2022 Mit einem Geländewagen durch Tunesien

Reisezeit: April - Juni 2022  |  von Michael Bünte

Zu den Berbern: in den Dahar-Bergen

Der kalte Sturm draußen peitscht noch stärker, als an den vorherigen Tagen. Schwere dunkle Wolken schieben sich durch die kargen Sandsteingebirge hindurch, als ich um 6 Uhr morgens aus dem Wagen steige.
„Na, gute Nacht, wenn sich dieser Himmel hier entladen sollte.“
Wir stehen direkt vor einem Lehmdamm, der die Fluten, wenn sie denn mal aus den Bergen kommen, aufhalten soll. Dann ist hier “Land unter“.
Doch wir bleiben verschont. Langsam arbeitet sich die Sonne wieder durch die schwarzen Wolkenberge hindurch. Sie saugt praktisch die dunkle Masse am Himmel auf, so dass wir unser Frühstück im eisigen, sandbeladenen Wind, aber immerhin im Trockenen einnehmen können.

die Sonne hat sich wieder durchgekämpft

die Sonne hat sich wieder durchgekämpft

Chenenni

Jetzt sind wir in den Dahar-Bergen, in die sich das Volk der Berber vor etwa 900 Jahren zurückgezogen hat, als die Araber die von ihnen bewohnten Lebensgebiete nach und nach eroberten. Chenenni heißt die Berberstadt in die wir als erstes gelangen. Die ganze Stadt ist in einen der lehmigen Berge hineingebaut und besteht zum größten Teil aus Höhlenwohnungen, die teils auch heute noch genutzt werden. Der Autoverkehr bleibt unten. Hier steigt man zu Fuß oder mit seinem bepackten Esel die steilen Treppenwege hinauf.

Wir sitzen hoch oben über dem Tal im Schatten einer erbarmungslosen Sonne, schlürfen unseren tiefschwarzen Kaffee und planen die nächsten Tage.
Von hier aus, im Windschatten des Cafés, beobachten wir aus der Adlerperspektive das Treiben unten im Ort, sehen die Reisebusse mit den Tagestouristen aus Djerba ankommen, die sich wie kleine Ameisengruppen auf die dort in farbenfrohen Kleidern lauernden Führer verteilen, sehen die Esel, mit schweren Rollkoffern bepackt, zu dem einzigen zur Zeit geöffneten Hotel die Treppenwege emporsteigen, haben einen Blick auf hunderte Höhlenöffnungen, die uns wie tote Augen, andere wie Nasenlöcher oder zahnlose, aufgerissene Mäuler erscheinen und können von oben in die vielen zusammengebrochenen Gebäude hineinsehen, die den Zahn der Zeit nicht überstanden haben. Mobiliar, elektrische Verdrahtungen und Vorratsbehälter sind in einigen der Mauerresten noch zu erkennen.

Die Suche den fünf schlafenden Riesen, die nach einer Sage der Berber auf der anderen Seite des Bergsattels in fünf übergroßen Gräben bestattet sein sollen, hatten wir in dem Augenblick fallen gelassen, in dem der vom Tal emporschießende, eiskalte Wind uns buchstäblich den Atem nahm und wir von den Böen fast gegen die nächste Mauer geworfen worden wären. „Bleiben wir doch lieber im Windschatten der Felsen.“ Wir steigen also die Treppenwege wieder herab und machen uns auf den Weg weiter in die Dahar-Berge hinein.

in den Daher-Bergen

in den Daher-Bergen

der Ort Chenenni mit seiner weißen Moschee

der Ort Chenenni mit seiner weißen Moschee

die Autos bleiben unten stehen

die Autos bleiben unten stehen

ein "Guide" in den Farben der Tuareg wartet auf Kunden

ein "Guide" in den Farben der Tuareg wartet auf Kunden

wir sitzen hoch oben über dem Tal bei tiefschwarzem Kaffee

wir sitzen hoch oben über dem Tal bei tiefschwarzem Kaffee

Matmata und Star Wars

Jetzt stehen wir in Matmata auf dem Sandplatz, den Abdoul seit 1979 für alle Durchreisenden als Übernachtungsplatz anbietet. Stundenlang sind wir hierher auf gut asphaltierter Serpentinenstraße durch sandfarbene, kaum bewachsene Bergmassive gefahren, haben Pässe überwunden und in tief eingeschnittene Canyons hinuntergeblickt.
Hier in Matmata gibt es noch die senkrecht in den Erdboden eingegrabenen Lehmhöhlenbauten der Berber. Teils sind sie zerfallen, teils werden sie aber auch heute noch genutzt.
Wir müssen gut aufpassen, dass wir nicht zu dicht an den Rand einer dieser riesigen Löcher herantreten, die sich mit einer Tiefe von etwa 5 bis 6 Metern vor uns auftun. Einige sind durch weiße Pfähle oder Maschendrahtzäune kenntlich gemacht worden. Die meisten von ihnen tauchen aber unvermutet vor uns auf. Von oben sehen wir in den zentralen Innenhof des Höhlengebäudes herunter, in dem unter zwei oder drei Etagen die Eingänge zu den einzelnen Wohnräumen zu erkennen sind.

Eine dieser Wohnhöhlen beherbergt heute das Hotel “Sidi Idriss“. Diese Höhle ist einer der Originaldrehorte der Star Wars Verfilmung und ist auch heute noch außerordentlich gut erhalten. Wegen des Ramadan ist das Hotel zur Zeit zwar geschlossen, doch gegen eine Gebühr von einem Dinar pro Person dürfen wir hinein und durch die mit den originalen Filmkulissen bestückten Räume wandern. Da können wir doch tatsächlich die Konturen eines Staubsaugers erkennen, der dort über der Tür eine galaktische Maschinerie dargestellt hat.

im Hotel Sidi Idriss, 
einer der Originaldrehorte der Star Wars Episoden

im Hotel Sidi Idriss,
einer der Originaldrehorte der Star Wars Episoden

originale Requisiten aus den Star Wars Filmen

originale Requisiten aus den Star Wars Filmen

Kunststoffphantasien aus den Filmen

Kunststoffphantasien aus den Filmen

ein gewagter Blick in die oben offene Wohnhöhle des Hotels

ein gewagter Blick in die oben offene Wohnhöhle des Hotels

Am Abend geht es dann zum Essen in Abdouls Restaurant. Hier in Matmata gibt es die Tajine mit Geflügel und Gemüse, die wie in Marokko in einem geschlossenen Topf hergestellt wird. Im ganzen übrigen Tunesien wird ein einfacher Gemüseauflauf als Tajine bezeichnet, was für uns bisher eine echte Enttäuschung darstellte.
Abdoul ist ein geschäftstüchtiger, kauzigfreundlicher Mann. Er vermietet seinen Campingplatz nur an die Gäste seines Restaurants. Wir genießen die Tajine und freuen uns darüber, morgen früh nicht abwaschen zu müssen.

der Eingang zu Abdouls Geschäft

der Eingang zu Abdouls Geschäft

Abdoul aus Matmata vor seinem Restaurant

Abdoul aus Matmata vor seinem Restaurant

Tamezret

Was wir gestern bei der Wahl unseres Übernachtungsplatzes nicht bedacht hatten war die Moschee, die auf dem unmittelbar angrenzenden Grundstück von Abdouls Campingplatz steht. Mit etwa 120 Dezibel werden wir um halb 5 Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen und stünden jetzt senkrecht im Bett, wenn das schräg aufgestellte Zeltdach dieses zulassen würde. Das Adrenalin pocht in den Adern, die Hunde fangen an zu bellen, und die Gläubigen bewegen sich zu ihrem Morgengebet oder verrichten es zuhause.
„Ok, dann hat der Tag also auch für uns angefangen.“ Wir trösten uns mit einer wunderbaren, heißen Dusche in dem kleinen Sanitärgebäude auf dem Parkplatz, für das wir exklusiv den Schlüssel erhalten haben.

das Berberdorf Tamezret

das Berberdorf Tamezret

Nach etwa zehn Kilometern über Serpentinenstraßen sind wir in dem kleinen Berberdorf Tamezret angekommen. Wir werden von winkenden Kindern und dösenden Hunden empfangen. Es ist angenehm, nicht gleich nach einem Dinar oder nach Stiften gefragt zu werden. Die Berberkinder hier kommen uns zurückhaltender vor, als Kinder in anderen Orten. Wir sehen viele schöne junge Menschen mit glatter, leicht bronzefarbener Haut, und alte Menschen, die uns mit zahnlosen Mündern freundlich anlächeln. Sie haben auch nichts dagegen, fotografiert zu werden.

Berbermütterchen

Berbermütterchen

Auf bunt bemalten Stufen steigen wir durch die Straßen. Farbenfrohe Türen und Tore säumen den Weg. In einer der verwinkelten Gassen finden wir ein auf die grobe Mauer gemaltes Alphabet in Berberschrift. „Ist das hier eine Schule?“ Auch die Sprache der Berber soll hier in einigen Gegenden noch gesprochen werden. Das wissen wir allerdings nur aus der Literatur. Einen Unterschied dieser Sprache zum Arabischen könnten wir sowieso nicht erkennen.

Straße im Berberdorf

Straße im Berberdorf

die Berber gestalten ihre Mauern, Eingänge und Tore in farbenfroher Spielerei

die Berber gestalten ihre Mauern, Eingänge und Tore in farbenfroher Spielerei

farbenfrohe Ornamente an den Wänden

farbenfrohe Ornamente an den Wänden

das Alphabet der Berber

das Alphabet der Berber

Zwei Kinder mit pechschwarzen Zottelhaaren toben mit scheinbar endloser Energie um ein altes Auto herum. Zunächst sind sie scheu, stellen sich dann aber gerne für ein Foto in Pose, nachdem wir ihnen unseren Wunsch in Zeichensprache deutlich gemacht haben.

zwei Kinder mit pechschwarzen Zottelhaaren toben mit scheinbar endloser Energie um ein altes Auto herum

zwei Kinder mit pechschwarzen Zottelhaaren toben mit scheinbar endloser Energie um ein altes Auto herum

in einem Berberhöhlenhaus

Wir sind wieder auf dem Weg zurück. Ich halte kurz mal an, um noch eines der originalen Berberhöhlenhäuser zu fotografieren, das ich, mit blau bemaltem Eingang, etwas abseits der Straße entdeckt habe.
Kaum haben wir angehalten, da kommen drei Kinder auf uns zu. Der Älteste von ihnen auf einem Fahrrad, etwa 12 Jahre alt, spricht uns in gutem Französisch an, ob wir nicht ihr Haus, ein echtes Berberhaus, ansehen wollten. Seine beiden jüngeren Geschwister rennen barfuß neben ihrem Bruder her.
Wir gehen mit ihnen, fragen nach Vater oder Mutter, die aber offensichtlich nicht dort sind.

ein heute noch bewohntes, in den Berg gehauenes Berberhaus

ein heute noch bewohntes, in den Berg gehauenes Berberhaus

die drei Geschwister der Berberfamilie

die drei Geschwister der Berberfamilie

in den Räume des Berberhauses

Etwas unsicher sind wir schon, ob das Ganze nicht eine Abzocke ist, lassen uns aber trotzdem auf eine Führung durch das Haus ein und bekommen das gesamte Höhlenlabyrinth gezeigt.
„Hier ist unser Wohnzimmer“, heißt es in einem in den Fels gehauenen Raum, in dem aus Lehm gestaltete, mit Decken belegte Bänke stehen.
„Dieses ist das Schlafzimmer unserer Eltern“. In einem wohnlich eingerichtetem Raum steht ein Doppelbettt mit Baldachin und Vorhängen.
„Das ist unsere Küche“, heißt es in einem Raum, in dem Küchenutensilien auf Regalen stehen.
„Wo ist den Euer Ofen? Die Küche hat ja gar keine Kochgelegenheit“.
„Der Gaskocher steht in einem anderen Raum in der Nähe der Öffnung nach draußen“. Das ist sinnvoll, damit sich beim Kochen die Dämpfe nicht in den Höhlen verteilen.
„Und die Kinderzimmer sind in der zweiten Etage“. An einem Seil klettert sein Bruder, die in den Lehm eingehauenen Stufen nutzend, in eine höher gelegene Öffnung hinein. Das Mädchen hängt sich auch an das Seil und schaukelt mit keckem Blick hin und her.
„Und hier sind noch unsere Kätzchen“. In einem Korb liegen zwei winzige, vielleicht zwei Tage alte Kätzchen, denen noch das Bauchfell fehlt. Die Katzenmutter gesellt sich hinzu, leckt den beiden Kleinen über die Bäuche, die sich sofort an die Zitzen der Alten hängen und den Zusehenden ein wohlig waberndes Katzenfellbündel darbieten.

der Eingang in das Haus

der Eingang in das Haus

der Wirtschaftsraum

der Wirtschaftsraum

das Schlafzimmer der Eltern

das Schlafzimmer der Eltern

der Zugang zum Kinderzimmer

der Zugang zum Kinderzimmer

Immer noch sind wir nicht sicher, ob das hier nicht eine Inszenierung ist. Die Räume sind so penibel aufgeräumt. Nicht die kleinste Kleinigkeit liegt herum. Wohnen die drei Kinder dort überhaupt?
Auf die Frage nach einer Bezahlung für die Hausführung bekommen wir eindeutig eine ablehnende Haltung. Auch ein Geschenk wollen sie nicht annehmen. Vielleicht hat diese Führung tatsächlich nur aus Freundlichkeit stattgefunden und den sonst eher eintönigen Alltag der drei Kinder etwas aufgelockert.
Wie dem auch sei. Dieses Erlebnis mit den drei Berberkindern hat uns echt positiv beeindruckt.

unsere drei Hausführer

unsere drei Hausführer

© Michael Bünte, 2022
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Wir starten in Hamburg und reisen mit einem Toyota HZJ78 über Neapel nach Tunesien. Dieses ist der Bericht unserer zehnwöchigen Reise.
Details:
Aufbruch: 06.04.2022
Dauer: 10 Wochen
Heimkehr: 17.06.2022
Reiseziele: Tunesien
Der Autor
 
Michael Bünte berichtet seit 26 Monaten auf umdiewelt.
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