Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Weihnachtsbeleuchtung

Ich mache auch heute wieder meine Schreibstube im 8. Stock auf. Ich komme einfach nicht nach mit dem Schreiben. Jeden Tag passiert so viel und dabei bin ich schreibtechnisch noch immer in Cartagena.

Am frühen Nachmittag mache ich mich aber trotzdem auf den Weg. Ich will noch einmal zum Park der Lichter, schliesslich kann ich den von meiner Dachterrasse her sehen.

Der Platz ist wie immer. ruhig und ohne viele Menschen. Eine Weile setze ich mich hin, will die Atmosphäre noch einmal in mich aufnehmen. Später werde ich an diese Momente zurückdenken. An die Tauben, an die grossen Bambushaine. An die hohen Lichter.

Im übrigen gibt es auch hier keine Weihnachtsbeleuchtung. Doch das wusste ich bereits, schliesslich hatte ich das schon von meinem Adlerhorst im Hotel gesehen.

Nur einmal über die 6-spurige Hauptstrasse und ich bin beim alten Bahnhof von Medellin. Jedenfalls steht da eine alte Dampflokomotive in einem grossen Hof. Da waren wohl früher Schienen. Kann gar nciht verstehen, dass ich diesen Platz bisher übersehen hatte, immerhin bin ich bei meinem Medellin-Aufenthalt mehrmals daran vorbei gelaufen. Weitere Informationen habe ich zu diesem Platz und der Eisenbahn keine. Da müsste ich schon mit der Citytour unterwegs sein, Diese macht grad Rast neben den Schienen und der Guia erzählt wohl von der Geschichte der Eisenbahn.

Ich aber gehe in die Pasteleria, die im alten eleganten Bahnhofsgebäude untergebracht ist. Die Auswahl an Torten und süsser Patisserie ist wieder einmal sehr verführerisch. Eine Milhoja Blanca (Cremeschnitte) und ein Cappuccino und ich bin glücklich.

Danach geht es weiter, ich bin jetzt vor dem Rathaus. Der Eingang zum Park ist offen, bei meinem ersten Aufenthalt war das Tor verschlossen, ich konnte die Denkmäler nur von weitem fotografieren. Jetzt kann ich sogar die Tafel beim Denkmal für Gewaltlosigkeit lesen. Es ist einem Bürgermeister und einem Gouverneur gewidmet, die ihr Leben für die Gewaltlosigkeit eingesetzt hatten. Allerdings sehen sie sich etwas kritisch an. Wann sie in der Regierung waren, kann ich nicht sehen, aber das Denkmal wurde 2018 eingeweiht. Die Gewaltlosigkeit und Aussöhnung hat wahrscheinlich mit dem Ende der FARC zu tun.

Milhoja blanca - Cremeschnitte

Milhoja blanca - Cremeschnitte

Mahnmal für Gewaltlosigkeit

Mahnmal für Gewaltlosigkeit

Federico Gutierrez Zuluaga und Luiz Perez Gutierrez

Federico Gutierrez Zuluaga und Luiz Perez Gutierrez

Denkmal der Rassen

Denkmal der Rassen

Das Denkmal auf dem Rathausplatz

Das Denkmal auf dem Rathausplatz

Das Denkmal der Rassen, das gleich daneben steht, ist hingegen sehr eindrücklich. Kolumbien ist tatsächlich ein Rassengemisch, ein Vielvölkerstaat. Da gibt es die fast schwarzen Menschen mit starkem afrikanischem Einschlag, Nachkommen von Sklaven, viele verschiedene Indigene Stämme und die Nachkommen der Spanier. Und alles was dazwischen liegt. Alle Hautfarben sind vertreten. Das Denkmal macht einen ziemlich wilden Eindruck und ist gleichzeitig ein Himmelsstürmer.

Ich drehe mich um und stehe jetzt tatsächlich vor dem Rathaus. Und hoch oben an den Fenstern hängen Menschen. Wollen die das Rathaus erstürmen? Es sind Fensterreiniger. Die Regierung will wohl den Durchblick verbessern.

Ein paar Schritte später stehe ich vor einem einzelnen Mann. Einfach ein Mann, keine besondere Ausstrahlung, kein Namensschild, kein Hinweis, wer das sein könnte. Auf meinem Stadtplan im Handy steht nur 'Denkmal'.

Na ja, dann denke ich mir halt was dazu aus. Ein Mann aus dem Volk. Der den Bürgermeister immer an seine Bürger erinnern soll.

Rathaus von Medellin

Rathaus von Medellin

Ein Mann aus dem Volk. Die Plakette ist leer, est steht kein einziger Buchstabe darauf.

Ein Mann aus dem Volk. Die Plakette ist leer, est steht kein einziger Buchstabe darauf.

Auch dieses Denkmal lässt mich ratlos. Ob das die Bestätigung ist, dass auch in dieser Stadt viele Abflussdeckel schief stehen, oder sehr oft gleich überhaupt fehlen. Auch hier muss man überall aufpassen, dass man nicht in irgend ein Loch tritt.

Auch dieses Denkmal lässt mich ratlos. Ob das die Bestätigung ist, dass auch in dieser Stadt viele Abflussdeckel schief stehen, oder sehr oft gleich überhaupt fehlen. Auch hier muss man überall aufpassen, dass man nicht in irgend ein Loch tritt.

Ein Bettler versucht vor einem Restaurant auf sich und seine Notlage aufmerksam zu machen. Meistens nutzt es nichts, dann schleicht er weiter, bleibt vor dem nächsten Lokal wieder stehen...

Ein Bettler versucht vor einem Restaurant auf sich und seine Notlage aufmerksam zu machen. Meistens nutzt es nichts, dann schleicht er weiter, bleibt vor dem nächsten Lokal wieder stehen...

Etwas weiter komme ich zu einer Impfstation. Hier kann man sich spontan und ohne langes Anstehen impfen lassen.

En Medellin estamos vacunado contra la Covid-19

In Medellin sind wir gegen Covid-19 geimpft steht da auf dem Plakat, das ich immer öfters sehe.

Tatsächlich hat mir ein Taxifahrer erzählt, dass Medellin nur noch wenige Infektionen hat. Über 75 % seien geimpft. Überprüfen kann ich das natürlich nicht, aber später habe ich die Infektionszahlen im Internet gegoogelt:

Kolumbien 21 Fälle pro 100'000 Einwohner, Peru: 31, Schweiz: 782.
eindrückliche Zahlen.

Dazu muss man wissen, dass wir hier in beiden Ländern die ganze Zeit hinter Masken sind. In beiden Ländern wird seit kurzem vermehrt nach dem Zertifikat gefragt. Peru hatte die höchste Todesrate, Iquitos wohl die allerhöchste aller Städte. Weltweit. Die Menschen hier wissen, warum sie die Massnahmen anwenden, auch wenn in letzter Zeit die Masken immer öfters unter die Nase oder gar unter das Kinn rutschen.

Über die Fussgängerpassage gelange ich an den Fluss in eine Parkanlage, in der ich schon bei meinem ersten Medellin-Aufenthalt war. Schon damals waren mir die üppigen Pflanzen aufgefallen, so dass ich mich bereits im botanischen Garten wähnte.

Und dann stehe ich plötzlich vor einen runden Tor. Ein Tor das in eine eigene Welt geht. Es ist der Eingang zur Weihnachtswelt. Stauend gehe ich zwischen Dekorationen, es sind grosse Figuren und alle möglichen Dekorationen. Grosse Weihanchtskugeln, ein Karussel, ein Riesenrad, zwar in sehr klein, ein ganzes Dorf mit Häusern, Spital, Kirche. Eben eine ganze Welt für sich Es sind Drahtgestelle, farbig dekoriert mit Plastik. Die Figuren sind die gleichen wie ich sie bei den Dekorationen schon gesehen habe in der Nähe des Boteroplatzes. Kleine Trolle, runde Gestalten.

Vielleicht sind es bekannte Comicfiguren, ich weiss es nicht, mir sind die Figuren nicht bekannt. Aber sie treten in allen möglichen Rollen auf. Als Arzt, Krankenschwester, als Kinder, Erwachsene, mit allen Hautfarben. Es kommen auch Blumen vor und Bäume und vor allem, es hört überhaupt nicht auf. Zum Teil sind es dreidimensionale Figuren, die im Park stehen, gross und extrem farbig, zum Teil sind es Bilder. Und überall überdimensionierte Süssigkeiten, Zuckerstangen, Bonbons, Weihnachtskugeln.

Ein richtiges Kinderparadies. Bestimmt ist das nachts auch noch beleuchtet. Jetzt wo ich die Technik der Weihanchtsbeleuchtung verstanden habe, kann ich auch die Lichterschlangen erkennen, die an den Figuren angebracht sind.

Eine Bücherwand

Eine Bücherwand

Ein Spital

Ein Spital

Ich gehe staunend durch einen riesigen Kinderspielplatz mit Schaukeln und Riesenrutschbahn. über einen Rummelplatz mit Schaubuden, Karussels, einem Casino, es will überhaupt nicht mehr aufhören. Dann komme ich durch einen Wald aus Tannen, sehe den Santa Claus. Der ganze Park ist am Fluss angelegt, auf der anderen Flussseite sind riesige Bilder angebracht. Auch sie extrem farbig in der gleichen Technik wie die Figuren auf dieser Seite de Flusses.

Es geht noch eine ganze Stunde, bis die Sonne untergeht, so lange möchte ich hier nicht warten. Darum suche ich kurz entschlossen ein Taxi und lasse mich nach Paisa fahren. Das ist der Aussichtspunkt, wo ich an einem der ersten Tage hier in Medellin war. Damals war ich zu Fuss unterwegs, doch damals war es Mittag. Jetzt ist es kurz vor dem Eindunkeln. Ich habe gehört, dass das kleine Touristendörfchen ebenfalls eine schöne Weihnachtsdeko hat, darum ist mir dieser Ort nurn spontan in den Sinn gekommen.

Paisa auf dem Cerro Nutibara

Paisa auf dem Cerro Nutibara

Paisa präsentiert sich heute völlig anders. Damals war es ein ruhiger Ort an den ein paar Gruppen gekommen sind, heute sind sehr viel mehr Leute unterwegs. Es sind eher Familien, Pärchen, weniger Touristengruppen. Es sind auch ein paar mehr Stände aufgebaut, etwas mehr Läden sind geöffnet.

Beim Aussichtsplatz finde ich eine relativ kleine Weihnachtsdekoration. Es ist eine bescheidene Aufstellung mit ein paar Palmen und zwei Personen. Dafür ist die Aussicht auf die Stadt überwältigend. Fast hätte ich vergessen, wie unglaublich riesig diese Stadt ist, wie sie sich über die Berge und Hügel ausbreitet. Noch ist es hell genug, um die Stadt in ihrer ganzen Ausdehnung zu erkennen. Jedenfalls die eine Seite. Für die andere Seite müsste ich ganz hinauf zum grossen Platz gehen.

Miguel Felguerrez, Mexiko

Miguel Felguerrez, Mexiko

Noch ist es hell, darum mache ich kurz einen Spaziergang auf dem Kunstweg. Das letzte Mal war ich vom Aufstieg so geschafft, dass ich keine zusätzlichen Wege gehen wollte, jetzt habe ich Zeit noch ein paar Werke anzusehen. Es sind moderne Werke von südamerikanischen Künstlern und sie sind wunderschön in der Natur verteilt.

Julio Le Parc - Argentien

Julio Le Parc - Argentien

HJohn Castles - Kolumbien

HJohn Castles - Kolumbien

Dann komme ich zurück zum Dörfchen, ich habe Hunger. Das Restaurant, das beim letzten Mal sehr gut besetzt war, ist jetzt fast leer. Ich finde einen Tisch auf dem Balkon und sehe über dem gegenüberliegenden Dach wie die Sonne hinter dicken Wolken untergeht. Es riecht nach Regen, aber die Bedienung meint, dass es wahrscheinlich nicht dazu kommt. Es sei zu dieser Jahreszeit oft so, aber meistens werde man vor einem richtigen Regenguss verschont. So ist es jedenfalls auch heute.

Ich geniesse ein Pouletschnitzel a la marina mit Crevetten, Kartoffeln und Salat. Dazu ein Glas Limonade mit Mango. Immer wieder sind es exotische Getränke, die man hier auf den Getränkekarten findet.

Bei Einbruch der Dunkelheit erstrahlen in den Palmen und Bäumen ein paar Lichter. Früher wären es viel mehr gewesen, erzählt mir die Bedienung, Was da heute gezeigt werde, wäre nur noch ein Abklatsch dessen, was vor der Pandemie aufgestellt wurde.

Ich schlendere noch einmal durch das kleine Dörfchen, gucke in den einen oder anderen Laden, nur um zu merken, dass ich gar nichts davon brauche. Auch wenn mich ein paar Schmucksacken sehr angesprochen haben.

Ganz oben auf dem Aussichtsplatz sehe ich jetzt auch die andere Seite von Medellin. Die Stadt ist ganz einfach überwältigend gross und eingebettet zwischen den hohen Bergen. Eingebetten in den Anden zwischen dem Zentralmassiv und den westlichen Kordillieren auf 1500 m mit gut 2,5 Millionen Einwohnern

Ich lasse die Aussicht noch einmal tief in mich eindringen, atme sozusagen den Duft dieser riesigen Stadt, die mich fasziniert, auch wenn ich mich sonst nicht so von Städten angezogen fühle.

Heute schaukellt über allem die Mondsichel zwischen den Wolken.

Es ist jetzt richtig dunkel geworden, Zeit zurück in die Stadt zu fahren. Zum Glück fahen dauernd Taxis vor und bringen neue Besucher, so dass ich schon fünf MInuten nach meinem Entschluss, in einem Taxi sitze. Ich bitte den Fahrer, mich zum Weihnachtsdorf in der Nähe des Rathauses am Fluss Medellin zu fahren. Bei der Brücke lässt er mich aussteigen. Und da bin ich jetzt genau am gleichen Ort wie ein paar Stunden früher und die Welt ist eine völlig andere.

Jetzt ist das Wasser unter einem wechselndem Farbenspiel. die Bilder auf der linken Seite erstrahlen, die Figuren auf der anderen sind ebenfalls beleuchtet.

Die simplen weissen Kugeln, vom Nachmittag haben sich in leuchtende Lampen verwandelt.

Die simplen weissen Kugeln, vom Nachmittag haben sich in leuchtende Lampen verwandelt.

Der Seifenblasenverkäufer

Der Seifenblasenverkäufer

Ich schlendere zwischen den Figuren hindurch, erkenne einige vom Nachmittag wieder, etdecke neue Sujets, neue Themen. Und alles ist jetzt grell beleuchtet.

Natürlich sind jetzt auch viel mehr Leute unterwegs. Besucher, aber auch Verkäufer, Gaukler, ein paar lebende Säulen, ein paar Santa Claus. Auch ein paar fürchterliche Figuren, bei denen ich vermute, dass sie vor zwei Tagen beim Umzug dabei waren. Samichlaus mit Totenkopfmaske, eine Hexe in weissem Gewand.

Auch ein paar Bands gibt es, die für musikalische Unterhaltung sorgen.

Ein weiblicher Nikolaus...

Ein weiblicher Nikolaus...

Ganz am Ende des Parkes spiegelt sich eine farbige Bücherwand im nassen Plattenboden. das ist da, wo ein ganz feiner Sprühregen aus dem Boden tagsüber angenehme Abkühlung bringt. Auch jetzt ist es nicht zu kalt, so dass die Anlage noch immer löuft und einen interessanten Effekt erzeugt.

Und gleich daneben im langen Wasserbecken läuft eine riesige Wassershow mit Musik, Laser und farbigem Licht.

Nachdem der letzte Ton verklungen ist, mache ich mich auf den Heimweg. Bis zur Hauptstrasse komme ich noch an unzähligen Imbiss-Ständen vorbei. Hier kann man sich noch einmal für den Heimweg eindecken mit allem, was das Herz sich unter comida rapida vorstellen kann. Zwar ist es nicht wirklich weit bis zu meinem Hotel, doch ich nehme trotzdem den sicheren Weg und halte ein Taxi an.

Was das für eine Kirche sei, die da drüben so schön beleuchtet ist, will ich vom Taxifahrer wissen. Er überlegt einen Moment, fängt in seinem System an zu suchen, doch ich bin schneller. Maps.me weiss immer wo ich bin und die meisten Orte sind mit Namen beschriftet. Das erstaunt ihn doch etwas und er will wissen, wie ich das gemacht habe. Die App kannte er noch nicht, doch er hat sie jetzt auch installiert.

Übrigens für die Leser, die diese Anwendung auch noch nicht kennen. Sie ist ideal, zeigt jederzeit meinen Standort und wie ich zu einem gewünschten Ort komme. Und das Geniale dabei ist, ich brauche dazu keinen Internetzugang, die App funktioniert mit den Sateliten. Maps.me heisst sie, ist ein grünes Symbol.

Das hat übrigens damals auch auf dem Amazonas funktioniert. Dank meiner App wusste ich immer ganz genau, bei welcher Fluss-Schlaufe ich gerade bin.

Iglesia de la Sagrada Corazon - Heilig-Herz-Kirche

Iglesia de la Sagrada Corazon - Heilig-Herz-Kirche

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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