Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Ushuaia

Fünf Uhr morgends. Die aufgehende Sonne weckt mich. Sie scheint so intensiv in mein Fenster, dass ich ganz spontan aufstehen muss. Ist ja nicht meine Zeit, diese frühe Morgenstunde. Aber da kann ich tatsächlich nicht widerstehen, schnell T-Shirt, Hosen und Jacke übergezogen und hinaus. Es ist noch kühl, andere würden es wahrscheinlich kalt nennen, aber ich habe noch die Wärme des Bettes in mir, so spüre ich die knapp 7 Grad kaum. Ich versuche den möglichst besten Platz für das Bild der aufgehenden Sonne mit dem Meer davor und den Bergen dahinter zu finden. Das ist gar nicht so einfach. Zwar steige ich noch zwei Strassen höher aber immer sind störende Telefonleitungen davor. Oder Häuser. Der Himmel ist golden-orange und leuchtet intensiv, spiegelt sich in der Bucht des Beagle-Kanals.

Und lanngsam, ganz langsam steigt die Sonne auf und beleuchtet die ganze Landschaft, lässt den Ort Ushuaia aus der Dunkelheit auferstehen. Die Lichter der Stadt verblassen, der Tag übernimmt.

Und ich schlüpfe noch einmal unter die Decke, für mich ist es viel zu früh. Erst Stunden später, nach einem Chat mit der Heimat und dem Sichten der gestrigen Fotos stehe ich noch einmal auf, mache mich bereit für den Gang zur Western Union. Den Pass brauche ich dazu und die Nummer, die ich von meiner Schwester bekommen habe.

Um neun Uhr Zeit öffnet Western Union in der Regel. Auf dem Weg hinunter zum Carrefour komme ich bei einer kleinein WU-Agentur vorbei, die ich gestern noch nicht beachtet hatte, doch sie ist geschlossen. Ohne Hinweise für Öffnungszeiten. Also gehen ich weiter zum Carrefour. Auch hier sind die beiden Schalter geschlossen. Kein Hinweis, dass sich da in der Zwischenzeit etwas geändert hätte.

Also weiter zur Post. Hier stehen heute Leute an. Das ist immerhin ein Hoffnungsschimmer. Ich stelle mich hinten an und stehe bereits eine halbe Stunde an, als ein Postangestellter kommt und verkündt: Kein WU-Service.

Nachfragen bringt nichts. Es gibt keine weiteren Erklärungen: Kein WU-Service.

Danach ist die Warteschlange mindestens um die Hälfte geschrumpft, denn natürlich bin ich nicht die einzige, die für Geld angestanden ist. Der Rest der Leute will vielleicht Post abholen oder ein Postpaket aufgeben, so wie die Frau vor mir, die ihr schweres Paket zwischendurch beim Abfallkübel abgestellt hatte. Jetzt muss sie es wieder aufnehmen, denn jetzt steht sie ein paar Meter weiter vorne und dort hat es keine Ablagefläge.

Vielleicht klappt es am Nachmittag, meint der Angestellte noch, als er merkt, dass ich hartnäckig nachfragen will. Um drei Uhr vielleicht.

Warteschlange vor der Post

Warteschlange vor der Post

Ich sitze bei einem Café als sich Paula meldet: "Wie geht es dir, hattest du Erfolg?"

Sie verspricht, mit mir in einer Stunde mit dem Auto eine Runde zu den verschiedenen WU-Agenturen zu machen. Also kurven wir bald darauf noch einmal bei allen Western Union Büros vor, doch es sind alle geschlossen. Und zwar alle ohne Ausnahme ohne jegliche Information. Mir ist das langsam etwas unheimlich, aber Paula beruhigt. "Das wird schon noch klappen."

Und wenn nicht? Ich kann im Moment das Zimmer nicht bezahlen. Und wie komme ich hier weg. Ich hatte keinen Rückflug gebucht, weil ich nicht zurück nach Buenos Aires, sondern noch etwas mehr von Argentinien sehen wollte. Ich könnte eine Anzahlungs fürs Zimmer zahlen, doch dann reicht es nicht mehr fürs Essen. Die Freude, hier in Ushuaia zu sein, will sich einfach nicht einstellen, obwohl ich mich doch so sehr genau auf diesen Ort gefreut hatte. Paula bringt mich zurück zur Unterkunft, sie kann im Moment nichts weiter für mich tun.

"Tranquilla", meint sie noch, "das wird sich schon lösen, ich dränge dich nicht, lass dir Zeit, das Zimmer kannst du auch ganz am Schluss zahlen."

Wenn das nur gut kommt.

Am Nachmittag mache ich mich noch einmal auf den Weg hinunter in die Stadt. Bei der Post noch immer das gleiche. Die Warteschlange ist jetzt noch länger. Auch jetzt wieder kommt der Angestellte: "Heute keine Geldauszahlungen." Er erkennt mich, meint, dass ich morgen wieder kommen soll. Vielleicht klappt es dann. Was bleibt mir anderes übrig, als wieder zu gehen.

Für den Rückweg nehme ich mir Zeit. Nehme nicht den direkten Weg sondern steige im Zick-Zack hinauf. Ushuaia ist weitläufig und weit verzweigt. Zwar gibt es eine einzige Hauptgeschäfsstrasse, aber der Rest der Häuser klebt am Hang. Da gibt es kleine Häuschen aus Holz oder mit Wellblechverkleidung. Farbige Mauern, unfertige Häuser und neue Betonbauten. Die neuen Häuser stehen eher weiter oben. Dort gibt es noch Bauland. Da sind in den letzten Jahren mehrstöckige Häuser entstanden. In den tieferen Lagen sind es eher einfache ein- bis zweistöckige Häuser.

Die Trottoirs scheinen zu den Häusern zu gehören und jeder Hausbesitzer hat dabei seine eigene Vorstellung der Gestaltung. Da gibt es gepfästerte Wege und abgebrochene Stufen. Schmale Grasstreifen, unregelmässige Stufen aus Beton oder Steinplatten. Es ist besser, wenn man genau auf den Boden achtet, denn manchmal sind es die ganz kleinen Unebenheiten, die mich fast zum Stolpern bringen. Meistens laufe ich auf der Strasse neben den parkierten Autos.

Auffallend sind überall die Blumen. Blumen am Ende der Welt. In dieser rauhen Landschaft, bei dem kalten Klima. Es ist noch immer Sommer. Seit Dezember. Der längste Tag war der 21. Dezember, seither werden die Tage wieder kürzer.
Sonnenaufgang um fünf Uhr, Sonnenuntergang 22.00 Uhr. Und dazwischen Tage voller Sonne und täglichem Regenschauer. Und vor allem viel Wind. Die Temperaturen steigen selten über 15 Grad, sind eher darunter. Gefühlt sowieso. Ausser die Sonne scheint grad vom wolkenlosen Himmel. Doch die Wolken fahren rasch über das Blau, der Himmel ist ganz schnell wieder komplett wolkenverhangen, die Berge verschwinden.

Auf meinem Streifzug durch die kleinen Gärten fällt mir ganz speziell ein kleiner Gartenstreifen auf. Hier wachsen sogar Feuerlilien und verschiedene Rosen. Grad bin ich dabei, ein paar Fotos zu machen, als ein Pickup vorfährt. Die Frau, die aussteigt, schaut mich etwas mürrisch an, wendet sich aber ab, doch der Mann kommt auf mich zu.

"Ist das Ihr Garten? Ich bewundere die schönen Blumen," fange ich ihn ab.

links der kleine Garten von Adalberto

links der kleine Garten von Adalberto

Adalberto, der fürsorgliche Gärtner

Adalberto, der fürsorgliche Gärtner

Und dann erzählt er mir, dass er die Blumen alle selber gepflanzt hat. Die Feuerlilien hat er sogar gesät. Und da wächst auch noch eine weisse Lilie, nur ist die noch nicht offen. Er zeigt mit Stolz auf die verschiedenen Pflanzen. Verschiedene Rosen, Ginster, ein grosser Fuchsienstrauch, hochstielige Primeln. Im kleinen Beet nebenan wächst sogar ein Feigenbaum und das Apfelbäumchen, das erst aus einem Zweig besteht, trägt ein paar Blüten. Dahinter versteckt sich ein Orangenbäumchen. Und zwischen all den Blumen wachsen zwei Kohlköpfe.

An der Hausmauer wächst Oregano, Petersilie und Koriander. Es ist eine unglaubliche Vielfalt auf dem kleinen Flecken Erde. Der Rasen ist akurat geschnitten, als ob er mit der Nagelschere darüber gegangen wäre. Ganz besonders stolz ist Adalberto, so heisst der Mann, auf die Akeleien in fünf verschiedenen Farben, wie er betont. Nach diesem Gespräch bin ich reich beschenkt und achte beim weitergehen noch vermehrt auf die Gärten. Eine so grosse Vielfalt an einem so kleinen Ort finde ich nicht mehr.

Dafür aber blühen überall Lupinen und verschiedene Rosen.

Den Nachmittag verbringe ich im Zimmer und steige erst gegen Abend noch einmal hinunter zum Hafen. Der Hunger treibt mich an. Nachdem ich eine Weile im Hafen gebummelt bin und die verschiedenen Boote und die Kreuzfahrtschiffe bewundert habe, gehe ich in ein ganz neues modernes Gebäude.

Ich bestelle einen Aperol Spritz, weil der mich am Nebentisch grad so angelacht hat und dazu einen Hamburger, der recht günstig ist.

Es ist tatsächlich eine spezielle Art, die Speisekarte zu lesen. Von rechts nach links. Später leiste ich mir sogar ein Taxi für den Aufstieg. Ich muss in den nächsten Tagen zu Geld kommen. Jetzt einfach die Nerven nicht verlieren.

Abendstimmung über dem Hafen von Ushuaia

Abendstimmung über dem Hafen von Ushuaia

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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