Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Bienvenidos a Iquitos

„Mit welchem Flug kommst du? Ich muss das wissen, ich will dich am Flugplatz abholen“. Längst hatte Keyla im Facebook gesehen, dass ich in Lima war, dass ich nächstens wohl nach Iquitos kommen würde. Keyla, meine langjährige Freundin in der Dschungelmetropole Iquitos. Dort wo ich ein paar Jahre versucht hatte, eine Lodge zu führen. Mit wechselndem Erfolg. Wenn wir nicht grad an mangelnden Touristen litten, holte der Fluss den Boden, auf dem die Lodge stand. Zu stark war die Strömung am grossen Fluss.

Inzwischen ist das komplette Terrain, wo die Bungalows standen, mit dem Ucayali davongeschwommen. Mitsamt den riesigen Bäumen, die gegen den Strom die Sicht eindämmten. Keyla hatte mit allem Mut noch einmal versucht die Lodge an einem anderen Ort aufzubauen. In eigener Kraft und mit Hilfe ihrer Eltern hatten sie alles abgebaut und an einen anderen Ort gebracht. Einen Ort, an einem Nebenfluss, der keine so starke Strömung hat und nicht jedes Jahr überflutet wird. Vor allem Pablo, ihr Vater hat dabei unglaublich viel geschafft. Die Bungalows errichtet, viele neue Ideen eingebracht. Und Mutter Teresa war für das Wohl der Gäste zuständig. Kochte wunderbar und verbreitete immer gute Laune. Vor 18 Monaten war ich mit Eveline und Peter da und wir verbrachten unvergessliche Tage im Regenwald.

Und dann kam die Pandemie. Unvermittelt und unerwartet. Niemand durfte die Stadt verlassen, das ganze Land bis hier in den Dschungel ging in Quarantäne. Auch die Dörfer draussen im Dschungel waren geschlossen. Das wurde von Sicherheitskräften und Polizei genau überprüft. Die Lodge blieb unbeaufsichtigt.

Im Dezember endlich fuhr Keyla mit ihrem Papa hin und fand eine komplett ausgeräumte Lodge. Nichts ist geblieben. Kein Geschirr, keine Töpfe, keine Tisch oder Bettwäsche, ja sogar die Betten und Tische waren weg. Und die wunderschönen Liegestühle, die ich im Gefängnis von Iquitos machen liess, waren zerlegt. War es Vandalismus, war es Bedürftigkeit, war es Neid? Das wird man wohl nie wissen. Jetzt stehen dort im Wald ein paar ausgeräumte Holzhäuser. Was damit wird, weiss noch niemand, denn Touristen sind noch keine in Sicht.

Das Flugzeug hat kaum das Flugfeld verlassen, unter mir breitet sich die graue Stadt aus, soweit das Auge reicht, da durchstossen wir bereits die Wolkendecke und dann fliegen wir bereits in der Sonne. Was für eine Offenbarung. Ich habe mir für diesen kurzen Flug, er dauert nur knapp zwei Stunden, einen Fensterplatz gebucht. Für Langstrecken sitze ich lieber beim Gang, das gibt etwas mehr Bewegungsfreiheit. Und dann liegen unter mir die Anden. Es ist, als ob ich über ein Relief fliegen würde. So wie die, die im Verkehrshaus Luzern ausgestellt sind. Von den Alpen. Doch hier sind es die Anden. Sie sind ganz nahe und sie wirken breit, gar nicht so spitz und verklüftet wie die Alpen. Sie brauchen viel mehr Platz. Sie sind hier 5000 bis 6000 Meter hoch, darum scheinen sie so nahe, auch wenn wir auf 10‘000 km fliegen. Ein riesiges Gebirge, mit Tälern, mit Schratten, eine steinige Landschaft. Kein Baum, kein Grün, nur grau-braune Berge. Manchmal schieben sich ein paar Wolken dazwischen, manchmal kann ich kleine tiefblaue Lagunen erkennen. Sogar ein paar wenige Stellen mit Schnee. Doch als wir uns den höchsten Bergen nähern, dort wo noch Schnee liegen sollte, verdecken mir Wolken die Sicht.

Und dann sind die Berge auch bald zu Ende. Die Welt liegt jetzt viel tiefer unten. Wir fliegen über dem Regenwald. Über dieser endlosen Fläche von Bäumen. Tief unten kann ich jetzt Flüsse erkennen. Scheinbar kleine Bäche winden sich durch den Dschungel. In weit ausholenden Schlingen mäandern sie die Flüsse durch die Gegend. Während der Regenzeit braucht das Wasser mehr Platz, später, wenn der Fluss wieder in sein gewohntes Bett zurück findet, bleiben die Schlingen als Lagunen stehen. Sie leuchten blau, spiegeln den Himmel wieder, während der Fluss braun bleibt. Braun von den Sedimenten der Erde, die er mit sich bringt Aus den Bergen.

Und dann sehe ich da unten den Zusammenfluss zweier grosser Flüsse. Das muss es sein, genau da war meine Lodge. Beim Zusammenfluss der beiden ersten Quellflüsse Maranon und Ucayali, da wo der grosse Fluss zum ersten Mal seinen Namen trägt. Der Amazonas.

Jetzt ist es nicht mehr weit bis Iquitos, wir sind im Landeanflug.

Die Hitze trifft mich zwar nicht unerwartet, aber trotzdem mit Wucht. Was hab ich mir nur gedacht, als ich am Morgen dieses langärmlige Shirt angezogen habe. Und die Jacke kann ich jetzt auch nicht mehr brauchen und die warmen Hosen sowieso. Jetzt muss nur noch der Koffer auf dem Band kommen, dann kann ich hinaus. Ein Blick hinaus zeigt mir die Horde der Taxifahrer, die ungeduldig auf die Passagiere warten, jeder will eine Fahrt ergattern. Doch dort steht Keyla und Pablo. Ich kann ihre Aufregung bis hierher spüren. Sie haben mich auch erspäht, Keyla macht bereits Luftsprünge.

Und dann endlich habe ich meine Siebensachen beisammen. Ich stosse den Gepäckwagen durch die Türe des Airports, schon stürmt Keyla auf mich zu. Ein kurzes Abbremsen, doch dann gibt es kein Halten mehr. Eine grosse Umarmung. Natürlich mit doppelter Maske, aber wer stört sich schon an solchen Kleinigkeiten. Beide tragen ein Tshirt mit dem Schweizerkreuz. „Das ist meine Überraschung für dich, die Überraschung numero uno“.

Nach der ersten überschwänglichen Begrüssung steigen wir in das Mototaxi von Pablo. Er hat inzwischen ein eigenes, oder hat er es gemietet? Für solche Fragen bleibt im Moment keine Zeit, denn schon kommt Überraschung numero dos. Vor dem Flughafengelände steht fast die ganze Familie. Mama Teresa, Bruder Pablo, der kleine Diego und Nichte Luana. Alle tragen rotweisse Shirts mit dem Schweizerkreuz und rotweisse Fahnen. Wir steigen aus dem Mototaxi und dann singt mir Pablo sein Begrüssungsständchen. Hier inmitten staunender Strassen-Händlerinnen. "Jemand hat gefragt, ob wir eine Fussballmannschaft abholen", erklärt mir Teresa später lachend.

"Bienvenido en Iquitos". Pablos Lied für mich. Willkommen in Iquitos. Die Kinder haben ihre Spielsachen mitgebracht, die sie vor 18 Monaten von uns bekommen hatten. Diego mit Felipe und Luana mit dem roten Fuchs Listo, der eigentlich das Maskottchen einer Schweizer Bank ist. "Schau, sie haben sich fein gemacht", erklärt Diego und zeigt die glänzende Fliege, die sein Teddy um den Hals trägt.

Wir brauchen alle ein paar Minuten, bis wir soweit sind, dass wir in die Stadt fahren können. Keyla schwenkt während der ganzen Fahrt die beiden Fahnen. „Wir sind deine Eskorte“, lacht sie.

Der Bflick ist noch fast schöner als auf dem Prospekt

Der Bflick ist noch fast schöner als auf dem Prospekt

Die Sonne ist bereits untergegangen

Die Sonne ist bereits untergegangen

Im Hotel muss ich mich erst umziehen. Die langärmeligen Shirts verschwinden definitiv in einem separaten Paket im Koffer, die Schuhe ebenfalls. Bald darauf komme ich zurück, im Sommerkleid mit FlipFlops. Wir gehen ins La Notte, eines meiner Lieblingsrestaurants am Bulevard. „Lasst uns da wieder anfangen, wo wir vor 18 Monaten aufgehört haben*. Im La Notte hatte Pablo uns damals zu Familienmitgliedern erklärt. Damals beim letzten gemeinsamen Nachtessen auf dem Balkon.

Das Essen ist wunderbar, die Gespräche laufen kreuz und quer. Doch dann will Pablo noch einmal etwas sagen. „Ich mag nicht zu viel zurück denken, wir müssen vorwärts schauen. Was vergangen ist, ist vorbei. Doch heute mache ich es. Ich will dir sagen, dass es mir damals vor einem Jahr sehr schlecht ging. Damals als ich an Covid erkrankt war, als die Medikamentenpreise ins unermessliche stiegen, als Menschen in den Strassen starben, in den Gängen des Krankenhauses. Damals, als wir uns nicht mehr zu helfen wussten. Damals, als ich Keyla bat, dich um Hilfe zu bitten. Ich wäre heute nicht hier, wenn du mir nicht geholfen hättest.“

Teresa und Pablo

Teresa und Pablo

Ja, das war eine schwierige Entscheidung damals, und ich bin so dankbar, dass ich die richtige getroffen habe. Dass wir heute so fröhlich beisammen sitzen können, dass Pablo sein Danke-Lied singen kann, dass wir alle überlebt haben.

Die beiden Videos findet man übrigens auf meiner persönlichen Homepage. www.bison.ch

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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