Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Aguas termales

Ich bin auch heute wieder mit einem Privatchauffeuer unterwegs. Jorge, der Administrador des Hotels hat mir ein Taxi vermittelt. Toni heisst mein Chauffeur und er wird mich heute den ganzen Tag begleiten, denn mein Ziel ist ziemlich weit weg. Gut 60 km lese ich auf meiner App, aber es dauert bei diesen Strassen trotzdem gut 90 Minuten. Bestimmt gibt es auch auf der Strecke das eine oder andere zu sehen.

Von Nubia hatte ich den Tipp, nach Salento zu gehen und dort in der Nähe die Aguas termales de Santa Rosa zu besuchen. Die Thermalquellen von Santa Rosa. Bei sowas bin ich immer dabei.

Nach dem Frühstück fahren wir los. Das erste Ziel ist Filandia. Ich muss immer aufpassen, dass ich da keinen N dazwischen stelle. Finlandia wäre doch etwas zu weit weg. Auf der Strecke fallen mir die zerfallenen Häuser auf. Sie sehen wie ausgebombt aus und irgendwie erinnert mich das an etwas.

Tatsächlich, ein grosser Teil dieser Gegend gehörte einem weiteren Drogenbaron, der zur Zeit von Pablo Escobar hier lebte. Carlos Lehder. Eine Zeitlang war er mit Pablo befreundet, das änderte sich aber.

Und wie Pablo war er eine sehr gespaltene Persönlichkeit, machte sehr viel für die Menschen hier, unterstützte die Armen. Auf seinem Gelände gab es ein 5-Stern-Hotel, Restaurants, Supermärkte, Pools, Wohnhäuser und einen Zoo. Ich weiss nicht, woher dieser Spleen kommt, aber anscheinend gehört es dazu, einen privaten Zoo zu haben, wenn man so viel Geld hat. Jedenfalls kam es vor, dass Busse in die Dörfer wie Salento und Filandia fuhren und die Leute einluden, einen schönen Tag in der Finca von Carlos Lehder zu geniessen. Sie durften gratis in den Zoo, bekamen Verpflegung, durften alle Unterhaltungen geniessen und wurden am Schluss mit einem Sack voller Lebensmittel beschenkt. Natürlich erkaufte er sich dadurch die Unterstützung der Menschen hier. Sie standen hinter ihm, und würden es wohl noch immer. Er wollte Alcalde, Bürgermeister werden, doch das Cobierno liess ihn nicht zu. Es war ein Kopfgeld von mehreren Millionen auf ihn ausgesetzt.. 1987 wurde er gefangen und büsste seine Strafe in den USA ab. Heute lebt er in einem Pflegeheim in Deutschland und wird von einer gemeinnützigen Organisation unterstützt. Noch heute spricht man von ihm als Engel und Teufel, oder als Robin Hood so wie auch von Pablo Escobar, der in Medellin inzwischen eine Legende ist.

Oder eine Legende geworden ist, denn mein letzter Taxifahrer, der mich in Medellin zum Busterminal brachte, war überzeugt, dass Pablo noch lebt. Inkognito in Haiti. Auch er erzählte positiv von Pablo, er hätte ihn selber gekannt, hätte als junger Mann drei Jahre für ihn gearbeitet. Als Chauffeur. "Er war immer sehr zuvorkommend, erkundigte sich, wie es mir und der Familie geht, verschenkte Checks und war um das Wohl seiner Freunde sehr besorgt, erkundigte sich, wie man die freien Tage verbracht hat."

Der Tod von Escobar wurde zur Legende, aber auch Carlos ist nichts geblieben. Seine Häuser wurden komplett zerstört und stehen jetzt als schwarze Ruinen in der Gegend.

Tipp: unter den Stichworten Botero und Tod von Escobar findet man einige Gemälde, die den toten (dicken) Escobar auf den Dächern von Medellin zeigen. Eine schaurig faszinierende Persönlichkeit eben und noch immer sehr gegenwärtig im Land.

Und heute habe ich gelesen, dass ein weiterer Drogenbaron in den Wäldern von Kolumbien gefasst wurde. Otoniel, der meist gefürchtete Drogenboss der Welt. Das Thema ist also durchaus noch immer sehr aktuell.

Doch verlassen wir die Vergangenheit, wir sind inzwischen bei einem Aussichtsturm in der Nähe von Filandia angekommen. Es ist eine Holzkonstruktion auf einem Hügel, den ich nun besteige. Keine Treppen, der Pfad führt rund um den Hügel hinauf. Oben steht der Turm, der wie eine Blume oder wie ein achteckiger Stern dasteht. Jetzt führen Treppen hinauf. Die Aussicht ist zwar heute nicht gut, über der Gegend liegen dicke Regenwolken und es ist keinen Moment sicher, ob es nicht wieder anfängt zu regnen. Bei schönem Wetter müsste man hier Vulkane sehen. Eine ganze Kette ist es, wie mir Toni erzählt. Schneebedeckte Gipfel von gut 4'000 Metern. Heute sieht man gar nichts. Immerhin kann ich tief unten den Friedhof erkennen und gegenüber den Ort Filandia. Unser nächstes Ziel. Und in der Mitte der ganzen Konstruktion liegt ganz unten ein blauer Schmetterling im Wasser.

Toni hat inzwischen im Auto auf mich gewartet. Es ist so typisch für viele Menschen hier, die zwar mit dem Tourismus zu tun haben und täglich mit Leuten kommunizieren, deren einziges Ziel das Reisen ist und die immer neue Orte kennen lernen wollen. Selber aber war Toni noch nie auf dem Turm und auch in den Termalquellen, wohin ich heute will, war er noch nie. Ich beobachte das immer wieder, und ich glaube es ist nicht nur das fehlende Geld, das die Leute abhält, obwohl das natürlich immer auch ein Grund sein kann, sondern einfach mangelndes Interesse, eigene Zufriedenheit.

110 Stufen sind es heute. Peanuts im Vergleich zu anderen Orten.

110 Stufen sind es heute. Peanuts im Vergleich zu anderen Orten.

Filandia, unser nächster Stopp

Filandia, unser nächster Stopp

Wir fahren also nach Filandia, wo Toni auf dem Hauptplatz hält und auf mich im Auto wartet. Ein typischer Chauffeur. Er hat mir erzählt, dass das sein Traumberuf sei. Chauffeur oder Militär. Im Militär war er zwei Jahre und das hat ihm sehr gefallen, aber da er seit seinem 12. Lebensjahr Auto fährt, und seit wenigen Monaten ein eigenes Auto hat und selbstständig ist, hat er sein Ziel erreicht. Mit 12 Jahren konnte er Auto fahren, mit 14 Jahren hat er den Fahrausweis gemacht. Damals war das mit Einwilligung der Eltern noch möglich, heute muss man dazu 16 Jahre alt sein. MIt Unterschrift beider Eltern.

Ins Militär kann er übrigens nicht mehr gehen, weil er sich inzwischen ein paar Tatoos hat stechen liess, das wird im Militär nicht tolereriert. Ausserdem hat er zwei Kinder, auch das darf man als Soldat nicht haben, ausser man mache Karriere wie die beiden Ehemänner seiner Schwestern.

Toni war noch nie weiter weg von zu Hause als in Medellin, wo er eine Zeitlang gearbeitet hat. Er ist jetzt 26 Jahre alt.

Ich schlendere über den Hauptplatz, der mich sehr an Salento erinnert. Der Ort ist ebenfalls sehr farbig mit all den bunt bemalten Türen und Fenstern. Auch hier kurven Willys durch die Strassen, doch sie sind nicht so schrill lackiert wie in Salento. Überhaupt ist es ein ruhiger Ort, Toni meint, es hätte hier nur halb so viele Touristen wie in Salento. Der Ort sei typischer, ursprünglicher, nicht so rausgeputzt wie Salento.

Im Moment hat es aber an beiden Orten nur wenig Touristen. Sie kommen zur Zeit nur ganz langsam zurück. Aber immerhin, es kommen immer mal wieder ein paar Ausländer und die Lager normalisiert sich.

Vor der Bank hält ein Geldtransporter

Vor der Bank hält ein Geldtransporter

Ich gehe in die grosse Kirche, deren Türen weit offen stehen. Sie ist riesig, aber schlicht mit den schönen Bögen und den achtzackigen Sternen an der Decke. Geometrische Muster sind es, die Decke und Wände ziehren.

An den Wänden fallen mir Gruppen von Kindern auf. Sie werden von Lehrerinnen unterrichtet. Ob das Religionsunterricht ist? Direkt in der KIrche. Ich bleibe stehen, beobachte sie eine Weile, bis ich auffalle und mich eine der Lehrerinnen begrüsst: Bienvenido.

Die Lehrerinnen sind Katechetinnen und sie bereiten die Kinder auf die erste Kommunion vor, die sie nächstes Jahr feiern werden. Vier Gruppen sind es, mit grossem Abstand in der ganzen Kirche verteilt. Darf ich fotografieren? - Por supuesto/selbstverständlich. Die Kinder schauen mich verwundert an. Was für ein freundlicher einfacher Umgang.

Auf dem Hauptplatz vor der Kirche steht ein Zelt. Hier wird geimpft. Ja, meint der Mann, der die Leute registriert, wir sind schon sehr weit mit den Impfungen. Skeptiker gibt es auch, aber es werden höchstens 5 % sein, erzählt er. Man hat mit den Impfungen nach Alter angefangen, jetzt ist man bei den Kindern. Aber natürlich kommen auch noch immer Erwachsene zur zweiten Impfung oder weil sie bisher keine Zeit hatten. Probleme gibt es damit aber keine. Man will einfach möglichst schnell zurück zur Normalität. Denn noch immer gehört die Maske zum Leben, auch wenn man im Moment immer etwas lockerer damit umgeht. Alle, die irgendwie mit anderen Menschen zu tun haben, wie Chauffeure, Kellner, Lehrer, Verkäuferinnen und Polizisten tragen konsequent Maske. Wobei man sie hier Tapaboca nennt, also Mundschutz. Wenn ich von Mascara spreche, versteht man mich kaum.

Wir fahren weiter, kommen an der Grossstadt Pereira vorbei und bleiben kurz im Verkehr stecken. Toni erzählt von der Zeit der Pandemie. Das war eine sehr schwierige Zeit. Er konnte nicht mehr arbeiten. Obwohl er von der Mutter seiner beiden Kindern getrennt lebt, lud er diese ins Haus seiner Eltern ein. Zusammen war der Lockdown besser zu erleben, da das Haus gross genug ist. Es gab eine kleine finanzielle Unterstützung vom Staat. Fast alles im Land war geschlossen. Zum Einkaufen durfte nur eine Person des Hauses gehen und alles wurde sehr genau kontrolliert. Ja, es sind einige Menschen gestorben, die er gekannt hatte.

Das bringt mich auf das Thema Beerdigungen. Hat er den jungen Mann gekannt, der sich kürzlich das Leben genommen hat? Ja, den hat jeder gekannt. Die Familie hat Pferde und auch er arbeitete mit Pferden. Darum kamen die Leute mit ihren Pferden zur Beerdigung. Oft wird der Sarg mit dem Leichenwagen transportiert, aber in diesem Falle wollten die jungen Männer, die Freunde des Toten, ihm diese spezielle Ehre erweisen und ihn den ganzen Weg tragen. Auf dem Friedhof haben sie danach getrunken. Schnaps. Es sind fröhlich-traurige Feiern. Das ist üblich so.

Man weiss nicht, warum sich der 20-jährige das Leben genommen hat. Er war nicht verheiratet, hatte keine Kinder, aber viele Freundinnen. Er scheint beliebt gewesen zu sein. Und er hat schon zu Lebzeiten gerne viel getrunken und gefeiert. Als während der Pandemie ein Mann starb, den alle sehr gut kannten, weil er im Valle Cocora als Chauffeur gearbeitet hatte, kamen die Menschen mit ihren Autos. Gut 200 Autos mögen es gewesen sein, die den Hauptplatz vor der Kirche komplett überstellten. Wäre er Lastwagenchauffeur gewesen, wären die Lastwagenchauffeure mt ihren LKWs gekommen. Das ist so hier. Es sind Erdbestattungen, Kremationen gibt es hier auf dem Land kaum.

Und wie ist das mit der Totenwache? Wird da geweint? will ich noch wissen. Es wird geweint und gefeiert. Und ganz viel getrunken. Auch dem Toten flösst man Schnaps ein. Egal ob Mann oder Frau. Man glaubt, dass der Alkohol den Schmerz nimmt. Man bleibt die ganze Nacht. Es wird geweint, gelacht, gesungen und gar getanzt und viel getrunken. Es scheint, dass man sich gemeinsam betäubt.

Mit so vielen Gesprächen erreichen wir irgendwann den Parkplatz der hinter dem Ort Santa Rosa sehr abgelegen liegt. Von hier geht es noch ein paar Meter aufwärts zum Thermalbad. Ich bin überrascht, dass bereits ein paar Busse hier stehen, hätte geglaubt, dass bei dem Wetter heute kaum jemand herkommt.

Doch ich habe mich getäuscht. Und wie. Die Becken sind voll, beim Restaurant muss man anstehen. Ich sehe mich zuerst etwas um, deponiere dann meine Sachen im Schliessfach und tauche unter. Übrigens, es herrscht Maskenpflicht. Jedenfalls überall, wo man an einer Kasse steht, wird man aufgefordert, den Mundschutz zu tragen. Nur im Wasser braucht es ihn nicht.

Das Wasser in den verschiedenen Becken ist angenehme 38 Grad warm. Genau das richtige zum Entspannen. Ich lasse mir Zeit, wechsle gelegentlich das Becken, bis ich merke, dass das Wasser tatsächlich überall gleich warm ist.

Und dann schlendere ich hinüber zum Wasserfall wo ich mich kurz abkühle. Um mich unter den Wasserfall zu stellen, fehlt mir dann aber doch der Mut. Mir reicht es, im gut knietiefen Wasser kurz einzutauchen, dann gehe ich zurück an die Wärme. Die Luft ist angenehm, der Himmel wolkenverhangen.

Auf dem Rückweg zu den Becken begegne ih auf der kleinen Brücke einem winzigen schwarzen Schmetterling. Der musste heute einfach noch sein.

Es gibt ein Angebot für eine Gesichtsbehandlung mit braunem Schlamm. Damit man jünger aussieht oder sich besser fühlt. Dreimal erkundige ich mich, wo man sich das machen könnte und jedesmal werde ich auf einen kleinen Pavillon verwiesen. Doch da ist nie jemand und als ich endlich eine Frau da sehe, die sich gerade um das Gesicht einer älteren Frau kümmert, verweist sie mich an die Kasse: Erst ein Ticket holen.

Kurz stehe ich an der Kasse an, doch dann lasse ich es bleiben. Mag nicht warten. Ausserdem gibt es da einen feinen Schokoladekuchen. Ich glaube, genau das hilft mir auch, besser auszusehen. Oder glücklicher. Getreu meinem neuen Motto: Happy is the new pretty - Glücklichsein ist das neue Hübschsein.

Später gehe ich zurück zum Parkplatz, wo Toni auf mich wartet. Er hat gegessen, etwas geschlafen, neue Energien getankt, wie er versichert, und einen Video angesehen.

In Santa Rosa halten wir kurz beim Hauptplatz an, denn mir ist bei der Herfahrt die Kirche mit den beiden schlanken Kirchtürmen aufgefallen.

Bevor wir auf die Schnellstrasse einbiegen sehen wir am Strassenrand einen Imbiss. "Solteritas, kennst du das?" fragt Toni. Ich habe diese eigenartigen orangen Dinger schon mal gesehen, mich aber nicht getraut, eines zu bestellen. Toni mag sie offenbar und darum halten wir an. Es sind kleine runde orange Bisquits, die mit einer ebenfalls orangen Masse bestrichen und mit etwas Creme abgerundet werden. Gemacht sind sie aus Mais, auch wenn man das ihnen überhaupt nicht ansieht und sie schmecken süss. Solteritas heisst Ledige. Wenn man noch ein zweites Bisquit als Deckel drauflegt heisst es Casados/Verheiratete. Ich bin nicht sicher, ob dies ernst gemeint ist, oder doch nur ein Witz für mich, aber eigentlich tönt es vernünftig.

Toni lässt sich einen Sack Bisquits einpacken und dann machen wir uns endgültig auf den Weg zurück nach Salento, wo wir kurz vor dem Dunkelwerden eintreffen.

sieht fast aus wie ein Tartar, ist aber süss

sieht fast aus wie ein Tartar, ist aber süss

Solteritas, fritiert aus Mais

Solteritas, fritiert aus Mais

Später mache ich einen Rundgang über den Platz und lasse mir in einem kleinen italienischen Restaurant einen Teller Spaghetti servieren. Auch das macht happy.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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