Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Replica

Heute gibts was neues zum Frühstück: Rührei und Sandwiches statt Tortillas. Der junge Mann ist auch wieder hier und versucht sich bei der jungen Bedienung verständlich zu machen. Diesmal mische ich mich nicht ein, aber er kommt selber auf mich zu. Bittet mich, auszurichten, dass er im Moment nur einen Kaffee möchte und erst später frühstücken. Später, das ist nachdem er auf dem Penol war. Wann das sein wird, weiss er auch nicht, ich schätze, das wird erst am Nachmittag sein, denn es ist bereits zehn Uhr. Vielleicht nimmt er die Stufen aber auch im Schwung und ist in einer Stunde wieder hier. Wer weiss das schon.

Wir kommen ins Gespräch. Er heisst Mikael und kommt aus Israel. Ob ich allein reise, will er wissen. - Wer will das schon nicht wissen, die Frage ist eine der ersten, die man mir jeweils stellt. - Ja, natürlich, auch du scheinst ja allein unterwegs zu sein. Er sieht mich etwas zweifelnd an. "Ja schon, aber ich bin jung, und du bist.... " Er stockt, da hat er sich ja in eine dumme Situation gebracht.

"Auch wenn ich alt bin, kann ich sehr gut allein reisen, das ist doch genauso spannend wie für dich." Er ist beruhigt und ich gehe in mein Zimmer, will noch ein wenig schreiben. Für zwölf Uhr habe ich ein Mototaxi bestellt.

Als wieder zurück zur Rezeption komme, ist er schon wieder hier. "Wie wars, will ich wissen?". "Oh, ich war noch nicht oben, gehe erst jetzt." Hab ich mir doch gedacht, dass er sein Frühstück erst am Nachmittag essen wird.

Vielleicht gehört das auch zum Allein reisen. Wenn man nicht wirklich ein Frühausteher ist, wird man von niemandem angetrieben, den Tag in Angriff zu nehmen. Jedenfalls ich brauche immer eine Anlaufzeit und weil da niemand ist, der anders gestrickt ist, kann das manchmal länger gehen, bis ich starte. Er scheint da ähnlich zu ticken.

Hab ihn übrigens nicht mehr gesehen, das Mädchen hat mir später gesagt, er sei heute irgendwann abgereist.

Allein reisen ist für mich tatsächlich kein Problem. Einzig beim Essen, oder sich irgendwo für einen Kaffee hinsetzten, da hätte ich oft gern jemanden an meiner Seite. Zum plaudern, zum austauschen, einfach um nicht allein da zu hocken. Dann stelle ich manchmal eine Foto in den Status oder ins Facebook und manchmal ist da jemand, der darauf reagiert. Als ich beim Aufstieg zum Penol war, hat das jedenfalls hervorragend funktioniert. Bei meiner Pause, als ich mich kurz auf die Treppe setzte, kam ich sofort in einen Chat mit einer Freundin. Danach ging es ganz gut wieder weiter. Es sind also nur Momente, wo man jemanden an seiner Seite vermisst. Organisatorisch ist alleinreisen auch kein Problem. Man kann sich überall erkundigen, wenn man nicht mehr weiter weiss.

Sprache natürlich vorausgesetzt. Sonst gäbe es ja noch Übersetzungssoftware wie mir Mikael überzeugend vorgeführt hat.

Juancho

Juancho

Im Terrassensaal ist man immer noch am Dekorieren. Der junge Mann, der mich an der Rezeption empfangen hatte, heisst Juancho. Er ist jeweils nur am Wochenende hier, denn eigentlich ist er Grafiker und Designer. Und er ist für das Design des Hotels zuständig. Also für all die farbigen kitschigen Lämpchen, die dauernd die Farbe wechseln. Aber auch für die schönen Blumenarrangements, die pompösen Sessel im Foyer und die Wandmalereien. Alles von ihm. Jetzt ist er dabei, den grossen Terrassensaal zu dekorieren, denn am Sonntag wird die Besitzerin hier Hochzeit feiern. Ich bin gespannt, wie der Saal am Schluss aussehen wird, kann aber kaum das Endergebnis sehen, da ich morgen zurück nach Medellin reise.

Und die jungen Mädchen, die für die Bedienung und den Zimmerservice zuständig sind, sind gerade erst seit drei Tagen hier. Also ungefähr so lange wie ich. Wahrscheinlich war Nubia, die Freundin der Besitzerin darum hier, als ich ankam. Ich habe sie seither nicht mehr gesehen.

Juancho hat mir empfohlen, den Ring zu fahren, das ist eine einfache Strasse, die über alle Umwege bis nach Guadalpe fährt. Ich bitte Fernando, meinen Mototaxifahrer, der mich pünktlich am Mittag abholt, mir etwas von der Gegend zu zeigen.

Wir fahren also los, über einfache Strassen, die wieder einmal nur teilweise asphaltiert sind. Was so ein Motorrad aushalten muss, ist einfach unglaublich. Gleich am Anfang geht es steil bergauf, dan fahren wir durch grüne Hügel. Durch Wiesen, kleine Weiler und immer wieder an versteckten Gästehäusern vorbei. "Da wird wohl nicht viel los sein, hat bestimmt keine Touristen hier, " sage ich, worauf Fernando meint, dass Leute aus der ganzen Welt hierher kämen. "Ja, aber jetzt im Moment ist es ruhig", wende ich ein. "Ja, jetzt schon, aber das ändert sich schon wieder."

Ich bin immer wieder überrascht, dass ich niemanden höre, der jammert. Es ist im Moment eben ruhig, aber das wird sich wieder ändern. Es hat keinen Sinn über etwas zu lamentieren, das man nicht ändern kann. So kommt es mir vor, kann mich aber natürlich auch täuschen. Allerdings machen die vielen Restaurants mit den Terrassen beim Penol schon den Eindruck, dass man hier mit grossen Touristenmassen rechnet. Auch die vielen Restaurants und Geschäfte mit Handarbeiten weisen darauf hin. Bestimmt ist auch mein Hotel normalerweise besser ausgebucht. Doch es geht allen so, man nimmt es wie es kommt. Ich bin sehr beeindruckt von dieser Gelassenheit.

Die Strasse zum Benediktinerkloster, das hier irgendwo in der Einsamkeit liegt, ist leider durch eine Baustelle gesperrt. Die nächste Baustelle aber schaffen wir. Fernando lenkt sein Mototaxi einach zwischen den Erdhaufen hindurch und schon haben wir wieder freie Fahrt.

Die Leute hier bauen Mais an, Yucca, Früchte. Ausserdem haben sie Kühe und Pferde. Mit den Pferden werden Ausflüge für Touristen organisiert. Man kann mit ihnen durchs Gelände reiten. Man könnte auch mit dem Helikopter einen Rundflug machen, immer wieder hört man ihn am Himmel kreisen, bevor man ihn von weitem sieht. Ist bestimmt toll, so ein Rundflug über die riesige Wasserlandschaft.

In Guadalpe halten wir nur kurz für einen Fruchtsaft an. Guanabana - Chirimoya. Dann fahren wir weiter. Fernando will mir das wieder aufgebaute Dorf Penol zeigen. Die Replica, die als Gedenkstätte und als Touristenattraktion nach der Eröffnung des Stausees aufgebaut wurde.

Es ist ein kleines Dorf mit der Dorfkirche. Sie ist zwar im gleichen Architektur, aber viel kleiner wieder gebaut worden und auch die Häuser sind warhscheinlich etwas kleiner geraten als das Original, das unter dem Seespiegel liegt.

Doch da sind keine Häuser mehr, versichert mir die Frau im Museum. Sie zeigt mir die beiden Bilder an der Wand. Sie zeigen die alte Kirche und das Kreuz das an der gleichen Stelle aufgestellt wurde und das ich gestern auf dem See gesehen habe. Das Dorf und die Kirche wurden komplett zerstört, bevor der See gefüllt wurde. "Nein", meint sie, "da steht kein Haus mehr. Das wurde alles gesprengt. Dinamita." Womit das auch geklärt wäre. Sie lächelt, als ich ihr sage, dass der Guia gestern erzählt hat, dass da unten noch Häuser wären und Taucher manchmal hinunter tauchen, um Dinge zu suchen. "Sie erzählen halt gern spannende Geschichten", meint sie wissend.

Von der Aussichtsplattform im neuen Dorf Penol

Von der Aussichtsplattform im neuen Dorf Penol

Ich schlendere noch ein wenig durch das Dörfchen, durch die Geschäfte, die ihre schönen Handarbeiten anbieten. Doch da mein Koffer bereits zu schwer ist, fällt es mir leicht, nichts zu kaufen. Lieber trinke ich einen Cappuccino mit Aussicht und fotografiere ein paar Blumen.

Danach bringt mich Fernando zurück ins Hotel, wo ich noch ein wenig am Blog schreibe, bevor ich zum Nachtessen ins Restaurant mit den blinkenden Lämpchen gehe.

Die Beleuchtung ist da übrigens so mies, dass ich es aufgegeben habe, mein Essen zu fotografieren. Es sieht nie gut aus, das ist bei dieser schummrigen farbigen Beleuchtung überhaupt nicht möglich. Aber man soll Essen ja nicht fotografieren, sondern geniessen. Und mein gedämpfter Lachs mit Gemüse schmeckt tatsächlich sehr gut, auch wenn die Bedienung meinte, er würde auf dem Grill gemacht und mit fritierten Bananen serviert. Sie hat einfach noch überhaupt keine Ahnung und weiss auch nicht, dass diese Informationen einfach wichtig sind für einen Gast.

Für Sonntag hat man die Stühle mit den goldenen Beinen aus dem Lager geholt.

Für Sonntag hat man die Stühle mit den goldenen Beinen aus dem Lager geholt.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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