Reise durch Indien

Reisezeit: Juni 2022 - Januar 2023  |  von Beatrice Feldbauer

Zugfahrt

Ïch hab etwas vergessen. Eigentlich hab ich mich überall umgesehen, aber ich hab keinen gefunden. Einen Schirm nämlich. So sitze ich jetzt also im Zug nach Rameswaram, zu einer Insel im Südosten von Indien und kann diesen Wechsel nicht mit einem Schirm ankündigen. Ich beschliesse, ihn nur als Ausflug anzusehen und das ist er ja auch, denn ich werde in ein paar Tagen zurück sein.

Da ich nicht wusste, wie die Verhältnisse im Zug sein würden, habe ich meinen Koffer in Madurai im Hotel gelassen und reise nur mit Rucksack. Längst hab ich es bereut, dass ich mit so grossem Gepäck unterwegs bin, irgendwann werde ich das wohl reduzieren müssen.

Hier im Zug nach Rameswaram hätte ich allerdings kein Problem gehabt. Die Abteile sind locker besetzt, Leute liegen auf den Bänken, schlafen, dösen, während wir Richtung Osten fahren Richtung Meer.

Der Zug sollte um halb eins losfahren. Man hat mir versichert, dass ich keinen Platz reservieren müsse, ja da es ein ganz normaler lokaler Zug sei, wäre es auch gar nicht möglich, einen Platz zu reservieren. Die anderen Züge, bei denen man das früher konnte, würden seit der Pandemie nicht mehr fahren. Also habe ich mich innerlich auf solche Zugbilder wie man sie aus Indien kennt, eingestellt. Überfüllt, überquellend.

Doch wie viele Bilder, die man von etwas hat, stimmen auch diese nicht immer mit den Tatsachen überein. Darum muss ich alles selber sehen, selber erleben. Darum mache ich keine Pläne, stelle mir nichts vor, was ich nur aus Erzahlungen von anderen kenne - die meistens selber noch nie da waren.

Jedenfalls habe ich für 70 Rupien eine Fahrkarte gekauft, bin zur Plattform 5 gegangen und da in den wartenden Zug eingestiegen. Es gibt die grossen Abteile, die weitgehend besetzt waren und es gibt am anderen Fenster Einzelsitze. Auf so einem sitze ich jetzt, mein Rucksack zu meinen Füssen, und fahre gemütlich durch die Gegend. Wir sind pünktlich auf die Minute losgefahren, auch das ist etwas, das man sich vielleicht nicht so vorstellt, wenn man an Züge in Indien denkt.

Aber Vorurteile sind dafür da, dass man sie überprüft und allenfalls korrigiert.

Es sind gut 150 km bis Rameswaram. Der Ort liegt auf einer Insel, die mit dem Festland durch eine Brücke verbunden ist. Wenn man von der Insel weiterfahren könnte, käme man nach Sri Lanka. Doch dahin gibt es keine Brücke. Die Idee für diesen Ort kam von Titu, meinem Taxifahrer, der mich ans Kap gefahren hatte. Er hatte mir danach per WhatsApp ein paar Vorschläge für meine Indien-Reise geschickt und dieser Ort hatte es mir sofort angetan. Ich liebe so exponierte Orte, die man sofort verorten kann.

Neben mir sind zwei Frauen und ein Mann. Der junge Mann, der zuerst ebenfalls auf der Bank sass, hat sich inzwischen verzogen. Ich entdecke ihn nur zufällig, als ich mir den Gepäckträger näher ansehe. 'Für Luggage only' steht auf dem Schild und ich will für mich schon lächeln - wozu denn sonst, als ich merke, dass der Junge dort oben liegt und die Fahrt schlafend geniesst.

Wir halten an verschiedenen Bahnhöfen. Manchmal kommt dann jemand durch die Wagen und verkauft Tee, oder Snacks. Oder es stehen Leute auf dem Bahnsteig und bieten Proviant an. Mir reicht mein Wasser, das ich vom Hotel mitgenommen habe. In allen Hotels wurden mir bisher Wasserflaschen ins Zimmer gestellt. Normales Mineralwasser. in Plastikflaschen.

Die kleinen Bahnwagenfenster sind zwar vergittert, aber es fehlen die Scheiben. Darum bin ich inzwischen wieder einmal völlig durch den Wind, die Haare stehen und flattern in alle Richtungen.

Nach gut drei Stunden Fahrt kommt etwas Bewegung in die Fahrgäste, wir nähern uns der Brücke und alle wollen sie fotografieren. Auch der junge Mann ist jetzt wieder wach, Der Zug hat seine Fahrt verlangsamt, man steht abwechslungsweise vor der offenen Türe, die sich nicht schliessen lasst, und alle versuchen mit ihren Handys die besten Bilder einzufangen. Dabei fällt mir plötzlich auf, dass bei einem Paar zeitweise nicht die Brücke für die Autos im Video aufgenommen wird, sondern, dass sie ganz ungeniert mich in den Fokus genommen haben. Die Neugier ist also durchaus gegenseitig. Ich habe mir schon die ganze Zeit gefragt, ob ich die beiden Frauen fotografieren könnte, ob ich sie fragen dürfte, während ich längst selber unter Beobachtung stand.

Und ganz langsam kommen wir ins Gespräch. Das bleibt zwar etwas einseilbig, denn nur der junge Mann, Shiva heisst er, kennt ein paar englische Wörter. Aber er kann mir erklären, dass er mit seinen Eltern und einer Tante reist. Sie werden morgen weiter nach Sri Lanka reisen. Ja, auch wenn die politische Lage zur Zeit sehr schwierig ist, sie werden Familie besuchen.

2 km lang ist die Panbam-Brücke

2 km lang ist die Panbam-Brücke

Und fotografieren? Aber selbstverständlich, die Frauen bitten darum, Shiva macht Fotos von uns allen, die Frauen setzen sich in Position, sogar der Vater ringt sich ein Lächeln ab. Alles ganz locker und ungezwungen.

Und natürlich muss man die Fotos auch noch austauschen, also tauschen wir WhatsApp-Nummern, und als wir im Bahnhof Rameswaram ankommen, verabschieden wir uns alle mit Händedruck. Ich bin jedesmal wieder überrascht über die Freundlichkeit der Menschen.

Ankunft im Bahnhof Rameswaram

Ankunft im Bahnhof Rameswaram

Der Lok-Führer

Der Lok-Führer

Ich nehme vor dem Bahnhof ein Tucktuck und lasse mich ins Hotel fahren. Das Zimmer ist gross, es gibt Wifi und warmes Wasser und ich ruhe mich erst einmal etwas aus. Die Fahrt hat knapp vier Stunden gedauert.

Aussicht vom Dach des Hotels

Aussicht vom Dach des Hotels

Fischrestaurant mit Lieferservice

Fischrestaurant mit Lieferservice

Gegen sechs Uhr mache ich mich auf, den Ort zu erkunden. Ich stelle schnell fest, dass es auch hier eher schwierig sein wird, ein Restaurant zu finden, das mir zusagt. Ich gebe ja zu, beim Essen bin ich eher etwas schwierig. Aber ich habe keine Angst, dass ich verhungern werde. In der Hotelausschreibung hiess es, man würde gern den Lieferdienst organisienen. Damit habe ich noch keine Erfahrung, doch man kann ja alles ausprobieren und lernen.

Irgendwo sehe ich ganz viele farbige Lampen, doch was ich von weitem als ein Restaurant zu erkennen glaubte, stellt sich als ein Versammlungsort heraus. Es scheint, dass ein Guru grad dabei ist, zu predigen, jedenfalls kommen immer mehr Leute dazu, um ihm zuzuhören. Daneben ist ein grosses Wasserbecken mit einem kleinen Tempel in der Mitte. Also definitiv etwas Religiöses. Aber der berühmte Tempel kann es nicht sein, dafür ist er zuwenig imposant.

Ob das wohl ein Restaurant ist, da hinter dem grossen Tor?

Ob das wohl ein Restaurant ist, da hinter dem grossen Tor?

Ein Versammlungsraum für einen Prediger

Ein Versammlungsraum für einen Prediger

Ich schlendere weiter, der Strasse entlang. Sehe die vielen kleinen Geschäfte, die Lebensmittelläden, die Imbissstände, Teewagen, den Gemüsehändler, die vielen Motorräder, die gelben Tucktucks. Und plötzlich fällt mir auf, dass die mich alle ansehen. Genauso wie die Boote an der Kovelam-Beach haben viele vorne zwei Augen aufgemalt. Das macht sie irgendwie sympatisch und persönlich. Was es damit wohl auf sich hat.

Und dann sehe ich ihn, und jetzt gibt es keine Verwechslungsgefahrt mehr. Der grosse Tempel von Rameswaram steht vor mir. Jedenfalls einer davon, denn auch hier handelt es sich um einen ganzen Tempelbezirk.

Ich lasse meine Flipflops neben dem Tor stehen und gehe hinein. Niemand fragt nach einem Handy, niemand hält mich auf.

Ich bin überwältigt. Waren draussen die Figuren auf der Pyramide noch unbemalt, so erstrahlt der Innenraum in den herrlichsten Farben. Lange Gänge sind es, mit unzähligen Säulen auf beiden Seiten. Endlose Säulengänge, farbige Decken, riesige Figuren. Ich laufe und staune. Und fotografiere. Zwar bin ich nicht ganz sicher, ob das erlaubt ist, aber es hält mich niemand zurück.

Beim Eingang gibt es ein paar Souvenirstände

Beim Eingang gibt es ein paar Souvenirstände

Ich laufe durch die langen Korridore, schwenke irgendwo ab, gerate in andere Gänge, komme zu kleinen Nischen, wo Menschen ihre Opfergaben bringen, gesegnet werden. Hier ist fotografieren nicht erwünscht und ich halte mich zurück.

Immer wieder komme ich in andere Kammern, sehe neue Figuren. Mystische Tiere, Verbindungen von Löwen und Elefanten und irgendwo glaube ich sogar ein Pferdchen zu entdecken. Der Guide in Madurai hatte mir erzählt, dass Pferde keine grosse Rolle in in den Tempel- und Göttergeschichten hätten, sie kämen höchstens bei der typischen Kombination von Drachenkopf, Löwenpratzen und Pferdekörper vor, die ausserdem mit einem Elefanten kombiniert sind. Im Tempel von Madurai habe ich öfters solche Tiere gesehen, hier scheinen sie anders kombiniert zu sein. Und trotzdem auch hier immer wieder anders. Farbig, üppig, fantasievoll.

eine Zeremonie -

eine Zeremonie -

Ist das ein Pferd?

Ist das ein Pferd?

Immer tiefer komme ich hinein, gegen die Mitte des ganzen Komplexes, bis ich irgendwo vor einem grossen Pferd stehe. Es liegt hinter grossen Gittertoren, Zwar ist es riesig, aber ich würde es anhand seiner Formen eben doch eher als ein Pferdchen bezeichnen. Ein Pferd aus einem Comic mit grossen aufgerissenen Augen und aufgestellten Ohren. Auf dem Kopf trägt es einen Schmuck, der aber genausogut Hörner sein könnten Goldene Hörner.

Ich bin schon Stunden unterwegs, suche den Ausgang und kann ihn nicht mehr finden. Wo bin ich abgebogen, wo bin ich hergekommen Ich habe längst den Überblick verloren. Leider kann man sich auch hier drinnen nirgends hinsetzen. An den Wänden gibt es jetzt immer mehr Statuen, die wie kleine Altäre wirken. Manchmal bleiben die Menschen da für eine kurze Besinnung stehen. An anderen Orten stehen Oellämpchen, irgendwo ertönen kleine Gläcklein. Mystisch.

Irgendwann finde ich wieder die langen farbigen Gänge und auch einen Ausgang. Doch es ist nicht der, bei dem ich meine FlipFlops gelassen habe. Ich laufe der Mauer entlang zum nächsten Eingang, als plötzlich das Licht ausgeht. Die Stadt steht im Dunkeln. Nur noch ein paar Hotels und Geschäfte haben Licht, die Strassenlampen sind ausgegangen. Das gibt noch einmal eine völlig andere Stimmung. Ausserdem muss ich jetzt noch besser aufpassen, wo ich hintrete, denn es sind nicht nur Menschen unterwegs, auch die Kühe sind noch nicht zur Ruhe gekommen und überall findet sich ihre Hinterlassenschaft. Obwohl ich sagen muss, dass die Strassen im allgemeinden sehr sauber sind und ich es eh liebe, barfuss unterwegs zu sein. Jedenfalls in den Tempeln mit den kühlen Steinböden, die ständig gewischt werden.

Das Licht kehrt schnell zurück und als ich auch beim nächsten Eingang meine Schuhe nicht finde, gehe ich noch einmal hinein.

Und entdecke den grossen Wasserpool, der jetzt dunkel in der Tiefe liegt. Und darüber der Mond und eine der Pyramiden. Ein wunderbares Bild.

Doch ich will jetzt hinaus, habe Hunger. Also noch einmal durch den langen Gang mit den grossen Söulen, als auch da das Licht ausgeht. Jetzt bin ich komplett im Dunkeln, jetzt dringt kein Licht mehr durch. Er dauert nicht lang und er macht mir auch keine Angst, es ist eher Faszination, so allein in diesem riesigen Komplex zu sein, denn die Gänge sind leerer geworden.

Eine kurze Erinnerung blitzt auf, ob der Tempel wohl geschlossen wird? Aber da ist das LIcht wieder da, beim nächsten Ausgang finde ich meine Flipflops, alles in Ordnung. Der Tempel schliesst erst nach neun Uhr. So spät ist es noch nicht.

Alles Überlegen, welches Restaurant wohl das beste wäre, bringen mich nicht weiter, am Schluss trete ich spontan in eines, das draussen Bilder von den Gerichten ausgestellt hat. Auf der Speisekarte ist davon allerdings nichts mehr zu sehen, aber immerhin gibt es sie in englisch. Ich bestellte Noodles Paneer, Paneer sei eine Art Frischkäse, erklärt mir Google, und ich habe Lust, einmal keinen Reise zu essen.
Nur eine Portion? fragt der Kellner. Und was dazu? ich kann mich für keine Zutat entscheiden, bleibe bei meinen Nudeln. Und bekomme eine grosse Portion, in denen zwei Gabeln stecken. Das ist immerhin ungewöhnlich, denn die anderen Gäste essen ausschliesslich von Hand. Fasziniert sehe ich meinen beiden Tischgenossen zu, wie sie den Reis hämpfeln und in den Mund stopfen. Die Sossen tunken sie mit den Brotfläden aus oder geben ihn mit dem Löffel auf den Reis. Zum Essen braucnen sie aber ausschliesslich die rechte Hand. Der Kellner kommt mit dem Topf und bringt Nachschub. Auch mit der Reisplatte kommt er von Tisch zu Tisch. Die Brotfladen verteilt er von Hand, reicht sie über den Tisch.

Ich aber bin mit meinen Nudeln sehr beschäftigt. Sie schmecken zwar gut, sind aber für meine verwöhnten Vorstellungen wie Essen präsentiert werden müsste, einfach etwas gewöhnungsbedürftig. Ich bin überzeugt, dass ich in Indien nicht zunehmen werde - Ausser ich würde mich vermehrt mit den extra-süssen Desserts befassen. Aber verhungern werde ich bestimmt auch nicht.

Das Lokal ist übrigens sehr gut besucht. Wenn die Gäste einen Tisch verlassen, wird das Geschirr abgeräumt, ein Kellner kommt mit einem Kübel und einem Schaber wie man ihn zum Reinigen der Fenster benutzt. Er spritzt etwas Wasser auf den Tisch und wischt ihn mit dem Schaber ab. Direkt in den Kübel. Fertig.

Meine Paneer-Nudeln

Meine Paneer-Nudeln

Ein Teestand

Ein Teestand

Es ist noch immer viel los auf den Strassen, als ich zurück zum Hotel gehe. Zwar ist es schon ziemlich spät, aber ich fühle mich ausgesprochen sicher. Bin wahrscheinlich die einzige Europäerin und falle bestimmt auf, aber das interessiert hier trotzdem niemanden. Indien ist ein so grosses Völkergemisch, da treffen sich viele verschiedene Kulturen, Sprachen und Rassen, da kommt es auf eine weisse Frau gar nicht mehr an.

Vor dem Gemüsehändler stehen ein paar Rinder und suchen die Reste zusammen. Hier habe ich zum ersten Mal das Gefühl, dass sie etwas richtig essbares bekommen. Arme Viecher.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es geht wieder los. Vier Monate ist es her, seit ich von meiner Südamerikareise zurück gekommen bin. Sieben Monate war ich unterwegs. Und jetzt stehe ich vor einem neuen Start. Mein Traum ist das Taj Mahal. Mein Ziel heisst Indien.
Details:
Aufbruch: 01.06.2022
Dauer: 8 Monate
Heimkehr: 30.01.2023
Reiseziele: Vereinigte Arabische Emirate
Indien
Indonesien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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