Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

La Boca

Im Movistar-Center - 1 Stunde Wartezeit vor dem Gebäude, eine Stunde drinnen bis meine Nummer aufgerufen wurde.

Im Movistar-Center - 1 Stunde Wartezeit vor dem Gebäude, eine Stunde drinnen bis meine Nummer aufgerufen wurde.

Ich will Euch die Details ersparen, aber ich habe tatsächlich noch einmal fast einen ganzen Tag verbracht auf der Suche nach Bargeld. Kann es noch immer nicht fassen, aber ich habe mich über Nacht ein wenig an den Gedanken gewöhnt, in Argentinien alles mit der Karte zu bezahlen. Obwohl mir das bei kleinen Beträgen widersteht.

So kostet zum Beispiel mein heutiges Mittagessen mit einem Teller Ravioli und einem Wasser knapp 10 Franken. Ich finde es äusserst lästig, dafür die Kreditkarte zu gebrauchen. Und bei einem Kaffee kann ich das erst rechts nicht. Doch mit den horrenden Spesen kostet der mich bar bezahlt, fast mehr als ein Mittagessen. Ich versuche noch einmal, bei einer Bank vorzusprechen, aber die nette Dame meint, das sei eben hier so, wenn meine Limite nicht höher sei, könne sie mir nicht helfen. Ihr würde es bestimmt genau so gehen, wenn sie ins Ausland reisen würde.

Ich wage das zu bezweifeln. Nachdem kein Bankomat mehr als die 2000 Pesos hergibt, gebe ich diesen Weg auf. Ich versuche, andere Bankkunden zu beobachten, habe sogar einmal ein nettes Paar gefragt, wieviel man denn aus dem Automaten holen könne. Das ist allerdings ein sehr heikles Unterfangen, ist ja grad der Bereich rund um die Geldmaschinen eine absolute Tabuzone, wo man kaum traut, jemanden anzusehen, geschweige denn, anzusprechen. Die nette Frau meinte denn auch, wahrscheinlich sei der Automat leer, weil über die Festtage viel bezogen wurde. Dass sie selber ebenfalls nur 1000 Peseten herauszog, habe ich mit meinem neugierigen Blick gesehen. Wahrscheinlich zahlt sie datür keine so hohen Spesen, wie ich mit meiner ausländischen Kreditkarte.

Meine Frage bei einem Geldwechsel-Büro bringt dann die Erleuchtung: "Überweisen sie sich Geld per Western Union", meint der Herr, der gern meine paar Dollars gewechselt hätte. Das ist die Lösung. Wenn ich nicht selber bei Western Union gesperrt wäre, könne ich das selber machen, aber ich rufe meine Schwester an. Es ist bereits Abend, als ich sie erreiche und sie die Überweisung in der Schweiz startet. Morgen werde ich höchst wahrscheinlich Geld abholen können.

Unterdessen weiss ich auch, warum die ganzen Probleme bestehen. Argentinien hat eine Inflation von über 50 %. Denen läuft der Wert des Geldes nur so davon. Natürlich, das hätte ich früher wissen können, aber dass sich das Problem so konkret auf mein Bargeld auswirken könnte, damit hätte ich trotzdem nie gerechnet.

Interessant sind auch die Antworten, die ich auf meine Mails bekommen habe. Die UBS verschanzt sich hinter ihren Informationen betreffend Kreditlimiten der Debit- und Kreditkarten. Von konkreter Hilfe keine Spur. Cornercard hatte ich am Telefon, die hatte noch nie von solchen Problemen in Argentinien gehört. Einzig Bonuscard versucht es mit konkreter Unterstützung: "fragen sie im Hotel nach einem Automaten mit höherem Maximalbetrag und falls das nicht klappt, können sie sich einen Betrag auf eine lokale Bank überweisen lassen. Melden Sie sich noch einmal, wenn wir Ihnen damit helfen können..." Genau das wäre es gewesen, was ich gebraucht hätte. Interessant finde ich auch, dass bei keinem der Bankinstitute etwas geklingelt hat, bei der Erwähnung von Argentinien. Ich bin also nicht die einzige, der die Situation hier nicht bewusst war.

Die Tipps meiner Leser sind natürlich auch eingetroffen und die waren ebenfalls ganz spannend:
- ins nahe Uruguay ausreisen und dort Geld beziehen. Der Tipp wäre perfekt, wenn da nicht die Corona-Einschränkungen wären, denn Uruguay ist tatsächlich nur eine kurze Schiffahrt entfernt.
- in einem Casino mit der Visakarte Geld beziehen. Der Tipp hätte tatsächlich klappen können, muss ich jetzt zum Glück nicht ausprobieren.
- Dollar per WU überweisen lassen, um sie danach auf dem Schwarzmarkt zu wechseln. Auch ok, aber ich werde morgen wohl Pesos bekommen.

Das Ganze war also letztlich eine recht spannende Angelegenheit, hoffe jetzt aber doch, dass ich morgen wieder flüssig sein werde.

Mein zweites Problem hat sich heute ebenfalls gelöst. Nachdem ich fast zwei Stunden vor und in einer Movistar-Agentur verbracht und noch einmal zwei verschiedene Schalter- und Nummernsysteme hinter mich gebracht habe, funktioniert jetzt das Internet auf dem Handy wieder. Ich bin also per Uber-Taxi und direkter Kreditkartenabbuchung wieder mobil.

Und genau von dieser Funktion profitiere ich am Abend. Ich fahre nach La Boca, ins alte Hafen- und Einwandererquartier.

Von meiner Fahrt mit dem Citybus weiss ich, dass das Fussballstadion von La Boca La Bonbonera (Pralinenschachtel) genannt wird. Sie ist blau-gelb und steht eingeklemmt zwischen den Häusern. La Boca war der erste Fussballclub von Maradona, darum ist er hier überall präsent. Seine Farben hat es gemäss Legende von einem schwedischen Schiff, das zufällig im Hafen lag, als man sich über die Farbgebung nicht einigen konnte.

Mein Taxi hat mich irgendwo in La Boca ausgeladen, jetzt bin ich auf der Suche nach den farbigen Häusern. Das Quartier liegt am alten Hafen. Bis hierhin kamen früher die Schiffe und wurden von den Hafenarbeitern entladen. Viele waren Einwanderer, vor allem aus Italien. Es sind alte Häuser, einfache Menschen, die hier leben und es gibt überraschend viele Bäume, die willkommenen Schatten spenden, denn es ist auch heute wieder sehr heiss hier. 33 Grad zeigt mein Thermometer an, da gehe ich gern auf der Schattenseite der Strassen oder unter den Bäumen

Das Wandbild zeigt Maracona

Das Wandbild zeigt Maracona

Maradona auf der anderen Strassenseite

Maradona auf der anderen Strassenseite

Ich schlendere durch die Strassen. Hier könnte man vergessen, dass man in einer Millionenstadt unterwegs ist. Es ist eher wie ein Dorf. Schmale Strassen, wenig Verkehr, ein paar Tische vor den Kiosken, Leute die zusammensitzen, beim Vorübergehen grüssen, Kinder, die auf der Strasse spielen.

Und farbige Fassaden. Immer mehr farbige Fassaden, bis ich endlich bei den bekannten Häusern bin. Den Häusern, die mit lackiertem Wellblech bekleidet sind. Gebaut wurden die Häuser aus Abfällen aus Schiffsfracks, geschützt mit Wellblech, das mit Schiffslack bemalt wurde. Eine pitoreske Szene, die heute natürlich geschützt und gepflegt wird. Viele dieser Häuser sind zu grossen Souvenirläden umgewandelt worden, dadurch kann man sie auch von innen bestaunen.

Heute ist es allerdings dafür bereits zu spät. Ausserdem suche ich keine Souvenirs, sondern spannende Fotosujets.

Es sind kaum Leute unterwegs. Als ich vor Jahren schon einmal hier war, war das noch ganz anders. Doch die Pandemie hat auch hier ihre Spuren hinterlassen. Fürs Fotografieren ist es so allerdings ideal. Kein Mensch steht im Wege herum.

Es wird noch immer überall Fussball gespielt

Es wird noch immer überall Fussball gespielt

Maradona an der Wand

Maradona an der Wand

Beliebtster Ort für Fotoshootings, der Beginn des Caminito

Beliebtster Ort für Fotoshootings, der Beginn des Caminito

Caminito - der kleine Weg

Caminito - der kleine Weg

In der alten Rotisserie singt ein Tangosänger. Ich setze mich, bestelle eine frisch gemachte Limonade und höre ihm zu. Es sind diese sentimentalen Lieder von Liebe und Schmerz, die direkt die Seele erreichen.

Ein paar Tische sind besetzt und der Sänger will wissen, woher seine Zuhörer kommen. An einem Tisch sitzt eine Gruppe Argentinier, aber sonst sind es nur Ausländer: Paraguay, Brasilien, Kolumbien. Und als Exotin unter all den Südamerikanern sitze ich. Sofort will er wissen, ob ich denn französisch oder deutsch spreche und begrüsst mich dann 'Willkommen in La Boca'. Ab jetzt bedankt er sich am Schluss seiner Lieder nicht nur mit Gracias und Obrigada, sondern schickt auch noch ein Dankeschön in meine Richtung.

von oben grüsst Maradona

von oben grüsst Maradona

Ich bleibe, bis das Lokal bei Einbruch der Dunkelheit schliesst. Am Hafen steht ein Taxi und ich habe dummerweise vergessen, dass ich gar kein Geld im Sack habe. Bevor ich einsteige, sehe ich mir noch einmal die alte und die neue Brücke an. Die alte sei gar keine Brücke gewesen, erklärt mir der Taxifahrer, das wäre eine Fähre gewesen, die hin und hergefahren sei. Mit maximal 5 Fahrzeugen beladen. Als diese Kapazität nicht mehr reichte, wurde die neue Brücke gebaut. Früher seien die grossen Frachtschiffe bis hierher gefahren, damals waren die Restaurants des Camnito, des kleien Weges, die Hafenkneipen, in denen die Mädchen auf die Seefahrer gewartet hätten. Jetzt gibt es den neuen grossen Hafen, bis hierher kommen keine grossen Schiffe mehr.

Bevor ich endgültig ins Taxi einsteige, sehe ich noch die Sonne hinter La Boca untergehen. Mein Taxifahrer hat Geduld und Zeit zu warten. Ich glaube, er ist froh, überhaupt noch eine Fahrt zu haben, heute Abend.

Ich frage ihn, wie denn das Leben sei in Argentinien. Oh, meint er, zur Zeit ist es schwierig, unsere Wirtschaft galoppiert uns davon, die Preise steigen täglich. Die Löhne machen das nicht mit. Da ist es wieder, dieses schwierige Thema. Ich verstehe jetzt, warum man mir keine richtigen Auskünfte geben wollte, warum man auf meine Kreditlimite hingewiesen oder auf fehlendes Bargeld nach den Festtagen verwiesen hat. Wer mag schon über so gravierende Probleme im eigenen Land mit einer Ausländerin sprechen.

Dass mein Bargeld nicht reicht, merke ich erst beim Aussteigen. Zum Glück habe ich noch ein paar Dollars dabei. Falls es morgen mit dem Bargeld nicht klappt, werde ich mir eine bessere Planung aneignen müssen.

Die alte und dahinter die neue Brücke im alten Hafen von Buenos Aires

Die alte und dahinter die neue Brücke im alten Hafen von Buenos Aires

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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