Reise durch Indien

Reisezeit: Juni 2022 - Januar 2023  |  von Beatrice Feldbauer

Menschen im Delta

Tatsächlich werde ich auch heute wieder ganz früh mit einem Early-Morning-Tea geweckt. Dieses Mal aber lehne ich ab, drehe mich noch einmal um. Der offizielle Start des Tages wird erst nach Acht Uhr sein. Die Crackers später aber nehme ich gern entgegen. Wann man beim Bootssteg sein soll, ist auch heute wieder nicht bekannt, die Organisation scheint etwas locker zu sein, ansonsten ist die Gästebetreuung aber sehr gut. Jedenfalls packe ich meinen Rucksack und gehe Richtung Bootssteg, denn da gibt es immer etwas zu sehen.

Vorher aber sehe ich mir noch die eigenartigen Hotelbauten an, die so gar nicht hierher passen wollen, suche ein paar Blumen, von denen aber tatsächlich nicht mehr viele blühen, es ist Winter im Delta.

Süsswasserspeicher gibt es hier überall

Süsswasserspeicher gibt es hier überall

Nach dem kurzen Besuch auf dem Fischmarkt, wo auch heute wieder der frische Fang angeboten wird und beim Kiosk wo es einen frisch gekochten Chai gibt, bin ich bald wieder am Bootssteg.

Heute weiss ich, dass ich noch nicht nach meinem Boot Ausschau halten muss, solange die Gäste nicht eingetroffen sind. Am Steg halten nicht nur Touristenboote an, hier gibt es auch Fähren für die Einheimischen. Die Boote sind der ÖV des Deltas, denn Strassen gibt es hier keine mehr. Aber sehr viele kleine Dörfer, die hinter hohen Schutz-Wällen am Wasser liegen.

Heute beobachte ich die Menschen, die auf die Schiffe warten, die Frauen in ihren bunten Kleidern. Ich darf sie fotografieren, zeige ihnen die Bilder, worauf sie verlegen lächeln oder anerkennend mit dem Kopf wackeln. Inzwischen frage ich nicht mehr nach, ob das Wackeln eine Zustimmung bedeute. Ich nehme es so zur Kenntnis und habe tatsächlich schon beobachtet, dass auch ich gelegentlich mit dem Kopf wackle, wenn mich jemand etwas fragt.

Langsam sammeln sich unsere Koffer auf dem Steg, Der Guide ist da, das Schiff kann anlegen und wir steigen ein. Und bleiben eine ganze Weile da stehen, bis sich auf dem Steg wieder ein Streit entwickelt. Es scheint, dass wir zu lange da stehen, denn diesmal mischen sich unser Kapitän und unser Guide lauthals ein. Und diesmal finde ich es nicht mehr lustig, denn die Auseinandersetzung wird so laut, dass tatsächlich jemand nach der Polizei ruft und kurz darauf marschieren zwei Uniformierte auf.

Unser Schiff manöveriert sich derweil etwas weg vom Steg, lässt andere Boote anlegen, aber die Auseinandersetzungen scheinen weiter zu gehen. Endlich können wir unsere beiden letzten Gäste auf dem Steg sehen. Auf sie haben wir gewartet. Wir fahren noch einmal kurz zum Steg, die beiden steigen ein, wir können losfahren. Allerdings ist unser Guide diesmal nicht mehr dabei. Ob ihn die Polizei mitgenommen hat? Ich versuche, mich bei einem der Bootshelfer zu erkundigen, der die Führung übernommen hat, aber sein Englisch ist zu schwach für eine Erklärung. Und wahrscheinlich will er auch gar keine Erklärungen abgeben, Hauptsache wir können jetzt losfahren.

Noch in Selfie, dann können wir loslegen

Noch in Selfie, dann können wir loslegen

Kichererbsen mit Roti

Kichererbsen mit Roti

Bald nachdem wir losgefahren sind, wird Frühstück serviert. Kichererbsen mit Roti und dazu ein Becher Tee. Wobei Tee heisst immer Milch-Tee, mit Zucker. Mit unserer Vorstellung von Tee hat das Teetrinken in Indien überhaupt nichts zu tun.

Und er wird auch nur aus kleinen Bechern getrunken. Wie ich ja schon öfters gezeigt habe, wird er oft auch mit ganz vielen Gewürzen (Masala) wie Zimt, Kardamon und Ingwer zusammen mit der Milch aufgekocht. Hier in der Gegend ist er nicht so würzig, aber eben immer Milch-Tee.

In der Küche wird übrigens unterdessen bereits das Mittagessen vorbereitet. Es soll Fisch geben. Ausserdem werden Tigercrevetten geschölt und Krabben geknackt. Dabei hilft auch einer der Bootshelfer mit. Chefin in der Küche ist aber die junge Frau mit dem roten Punkt auf der Stirn, die man nur selten sieht. Meist ist sie unten in ihrer Kombüse mit ihren Helferinnen beschäftigt.

Unsere Köchin

Unsere Köchin

Krabben knacken

Krabben knacken

Wir legen an. Gosaba ist der Hauptort des Deltas. Zusammen mit vielen kleinen Dörfern ist es der wichtigste Ort. Wir steigen aus und machen einen kurzen Spaziergang. Es ist Markt, viele Händler haben ihre Angebote auf dem Boden ausgebreitet.

Einer der Bootshelfer, der als neuer Guide fungiert, läuft voraus, wir hinterher, denn wir wollen hier ein bestimmtes Haus besuchen. Und da sehe ich vor mir einen wunderschönen Schirm. Rot mit roten Rüschen am Rand. Genau den will ich haben, will mich kurz darunter stellen. Die beiden Frauen laufen ein paar Schritte vor mir, ich hinterher.

Nur blöd, dass wir abzweigen, dass wir jetzt links abbiegen müssen und ich keine Ahnung habe, wohin wir gehen werden, ich werde zurück gerufen und muss leider dem Ruf der Gruppe folgen.

Treffen an der Wasserstelle

Treffen an der Wasserstelle

Das Haus, das wir besuchen, ist unscheinbar. Ein quadratisches Haus. Geschlossen auf einem offenen Gelände. Wem hat das gehört? Hamilton.

Hamilton? Lewis Hamilton? Ich kann mir den Formel-1-Fahrer schlecht in der Umgebung vorstellen. Ausserdem kommt der aus Brasilien, das ist am anderen Ende der Welt.

Man lacht mich aus. Nein, Hamilton! Allerdings kann mir niemand mehr über den Mann erzählen. Aber man schaut sich das Haus an, fotografiert. Ich google, es gäbe noch den Fotografen David Hamilton. Der mit den verträumten Mädchenbildern. Auch der passt nicht hierher.

Ich lasse es bleiben, google später und finde ihn tatsächlich. Daniel Hamilton, ein Schotte, der sich für die Entwicklung hier in den Sundarbans eingesetzt hat. Er hat viel für die Selbsthilfe der Einheimischen gemacht. War ein Visionär.

Daniel Hamilton 6.12.1860 - 6.12.1939

Daniel Hamilton 6.12.1860 - 6.12.1939

Er führt vor allem homöopatische Produkte

Er führt vor allem homöopatische Produkte

Auf dem Rückweg zum Schiff schaue ich mich bei den kleinen Läden noch ein wenig um und entdecke diesen Laden mit all seinen kleinen Fläschchen. Was ist das? will ich wissen? eine Apotheke? Ja aber für homöopatische Produkte, lächelt der Mann.

Auf dem Markt mache ich ein paar Fotos und merke schnell, dass sich die Männer aufrecht hinsetzen und in meine Kamera lächeln, wenn ich sie ins Visier nehme. Ich zeige ihnen die Fotos und sie werden gnädig bewilligt.

Die beiden Frauen mit dem roten Schirm suche ich vergeblich.

Dafür fallen mir die Männer auf, die schwere Säcke vom Bootssteg her bringen. Ein Schiff mit einer Ladung Kartoffeln und Zwiebeln hat angelegt und die Ladung muss ausgeladen werden. Ich frage, wie schwer die Säcke wiegen. 50 Kg. Das Boot kommt aus Kolkatta und oben auf der Ladung sitzt eine Frau und überwacht das Ausladen der Ladung. Das ist eher aussergewöhnlich, denn Frauen sieht man sehr selten in einer solchen Position.

Nachdem wir eine Weile zugesehen haben und auch alle Passagiere wieder zurück sind, legen wir wieder ab. Nur um ein paar 100 Meter weiter wieder anzulegen.

Was werden wir hier besuchen?

Den Beacon-Bungalow. Hier hat Tagore gelebt, erklärt mir einer der indischen Touristen. Den kennst du doch bestimmt? den Nobelpreisträger.

Ich muss gestehen, dass ich keine Ahnung habe, wovon er spricht, erinnere mich aber, dass mir schon in Kolkata jemand von diesem komplizierten Namen erzählt und ein Bild gezeigt hat. Rabindranath Tagore. Ist mir trotzdem kein Begriff und da wir keinen Guide mehr haben, gibt es auch keine weiteren Informationen.

Es ist ein kleiner rechteckiger Park mit ein paar Figuren, ein paar Erinnerungstafeln in Hindi geschrieben. Und ein Bungalow, der leider ebenfalls geschlossen ist. Beacon Bungalows ist das Anwesen angeschrieben, was mich auch nicht wirklich weiter bringt.

Ich versuche mir irgendwie den Namen zu merken, was mir natürlich nicht gelingt. Aber zusammen mit Hamilton und Nobelpreis finde ich später doch noch etwas über den Dichter Rabindranath Tagore im Internet. Er war mit Hamilton befreundet, stammte aus einer vornehmen Brahmanen-Familie aus Kolkatta und hat die bengalische Literatur erneuert. Schon im Alter von 8 Jahren schrieb er seine ersten Gedichte, später studierte er in England, wie es sich für gebildete Inder gehörte. Er setzte sich für die Unabängigkeit von England ein. 1913 erhielt er als erster Nichteuropäer den Literatur-Nobelpreis. Er reiste viel, kam sogar bis nach Peru und Mexiko.

Nach diesem letzten Besuch verlassen wir den Ort Gosaba endgültig, kehren zurück aufs Boot, wo inzwischen das Mittagessen fertig ist.

Es gibt Krabben, Fisch und Crevetten. Leider eben wieder alles gekocht, aber wenn man davon mal absieht, schmeckt es sehr fein. Und hier, beim Schälen der Crevetten und ausbeinlen der Gräten und Krabben stelle auch ich kurzfristig auf Essen mit den Fingern um. Allerdings schaffe ich das nicht so elegant mit einer Hand, wie meine Mitreisenden.

Bald darauf erreichen wir den Ort, wo wir vor zwei Tagen ins Boot gestiegen sind. Es gilt Abschied nehmen von der Bootsbesatzung. Sie hat uns in den letzten Tagen wunderbar betreut und bekocht.

Es gibt noch ein paar Selfies und wer sich bisher nicht getraut hat, mich zu fragen, woher ich sei, benutzt jetzt die letzte Gelegenheit, sich selber zu vergewissern, dass ich tatsächlich aus Switzerland komme und ob es dort immer kalt sei. Tatsächlich hatte ich nicht viel Kontakt mit meinen Mitreisenden, es gab ein paar wenige Gespräche, aber meistens blieben sie in ihren eigenen kleinen Gruppen mit Partner und Familienangehörigen Auch ein paar Kinder waren dabei.

Jetzt geht es mit dem Bus zurück in die Stadt. Zurück durch abgeerntete Reisfelder, durch kleine Dörfer und wie meistens scheint die Rückfahrt kürzer.

Bei Ankunft in Kolkata nehme ich mir ein Uber und bin bald zurück in meinem Hotel wo ich mich im bequemen Bett wohlig ausstrecke. Erst nachdem man zwei Nächte in einem harten Bett geschlafen hat, kann man so einen Luxus so richtig geniessen.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es geht wieder los. Vier Monate ist es her, seit ich von meiner Südamerikareise zurück gekommen bin. Sieben Monate war ich unterwegs. Und jetzt stehe ich vor einem neuen Start. Mein Traum ist das Taj Mahal. Mein Ziel heisst Indien.
Details:
Aufbruch: 01.06.2022
Dauer: 8 Monate
Heimkehr: 30.01.2023
Reiseziele: Vereinigte Arabische Emirate
Indien
Indonesien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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