Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Kaffee-Finca

Ich habe wunderbar geschlafen bei offenem Fenster. Die Luft ist nachts frisch, aber die Temperaturen sind immer noch sehr angenehm. Immerhin bin ich auf gut 1900 müM.

Nach dem Frühstück gehe ich zum Hauptplatz, da stehen die Willys bereit. Ich dachte zuerst an einen Scherz, als ich las, dass die Jeeps Willy heissen, doch auch da hilft Wikipedia weiter. Die Willys MB wurden als Armeefahrzeuge entwickelt und gelten als Urtyp der Geländewagen. Genau das richtige für diese Strassen und in all den schrillen Farben weit weg von der ursprünglich grünen Tarnfarbe.

Heute will ich zu einer Kaffeefarm fahren. Es gibt verschiedene, ich wähle die, die am nächsten liegt. Es sind noch kaum andere Touristen unterwegs, ich fahre also allein, ein Privattransport.

Wir fahren über schmale Strassen durch Schlaglöcher, die dem Namen noch gerecht werden und in denen sich das Wasser des Regens vom frühen Morgen noch sammelt. Die Vegetation ist üppig. Dichtes Unterholz mit viel Farm, hohe Palmen, Bromelien in den Bäumen und manchmal ein leuchtendes rot einer Heliconia.

Bald sind wir bei der kleinen Farm, wo man mir zuerst einen Kaffee offeriert. Hier habe ich bereits einen kleinen Überblick über die Kaffeepflanzen und bald kommen noch zwei weitere Touristen dazu. Es sind zwei junge Männer, Deutsche und seit Monaten spreche ich zum ersten Mal wieder deutsch. Die Tour kann beginnen. Natalie heisst die junge Frau, die uns die Produktion von Kaffee erklären wird.

Ein Milvago chimachima - Karakara - lokaler Name: Pigua
(ich meine natürlich den Vogel)

Ein Milvago chimachima - Karakara - lokaler Name: Pigua
(ich meine natürlich den Vogel)

Bevor wir zu den Kaffeesträuchern gehen, kommen wir bei der Kuh Leila vorbei. Im Moment gibt es nur eine Kuh auf der Farm. Sie wird vor allem für den eigenen Milchbedarf der Familie gebraucht. Und wahrscheinlich war auch in meinem Cappuccino die Leila-Milch drin. Von weitem sehen wir einen Vogel, der auf ihr sitzt. Natürlich fliegt er weg, als wir näher kommen. Aber immerhin konnte man sehen, dass es ein Karakara war, ich kenne ihn aus dem Regenwald von Peru, hier wird er Pigua genannt. Er hat die Kuh nach Zecken und Insekten abgesucht. Eine spezielle Freundschaft also.

Auch ein paar Hühner laufen uns über den Weg. Auch sie werden vor allem für den Eigenbedarf gehalten und liefern immer frische Eier. Vorbei an Brombeeren, die allerdings im Moment von den Hühnern zerfetzt sind und von denen normalerweise Konfitüre oder Fruchtsäfte gemacht werden, kommen wir zu einer kleinen Pflanzung mit verschiedenen Kaffeesorten.

Hier in Kolumbien wird vor allem Arabica-Kaffee angepflanzt, weil er auf der Höhe von 1000 - 2000 m wächst. Robusta, die andere Kaffeesorte wächst eher im Tiefland und ist weniger empfindlich gegen Krankheiten. Auch ist die Ernte dort effizienter. Arabica ist mit viel Handarbeit verbunden. Arabica gibt es in verschiedenen Geschmacksrichtungen, wo hingegen es bei Robusta vorwiegend eine Sorte gibt.

Arabica braucht viel Pflege und vor allem keine ständige Sonnenbestrahlung. Darum wachsen hier überall auf der Pflanzung höhere Bäume oder Bananenstauden. Sie geben den Pflanzen den nötigen Schatten. Bei der Frucht spricht man von Kaffeekirschen oder Trauben. Im Moment sind nur vereinzelte Früchte reif, noch sind sie grün. Auch Blüten gibt es keine, nur eine einzelne finden wir, als wir eine der grünen Pflanzen untersuchen.

Natalie hat ein paar rote Kirschen gefunden und gibt sie uns. Wir sollen sie schälen und die beiden Kaffeebohnen in den sandigen Boden stecken. Die Samen werden jetzt gut zwei Monate brauchen, bis aus ihnen kleine Pflanzen entstehen. Bereits hier werden sie dann aussortiert. Er wird kontrolliert, ob die Blätter in Ordnung sind und die Wurzeln sich richtig entwickeln. Danach werden sie einzeln in Plastiksäcke gesteckt und noch etwas weiter gepflegt, bevor sie an ihren endgültigen Standort kommen. Das Aussäen und Pickieren macht man auf dieser Farm allerdings nicht selber, man kauft direkt die kleinen Pflanzen, denn schon die Aufzucht ist sehr aufwändig.

Danach braucht die Pflänze drei Jahre bis man zum ersten Mal Kaffee ernten kann. Nach fünf Jahren ist die Pflanz so hoch, dass man sie zurück schneiden muss. Wenn sie zu hoch wächst, können die Bohnen nicht mehr geerntet werden. Also schneidet man sie bis auf 30 cm zurück und kann danach noch einmal 5 Jahre Kaffee ernten. Zur Zeit der Ernte kommen Wanderarbeiter auf die Farm. Sie werden für die geerntete Menge bezahlt. Man geht immer wieder durch die Pflanzung und pflückt die roten Beeren, die nicht alle gleichzeitig reif werden. Ein sehr aufwändiger Prozess. Es wird so lange gearbeitet, wie es hell ist, also gegen 12 Stunden mit einer kurzen Pause. 100 kg ist der Tagesdurchschnitt. Die Arbeit ist sehr streng, denn man arbeitet am Hang und muss die geernteten Früchte immer wieder zur Sammelstelle zurück bringen. Erntezeit ist hier April/Mai. Das kann aber auf verschiedenen Farmen variieren, je nachdem wann gepflanzt wurde und wie die Höhenlage ist.

Ich weiss jetzt tatsächlich nicht mehr, was der Verdienst der Kaffeepflücker ist, aber er ist so tief, dass ich mich auch gar nicht getrauen würde, die Zahl hier zu schreiben.

Trotzdem schickt Natalie die beiden Männer mit dem Erntekorb los, sie sollen ein paar wenige rote Beeren suchen. Die beiden nehmen die Aufgabe ernst und bringen tatsächlich etwas zurück. Bevor wir weiter gehen, lässt Alex aber noch seine Drohne über das Gelände fliegen. Vielleicht denkt er dran und schickt mir das Ergebnis. Habe ihm jedenfalls mal meine WhatsApp-Nummer gegeben.

Die beiden Kaffeepflücker sind mit Enthusiasmus am Werk

Die beiden Kaffeepflücker sind mit Enthusiasmus am Werk

Heliconia

Heliconia

Heliconia - Hummerschere

Heliconia - Hummerschere

Curcuma aromatica

Curcuma aromatica

Ebenfalls Heliconia

Ebenfalls Heliconia

Wir gehen weiter durch die Kaffeeplantage, die vorwiegend am Hang liegt und Natalie erklärt uns anhand der Pflanzen worauf man bei der Pflege sehen muss. Mit Schatten gibt es bessere Qualität der Bohnen, ohne Schatten gibt es höheren Ertrag. Man baut hier beides an und mischt das Ergebnis, so dass Qualität und Ertrag stimmt. Auch gibt es immer wieder kranke Pflanzen, was sie uns anhand der Blätter zeigt. Diese Pflanzen werden nach der Ernte aus der Pflanzung genommen. Am gegenüber liegenden Hang können wir zwei neue Pflanzungen erkennen. Eine wird noch ein Jahr brauchen, bis sie Ertrag bringt, die andere ist erst kürzlich angelegt worden, dort kann erst in drei Jahren geerntet werden.

Natürlich muss ich all die vielen Heliconien festhalten, die überall am Wegrand wachsen. Und die grossen Bananenstauden. Natalie erklärt den Unterschied zwischen den direkt essbaren Bananen, so wie wir sie kennen und den Plananos, den Kochbananen. Die einen haben schwarze Flecken am Stamm, aber ich könnte sie nicht einfach so zuordnen.

Interessanter finde ih die kleinen roten Bananen. Laut Wikipedia heissen sie Keniabananen und mir sind sie schon im botanischen Garten aufgefallen. Es erstaut mich, dass Natalie sie als ungeniessbar bezeichnet. Sie werden denn auch nicht geerntet, sondern platzen irgendwann am Stamm, was zu skurilen Formen führt. Wahrscheinlich werden sie so zu Vogelfutter.

Irgendwann werden die Stämme dann auch umgehauen, denn Bananen sind keine langjährigen Bäume, sondern Büsche. Sie entwickeln rund um die Mutterpflanze immer neue Jungpflanzen, so dass die Mutterpflanze nach der Früchteproduktion abgeschnitten werden kann.

Minibanane - oder Keniabanane

Minibanane - oder Keniabanane

Wir sollen jetzt die Ernte weiter bearbeiten. Alex dreht die Kurbel der Schälmaschine und teilt dadurch die Schalen und die Bohnen. In der grossen Produktion macht dies eine grosse Maschine. Die Bohnen fallen dann in einen Bottich, wo sie ein paar Tage liegen bleiben und fermentieren. Nach der Fermentierung werden sie getrocknet. Dazu legt man sie in die Sonne. Das kann ein bis zwei Wochen dauern. Leider sieht es im Moment nach Regen aus, darum sind die grossen Trockenschubladen eingefahren. Während des Trocknungsprozesses, werden die Bohnen immer wieder durchmischt.

Danach sind sie trocken, und müssen nur noch von der dünnen Schale getrennt werden. Das sind die grünen Kaffeebohnen, die exportiert werden. Geröstet wird der Kaffee in den verschiedenen Ländern, denn überall hat man dazu eigene Vorlieben und Vorstellungen. Mit dem Rösten verliert der Kaffee noch einmal einen grossen Teil seines Gewichtes.

Trocknungsanlage

Trocknungsanlage

getrocknete Kaffeebohnen, noch mit Schale

getrocknete Kaffeebohnen, noch mit Schale

Qualitätskontrolle

Qualitätskontrolle

Auf allen Stufen der Produktion werden immer wieder schlechte Bohnen aussortiert. Natalie hat dazu eine Schale vorbereitet mit schlechter Qualität, die nach gar nichts riecht und gutem Kaffee, dessen Duft gleich in die Nase steigt. Wir dürfen jetzt noch eine alte Kaffeemühle drehen und nachher bekommen wir noch einmal eine Tasse wunderbaren Kaffees an der Kaffeebar.

Es war eine informative und sympatische Führung und hat gezeigt, wie aufwändig die Kaffeeproduktion ist. Die Farm ist tatsächlich sehr klein. Verkauft wird fast nur direkt hier vor Ort.

Mit dem Willy geht es zurück nach Salento. Als ich in die Strasse zum Hotel einbiege sehe ich weit unten eine Ansammlung Leute, die die Strasse herauf kommen. Eine Demonstration? Menschen stehen an der Strasse und beobachten den Zug und als sie näher kommen, kann ich einen Sarg erkennen.

Eine Beerdigung. "Ein junger Mann", erklärt mir der Kellner meines Hotels. "Er hat sich erhängt." Es sind junge Männer, die den schwarzen Sarg tragen. Dahinter kommen Pferde ohne Sattel und danach Frauen. An einem der Pferde hängt eine Musikbox aus der nicht etwa traurige Musik ertönt, sondern Latinpop. Ganz hinten folgt ein weisser Leichenwagen mit einem Blumenbouquet auf dem Dach.

"Warum tragen die Männer den Sarg selber? wird er zum Friedhof im Auto transportiert?" will ich vom Kellner wissen.

"Nein, die Männer wollen ihn tragen. Sie gehen jetzt zur Kirche und nachher werden sie ihn zum Friedhof tragen. Dort werden sie etwas trinken und feiern. Darum haben sie auch die Pferde dabei".

Ganz erschliesst sich mir die Antwort nicht, aber ich lasse es so stehen. Muss ja nicht immer alles verstehen. In Medellin hat man mir erklärt, dass heutzutage viele Menschen kremiert werden, aber hier auf dem Land scheint das noch anders zu sein.

Ich bestelle heute noch einmal eine Forelle zum Nachtessen. Frage aber diesmal vorher wie sie serviert wird und bin sehr zufrieden mit dem feinen geräuchten Fisch mit Pommes. Dazu gibt es die orangen Mandarinen-Limonen, die mir schon auf der Farm aufgefallen sind. Sie sind sauer, haben aber viel mehr Saft als die normalen Zitronen und sind aromatischer.

Ich habe ein Video von der Beerdigung gemacht und werde es später auf meiner Seite posten. Im Moment ist mein Internet im Hotel aber so langsam, dass mit die Geduld dazu fehlt..

www.bison.ch / Kolumbien-Videos

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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