2022 Mit einem Geländewagen durch Tunesien
an der Ostküste: Eine freundliche Familie
„Wo sind wir denn jetzt gelandet?"
„Was ist das für eine Scheißnavigation?“
Wir stehen vor einem Haus in einem Vorgarten. Die Straße vor uns verläuft nur noch als sandiger Fußweg durch einen Gemüsegarten. Die allwissende Dame im Navi meldet sich säuselnd: „Fahren Sie bitte die nächste Straße nach rechts. Dann haben Sie Ihr Ziel erreicht.“
"So ein Blödsinn, hier gibt es keine Straße nach rechts. Hier gibt es nur Gurken und Tomaten!"
Wir sind auf dem Weg nach Norden, immer die Ostküste Tunesiens entlang. Morgen wollen wir in El Jem sein, einer Kleinstadt mit einem riesigen Amphitheater aus römischer Zeit. Doch für heute brauchen wir noch einen Platz zum Übernachten, bevor wir uns in die Gemäuer vergangener Zeiten stürzen.
Über Park4Night hatten wir einen der wenigen Campingplätze an der Küste zwischen Sfax und El Jem gefunden, den wir für heute ansteuern wollten. Die Sonne ist schon lange untergegangen. Es ist halb neun, stockschwarze Nacht. Die GPS-Koordinaten aus der App hatten wir in das Navi übernommen und uns bis hierher leiten lassen. Es sind nur noch 400 Meter bis zum Ziel. Und wir stehen in einem privaten Vorgarten. Draußen bellt ein Hund, Licht geht an. Viele Leute stehen plötzlich um unser Auto herum. Große schwarze Augen in hübschen Gesichtern sehen uns fragend an. Man vermutet von uns nicht, dass wir etwas Böses wollten. Man will uns weiterhelfen.
„Parlez vous français?“
Unser Gegenüber zeigt mit einem schmalen Spalt zwischen Daumen und Zeigefinger an, dass hier nur eine äußerst geringe Menge Französisch gesprochen wird.
Also versuchen wir es mit der Darstellung auf dem Navi, was uns auch nicht weiter bringt. Hier kann keiner eine Landkarte lesen. Dann nennen wir den Namen des Campingplatzes, was auch nicht hilft, denn wir haben ihn falsch ausgesprochen. Erst das geschriebene Wort bringt die Lösung und als der Herr des Hauses versteht, wo wir hin wollen, holt er prompt sein Motorrad heran und bedeutet uns, ihm zu folgen. Er wird uns zu dem gewünschten Ort bringen. Welch eine Gastfreundschaft., welch ein Vertrauen Fremden gegenüber. Und für uns bemerkenswert ist, dass wir uns in dieser Situation, in schwarzer Nacht unter völlig fremden Menschen sicher gefühlt haben.
Am folgenden Tag
Jetzt haben wir gut gefrühstückt, haben die japanischen Mispeln verspeist, die unsere Wirtin des Campingplatzes "El Kahina" gerade vom Baum gepflückt hat und haben einen Gedanken gefasst, der uns nicht mehr loslässt.
„Lass uns noch einmal zu der Familie von gestern Abend fahren. Sie waren so hilfsbereit und freundlich zu uns, und wir haben uns noch nicht einmal bedankt.“
„Man kann sie doch nicht einfach stören. Was sollen wir denn mit ihnen erzählen? Wir verstehen doch kein Wort.“
„Das weiß ich nicht. Lass uns einfach nur ‚tschüß‘ sagen“
„Und mitzubringen haben wir auch nichts.“
„Wir finden schon was."
Zum Dank noch einmal zurück an den Ort des Geschehens
Wir finden den Weg wieder zurück bis zu dem Haus, vor dem wir gestern Nacht gestrandet sind. Ein Nachbar, der herankommt, bedeutet uns, stehenzubleiben. Er geht vorweg, weil er den bissigen Hund der Familie kennt und ihn zurückhalten kann.
Nach ein paar arabischen Rufen zum Nachbarhaus kommt eine Frau näher, erkennt uns und ist freudig überrascht, uns wiederzusehen.
Eine kurze Zeit später sitzen wir auf dem Fußboden im kühlen Haus der Familie. Der seinen Mittagsschlaf haltende Hausherr, der uns gestern so komplikationslos geholfen hat, wird geholt, und immer mehr Mitglieder der Familie sammeln sich in dem kleinen Wohnzimmer an.
Wir bekommen jeder eine gekühlte Banane in die Hand gedrückt, die Hausherrin stellt einen flachen Tisch vor uns, den sie mit zwei Gläsern Saft und einer Schale Gebäck belädt. Stimmengewirr erfüllt den Raum, und außerdem werden wir noch von einem großen Fernseher beschallt.
Der Hausherr fährt schnell noch einmal mit seinem Motorrad davon, um noch irgendetwas zu besorgen. Oh, was haben wir da angerichtet. Soviel Aufmerksamkeit hatten wir doch gar nicht erwartet. Wir wollten uns doch nur bei ihnen für die Hilfe bedanken.
Ich möchte schnell noch einmal zum Auto gehen und die Packung Spekulatius holen, die wir noch in unseren Vorräten haben. Vorsichtshalber bitte ich eine der drei etwas schulenglisch sprechenden Töchter mich zu begleiten. „The dog, you know?“ Sie kommt bereitwillig mit, nennt mir ihren Namen, doch es gelingt mir nicht, ihn auszusprechen, ohne dass sie in Gelächter verfällt. Immerhin erfahre ich, dass sie 18 Jahre alt ist und die Schule abgeschlossen hat.
Zurück auf den Teppichkissen, umringt von einer Schar von Kindern, ist Gabi gerade dabei, die Buntstifte und Kugelschreiber zu verteilen, die wir am Anfang unserer Reise in größerer Menge für solche Zwecke gekauft hatten. Die Kinder strahlen, die Älteren lachen, ein sehr alter Mann mit nur noch einem Zahn im Gebiss, nickt ständig mit dem Kopf.
Jetzt, inzwischen ist auch eine junge Frau mit guten Französischkenntnissen eingetroffen, wird uns die gesamte Familienkonstellation vorgestellt, also wer mit wem verheiratet, verschwägert oder anders verwandt ist. Wir erzählen, wo wir herkommen, wie wir in ihrem Vorgarten gelandet sind und was wir schon alles in Tunesien gesehen haben.
Dann werden wir von einem der jungen Männer näher fixiert, „Alemania?“
Seine Schwägerin erzählt uns, dass der junge Mann davon träumt, in Deutschland ein Café aufzumachen. Er möchte auswandern. Was können wir ihm raten?
Wir erklären ihm, dass sehr viele Migranten denken, in Deutschland schnell und ohne Schwierigkeiten zu Geld kommen zu können, was aber keineswegs der Fall ist. Es kostet eben viel Geld, in Deutschland zu leben. Und auf jeden Fall muss man die deutsche Sprache sprechen. Wenn er wirklich das Ziel hat, in einem fremden Land sein Glück zu versuchen, ist es wichtig, die Landessprache zu kennen. Nachdenklich lächelnd nickt er uns zu. Das war bestimmt nicht die Antwort, die er sich erhofft hatte. Aber es macht auch für ihn Sinn. Seinem Bruder ist es offensichtlich etwas peinlich, dass dieses Thema angesprochen wurde.
Ich mache den Vorschlag, jetzt ein Gemeinschaftsfoto von allen zu machen, und zwar am besten draußen in der Sonne. Ein guter Vorwand, einen Absprung aus dieser Situation zu finden. Alle sind begeistert. Wir bilden einen Halbkreis, jemand ruft „Cheeeeese“ und alle freuen darüber, die Ergebnisse direkt auf dem Display ansehen zu können.
Es gibt einen herzlichen Abschied mit der Aufforderung von unseren Gastgebern, bitte wiederzukommen: „Dann machen wir für Euch Couscous mit Tintenfisch.“
Tintenfische sind in dieser Gegend das absolute Highlight und eine kulinarische Kostbarkeit. Wir fühlen uns von ihnen sehr geschätzt.
Im Versprechen, ihnen die Fotos zu schicken, machen wir uns auf den Weg, winken lange und bemerken, dass jetzt auch andere Familien aus dem kleinen Dorf eingetroffen sind, um uns zu verabschieden.
Da haben wir wohl jemandem eine Freude gemacht und wahrscheinlich auch eine Ehre erwiesen.
Aufbruch: | 06.04.2022 |
Dauer: | 10 Wochen |
Heimkehr: | 17.06.2022 |
Ich habe alle Berichte von eurer Reise verschlungen!
Liebe Grüße an euch!