dieser Zeit.

Er zeigt auf die Fenster, die Türe und lädt mich ein, ins Haus zu treten. Ein einfacher Gang, aber aufwändige Verzierungen an den Wänden, über den Fenstern. Die Zimmer scheinen ohne Fenster zur Strasse zu sein, die einzigen Fenster gehen hier in den schmalen Hof. Ein paar Frauen sitzen in einem der Räume, der Mann stellt mir seine Frau vor. Selbstverständlich soll ich sie fotografieren, er freut sich, dass er mir seine Familie vorstellen darf. Auch seine Grosskinder, die wohl zum Teil hier wohnen. Ein junges Mädchen will wissen, woher ich komme. Sie spricht sehr gut Englisch. Es ist die Enkelin, Tochter des Sohnes, der in Delhi lebt. Ihr Vater ist Arzt und auch sie wird Medizin studieren. Und man merkt es gut, ihr Grossvater ist sehr stolz auf sie.

Ich bedanke mich, dass ich in das Haus kommen durfte und verabschiede mich von der Familie.

Ich folge der schmalen Gasse und komme immer tiefer hinein in das alte Quartier. Auf einem grossen Platz merke ich, dass ich gar nicht mehr genau weiss, woher ich gekommen bin und versuche irgendwo durch eine Gasse weiterzugehen. Sie erweist sich als Sackgasse. Dabei werde ich von ein paar Kindern bemerkt, die schnell entdeckt haben, dass ich mich etwas verlaufen habe. Sie führen mich in die nächste Gasse, und freuen sich, als es auch da keinen Ausgang gibt und wir zurück auf dem Platz landen. Ein paar Männer sehen uns schmunzelnd zu.

Die nächste Gasse bringt mich zu einer jungen Frau, die am Boden kauert und mit einem Faden goldene Kordeln auf ein aufgespanntes Tuch näht. Es soll eine Tasche werden. Auch hier wieder wird alles in Handarbeit gemacht. Noch kann ich nicht sehen, was daraus wird, aber ich denke, dass es irgendwann auch noch mit Farben verziert wird. Die Zeichnung für die Kordel, die auf dem Stoff fixiert wird, hat die Frau vorher selber aufgemalt. Leider haben wir keine gemeinsame Sprache. Nur ein Lächeln und ein paar Handzeichen müssen helfen. Ich entschuldige mich für die Störung, suche einen weiteren Ausgang, zurück beim Platz.

Sackgasse

Sackgasse

Die nächste Sackgasse ist ein grosser Platz. Hier sitzt eine Frau auf einem aufgespannten Tuch im Lotussitz und wirft Getreide in die Luft. Ich nehme an dass sie dadurch die Spreu vom Getreide trennt. Wenn ich das richtig erkenne, könnte es Hirse sein.

Setz dich, gibt sie mir zu verstehen und fährt mit ihrer Arbeit fort. Natürlich darf ich fotografieren, sie scheint sich zu freuen, als ich ihr das Bild zeige. Die Kinder rundum sind unterdessen ziemlich aufgedreht, was die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich zieht, der gerade vorüber geht. Er nähert sich, will wissen, woher ich komme, wie ich heisse, ob ich das erste Mal in Indien sei. Die normalen Fragen zur Eröffnung eines Gespräches.

Dann fragt er mich, ob ich interessiert sei, seine Arbeit zu sehen, worauf ich kurz darauf in einer kleinen Werkstatt lande. Zwei Männer sitzen am Boden, einer schleift winzige Steine zu genauen Vorgaben der andere passt sie in ein Stück Marmor ein.

Diesmal bin ich vorbereitet, ich weiss, worum es geht und kann die Arbeiten entsprechend würdigen. Es sind ganz viele verschiedene Gegenstände, die hier entstehen. Für das Design sind der Mann, der mich hergeracht hat und sein Bruder zuständig. Ein Familienbetrieb. Gerne würden sie mir ihre Frauen vorstellen, doch die sind zu schüchtern. Frauen sind hier meistens irgendwo im Haus, bleiben im Hintergrund und machen da ihre Heimarbeiten.

Seine Frau sei oben am Teppichknüpfen, erklärt mir Chand, der mich hergebracht hat, Inzwischen ist auch sein Bruder hier. Leider sprechen beide nur ein schlechtes Englisch, aber ihre Freude ist gross, eine Fremde in ihrem Haus zu Gast zu haben. Sie lassen Chai holen, wobei ich nicht sicher bin, ob sie es auf der Strasse organisiert oder ob er von einer der Frauen gekocht wurde.

Bevor ich mich verabschiede, wechseln wir WhatsApp-Nummern aus, denn ich soll ihnen die Fotos schicken, die ich hier gemacht habe. Chand weist seine Kinder an, mir den Weg zurück auf die Strasse zu zeigen und so finde ich bald zurück zu meinem Hostel.

In einer spontanen Reaktion hatte ich im Flughafen von Bali eine grosse Tafel Schweizer Schokolade gekauft und mit dieser mache ich mich kurz darauf wieder auf den Weg, um Chand und seine Familie zu suchen. Was mir allerdings nicht gelingt, aber zufällig begegne ich ihm als ich aus dem ATF komme, wo ich einmal mehr vergeblich versucht habe, Geld aus dem Automaten zu holen. Meine Karte scheint hier nicht zu funktionieren. Aber die Schokolade hat den Weg zu Chand und seiner Familie gefunden.

Auf dem Rückweg zum Hostel begegne ich noch einmal einer Gruppe Kinder, die mit Musik und Tanz unterwegs sind. Noch immer gibt es sie, die Gruppen, die ihre Statuen zum Fluss bringen. Diese hier sind ziemlich übermütig unterwegs und so bekomme ich ein paar Spritzer des grünen Pulvers ab. Mein Tshirt weist bereits grüne Flecken auf.

Vor dem Hostel warten die Tuctuc-Fahrer, die mich unbedingt irgendwohin bringen wollen. Es scheint mir an der Zeit, mir noch das Baby Taj Mahal anzusehen. Es handelt sich dabei um ein früheres Grabmal. Sein offizieller Name lautet Itmad-ud-Daula und es wurde von der Frau eines Mogulenherrschers in Auftrag gegeben für ihren Vater,

Ich bin inzwischen diese fantastischen Bauten gewohnt, glaube, dass mich in dieser Beziehung nichts mehr überraschen kann, aber auch dieses Grabmal ist wiederum einmalig in seiner Komplexität. Schon die Tore sind unglaublich reich mit Marmorintarsien bestückt. Diese filigranen Arbeiten sind einfach fantastisch

Das Grabmal selber in der Mitte des Komplexes ist im Gegensatz zu dem kurz darauf begonnenen eleganten Taj Mahal etwas plump, hat aber bereits die vier Türme an den Ecken, die quadratische Form und ist ebenfalls reich geschmückt mit den verschiedenesten Arten von Ornamenten. Im Gegensatz vo den vier Toren ist es ganz aus weissem Marmor gebaut, also auch da eine Ähnlichkeit zu dem nur wenig später gebauten Taj Mahal.

Die Dekorationen an allen Wänden sind allerdings unglaublich detailliert und wunderschön. Aufwändeige Marmorarbeiten aussen, Wandmalereien innen machen das ganze Grabmal zu einem Schmuckstück. Und auch hier wieder zeigt sich die ganze Vielfalt an Ornamenten und Mustern.

Die meisten Menschen, die ich hier antreffe sind wie immer Inder aus dem ganzen Land.

ich bin etwas lädiert von den Farbpulver verstreuenden Kindern der Stadt

ich bin etwas lädiert von den Farbpulver verstreuenden Kindern der Stadt

Beim grossen Tor, das zum Fluss führt, treffe ich ein Paar, das in der Wahl ihrer heutigen Kleidung genau die Farbtöne des Gebäudes getroffen haben. Der Sari mit dem aufwändigen Muster harmonisiert perfekt mit den Wänden des Raumes, und das Hemd des Mannes übernimmt den Farbton. Ich frage ob ich ein Foto machen darf und die beiden stellen sich bereitwillig hin. Und erkennen erst jetzt, wie perfekt sie in diese Umgebung passen.

Ich dachte eigentlich nicht, dass mich im Moment noch einmal ein Gebäude so faszinieren könnte, aber dieses kleine Taj Mahal packt mich tatsächlich und ich kann fast nicht mehr aufhören, Fotos zu machen. Vom Ganzen, vom grossen Saal zum Fluss, von Details der Malereien, der Tore. Von den weissen Wänden und den aufwändigen grafischen Elemenen auf den roten Wänden der grossen Tore, die an allen Seiten stehen. Dass man hier barfuss gehen muss, gefällt mir zusätzlich, denn die Platten sind von der Sonne gewärmt und von jeglichen kleinen Steinen befreit.

Überhaupt ist dieser Gegensatz immer wieder unverständlich. Innen in den Höfen und in den alten Palästen diese Ästhetik, diese Harmonie und Sauberkeit und draussen auf den Strassen ist alles vernachlässigt. Strassen mit Schlaglöchern, Häuser, die am zerfallen oder vielleicht gar nie fertig gebaut wurden. Ehemalig schöne Fassaden sind am einstürzen, Schmutz an den Strassenrändern, ein riesiger Lärm und Krach vom Verkehr, während in den Höfen eine Stille herrscht. Einzig die Frauen sind auf allen Strassen ein Lichtblick. Fast alle Frauen tragen wunderschne Saris. Nicht nur reiche, auch arme Frauen oder alte, dicke Frauen tragen ihre wunderschönen Kleider mit Würde. Manchmal sind sie mit Gold bestickt, manchmal bestechen sie mit ihren abgestimmten Farbenwahl oder ihren eingewobenen Muster. und manchmal sind sie schlicht uni. Meistens sind sie kunstvoll drappiert mit einem Schal über der Schulter, der Teil des Kleides ist. Ich würde oft am liebsten irgendwo sitzen, und jede Frau fotografieren.

Ich fahre mit dem Tuktuk zurück ins Zentrum, schaue kurz bei Arif vorbei. Er hat meinen Elefantenring geschliffen und neu poliert. Jetzt sollte ich damit nicht mehr hängen bleiben.

Wir reden noch ein wenig über das Leben und ich frage ihn, warum er mir Sprachnachrichten schickt, aber auf meine geschriebenen Antworten nicht reagkiert Könnte es sein, dass er nicht schreiben kann. Ja, meint er. Wir waren 8 Kinder. Meine ältere Schwester und ich konnten nie in die Schule gehen, mussten zu Hause helfen. Darum kann er kaum lesen und schreiben. Nur rechnen kann er, das muss er auch können, damit er sein Geschäft führen kann. So wie ihm geht es hier übrigens noch vielen. Auch Ali kann keinen Computer bedienen. Die Buchungen erledigt sein Cousin für mich. Er hat auch mein Zugticket für morgen besorgt. Erstaunlich, wie die Menschen ihre Schwäche verdecken können und trotzdem ein erfolgreiches Leben führen können. Mir ist ja schon längst aufgefallen, dass Taxifahrer oft auf eine geschriebene Adressangabe nicht reagierten. Auch Kartenabschnitte sagen ihnen nichts, denn auch Karten lesen muss gelernt sein.

Der alte Silberschuck, den noch Aris Mutter gemacht hat, bräuchte dringend eine Reinigung.

Der alte Silberschuck, den noch Aris Mutter gemacht hat, bräuchte dringend eine Reinigung.

Arif zeigt mit eine Collier, das noch von seiner Mutter stammt. Sie war die Designerin, ihr gehörte der Laden früher. Ich hatte das aufwändige Collier schon vorher in der Vitrine gesehen, aber geglaubt, es wären geschliffene Steine. Nein, es ist eine Silberarbeit, man müsste sie nur wieder einmal polieren.

Warum machst du das nicht? Es wäre zu aufwändig, alle Teile zu polieren, dafür müsste ich viel Polierpaste kaufen, die kann ich mir im Moment nicht leisten. Noch hat er sich vom kompletten Wegfall der Touristen in den beiden letzten Covid-Jahren nicht erholt. Erst seit ein paar Monaten kommen wieder Touristen nach Agra und noch immer fehlen die ausländischen Gäste. Und jetzt droht die Schliessung Arif weiss noch nicht, was danach mit ihm werden soll. Er lebt mit seiner Mutter eine eigene Familie hat er nicht Er war lange mit einer Ausländerin befreundet. Damals war vieles noch besser, da konnte er seinen Laden auch mal für einen Monat seinem Bruder überlassen und mit seiner Freundin durch Indien reisen. Darum kennt er einige Orte seines Landes. Es war eine schöne Zeit meint er. Und was ich erlebt habe, kann mir niemand mehr nehmen. Und noch immer hofft er, dass irendwoher Hilfe kommt, dass er den Laden auch über den 17. Oktober weiter führen kann. Inshallah - so Gott will.

Jetzt aber muss er erst das Geld für den Anwald zusammenbringen. Vielleicht kann er noch etwas von seinen Sachen verkaufen. Viel zu günstig natürlich, aber es gäbe etwas Geld in die Kasse.

Was dieser Traktor im Stadtzentrum wollte, weiss ich nicht, musste ihn aber grad weil er so ungewöhnlich ist, fotografieren.

Was dieser Traktor im Stadtzentrum wollte, weiss ich nicht, musste ihn aber grad weil er so ungewöhnlich ist, fotografieren.

Wenn ich meine Fotos nicht schon hätte, würde ich da jetzt kurz mal nachfragen...

Wenn ich meine Fotos nicht schon hätte, würde ich da jetzt kurz mal nachfragen...

Zum Nachtessen gehe ich in ein vegetarische Restaurant, das mir schon lange aufgefallen ist. Scheint sich um eine Gegenseitigkeit zu handeln, denn der Besitzer fragt mich, wie lange ich schon hier sei, er hätte mich schon öfters vorbei gehen sehen.

Es sind nicht viele Leute im Lokal und so komme ich bald mit den beiden Brüdern ins Gespräch, die das Restaurant führen. Ihr Betrieb scheint sehr gut gearbeitet zu haben. Alles war gut, meint einer von ihnen. Dann kam Covid und wir mussten schliessen und jetzt fängt es ganz langsam wieder an. Es kommen viele Gäste mehrmals. Sie trinken hier einen Kaffee bevor sie zum Taj Mahal gehen und kommen zum Mittagessen wieder vorbei. Und wenn sie in der Nähe übernachten, kommen sie sogar mehrmals zum Nachtessen.

In Tripadviser haben sie einen guten Namen, ihre Referenzen sind gut. Und wenn jetzt alles geschlossen wird, wie soll es dann weiter gehen?

Einer der beiden hat bereits einen Plan B. Er möchte da wo sie wohnen, ein neues Lokal eröffnen. Grösser und schöner. Mit dem gleichen Namen. Vielleicht kann man sogar die Referenzen mitnehmen, wer weiss. Es wird schwierig sein, aber das Leben muss weiter gehen. Das mehrstöckige Haus mit dem Rooftop-Restaurant auf dem Dach wird wohl nicht zu verkaufen sein. Wer will schon ein Haus kaufen, dessen Zukunft so ungewiss ist.

Es ist mein letzter Abend in Agra, er hinterlässt einen sehr nachdenklichen Eindruck bei mir.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es geht wieder los. Vier Monate ist es her, seit ich von meiner Südamerikareise zurück gekommen bin. Sieben Monate war ich unterwegs. Und jetzt stehe ich vor einem neuen Start. Mein Traum ist das Taj Mahal. Mein Ziel heisst Indien.
Details:
Aufbruch: 01.06.2022
Dauer: 8 Monate
Heimkehr: 30.01.2023
Reiseziele: Vereinigte Arabische Emirate
Indien
Indonesien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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