Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

San Bernardo

Gut gestärkt von meinem Frühstück im kleinen Beizlein mache ich mich am späten Vormittag auf den Weg. Mein Ziel ist der San Bernardo, ein kleiner Hügel von dem man die Stadt überblicken kann. Als ich diese Möglichkeit, und erst noch mit einer Seilbahn, gesehen hatte, war es klar, dass ich da hinauf will.

Zuerst gibt es allerdings einen längeren Fussweg. Es ist heiss heute, die Sonne brennt vom blauen Himmel und die Schatten kriechen den Hauswänden nach, ja ich habe das Gefühl, sie verstecken sich gleich unter den Mauern. Die langen Aveniden liegen im grellen Licht. Vor mir liegt der Hügel, doch er will nicht näher kommen. Dafür erkunde ich neue Gegenden. Vorher unbekannte Strassen, kleine Restaurants. Wo auch immer sich ein kleiner Schatten zeigt, strebe ich ihn an, doch sie sie werden immer weniger. Es gibt nur wenige Bäume, dafür grosse Plätze, so wie den Vorplatz beim Kloster San Bernardo. Leider ist die Kirche geschlossen, ich hätte mich gern einen Moment in den kühlen Mauern in eine Kirchenbank gesetzt.

Dann endlich sehe ich die Bahn, die Gondeln schweben über mir. Ich bin also bereits zu weit gelaufen, die Station steht im Park mit den alten hohen Bäumen. Hier entdecke ich ein Portal dela Memoria, das an die Öffnung der Archive über die Diktatur von 1976 - 1983 erinnert und einen Text von Pablo Neruda enthält. Weil ich den Text so ungewöhnlich hart fand, hab ich ihn später gegoogelt. Es ist ein Auszug eines Gedichtes von Pablo Neruda.

Auszug aus dem Gedicht "Feinde" von Pablo Neruda

Por esos muertos, nuestro muertos, pido castigo
Para los que de sangre salpicaron la patria, pido castigo
Para el verdugo que mando esta muerte, pido castigo
Para los que defendieron este crimen, pido castigo
No quiero que me den la mano, empanada con nuestra sangre. Pido castigo
No los quiero de embajadores, tampoco en sus casas tranquilos
Los quiero ver juzgados en esta plaza, en este sitio
Quiero castigo

Für diese Toten, unsere Toten, bitte ich um Bestrafung
Für diejenigen, die das Land mit Blut bespritzt haben, bitte ich um Bestrafung
Für den Henker, der diesen Tod angeordnet hat, bitte ich um Bestrafung
Für diejenigen, die dieses Verbrechen verteidigt haben, bitte ich um Bestrafung
Ich will nicht, dass sie mir die Hand schütteln, getränkt in unserem Blut. Ich bitte um Strafe
Ich will sie weder als Botschafter noch in ihren stillen Häusern
Ich möchte, dass sie auf diesem Platz, an diesem Ort, gerichtet werden
Ich will Strafe

Danach finde ich einen wunderschönen Baum, der in voller Blüte steht. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich ihn als Flaschenbaum, oder Florettseidenbaum, eine Art von Seiba, der Nationalbaum Argentiniens. Er hat riesige weisse Blüten, die sich jetzt grad in voller Blüte zeigen.

Genau der richtige Moment, mich auf eine Bank zu setzen und etwas auszuruhen. Und wieder auf normale Betriebstemeratur zu kommen, denn es ist tatsächlich ungewöhnlich heiss.

Da passt es ausgezeichnet, dass mich in diesem Moment eine Freundin aus der Schweiz anchattet. Ich verbringe eine ruhige Stunde unter dem Baum, plaudere über das Leben, das Unterwegs sein, zu Hause oder auswärts. Manchmal ergeben sich ganz unerwartet tiefgründige Gespräche und auch wenn man räumlich sehr getrennt ist, fühlt man sich trotzdem sehr nah. Schön ist es, wenn ich bei einem solchen Gespräch auch tatsächlich richtig Zeit habe. Jedenfalls tut mir diese Pause unter dem Baum richtig gut und ich fühle mich wieder einmal geborgen und weniger allein, als das manchmal scheint. Grad wenn man so lange allein unterwegs ist, sind solch tiefe Gespräche umso wichtiger, denn richtige Begegnungen in der eigenen Spräche sind eben doch die wertvollsten. Kommt noch dazu, dass es in der heutigen Corona-Situation sehr selten zu längeren Gesprächen und Begegnungen kommt. Hinter der Maske sind wir alle ziemlich vorsichtig und zurückhaltend.

Nach dem langen Chat ist es Zeit, mich in der Warteschlange anzustellen. Sie ist nicht kürzer geworden, die Leute nutzen jeden Flecken Schatten. Drängeln sich unter einem Baum und lassen die sonnenbeschienen Stellen aus. Ich stehe mindestens eine Stunde, bis ich endlich am Gebäude ankomme, wo es unter dem Vordach etwas Schatten gibt. Doch auch hier, wo ich gemeint hatte, ich würde nächstens einsteigen, geht die Warteschlange weiter Beim Eingang wird wieder einmal die Temperatur gemessen. Kein Fieber. Dann bin ich in der hohen Wartehalle. Oben drehen sich die grossen Räder, die die Gondeln in Betrieb halten.

Es ist eine Garaventa-Bahn, eine Schweizer Konstruktion. Ich merke, wie das jedesmal ein gutes Gefühl gibt, wenn man so ein Schild liest.

Wenn du auf dem Gipfel ankommst, ist alles schöner.

Wenn du auf dem Gipfel ankommst, ist alles schöner.

Und dann ist es endlich so weit. Ich kann einsteigen. Zusammen mit einer älteren Frau, die mit ihrem Grosskind hinauf fährt. Um oben ein Picknick zu essen, wie sie erklärt. Wir sind fast zwei Stunden angestanden und der Andrang an diesem heissen Tag ist unverändert. In Buenos Aires sei es allerdings in diesen Tagen noch viel heisser, weiss die andere Frau, die mit uns eingestiegen ist. Gestern wären Temperaturen von über 40 Grad gemessen worden. Da können wir mit den 34 Grad hier in Salta noch sehr zufrieden sein. Obwohl auch diese Temperatur für die Stadt auf 1100 m sehr ungewöhnlich ist.

Langsam schweben wir hinauf. Es sind nur gut 300 Meter, und bald liegt die Stadt unter uns. Es ist eine relativ kleine Stadt, hat noch keine Million Einwohner. Bekannt ist sie für ihre koloniale Bauweise und ihre wunderschönen Kirchen. Das kann ich inzwischen beides unbedingt bestätigen.

Auf dem Gipfel ist es etwas kühler. Ich bummle ein wenig entlang den Wegen, erkunde wo der Fussweg nach unten führen könnte und komme zu den Wasserfällen, von denen mir die Frau in der Gondel erzählt hatte. Es ist eine künstlich angelegte Anlage mit vielen Kaskaden und Wasserbecken. Sie liegen unter den hohen Bäumen und spenden nicht nur etwas fürs Auge sondern kühlen auch die Luft etwas. Beim Eingang zum Restaurant sehe ich, dass auch hier die Leute anstehen, darum lege ich mich unter einen Baum auf ein Mäuerchen und entspanne. Freue mich, hier zu sein, Die Sonne glitzert durch die Zweige und fast wäre ich eingeschlafen.

Da kommt eine Meldung von Mercedes.

"Kannst du in mein Büro kommen? Ich habe ein Ticket für den Ausflug von Morgen. Du müsstest ihn noch bezahlen, damit ich die Abwicklung und Bestätigung machen kann".

Sofort bin ich wieder hellwach. Ich habe ein Ticket für den Tren a las Nubes! "Natürlich bin ich so bald wie möglich bei dir im Büro", schreibe ich zurück, "muss nur noch vom Berg herunter kommen". Zur Bestätigung schicke schon mal meine Passkopie, damit sie die Einschreibung vornehmen kann.

Die Idee, dass ich hinunter laufen könnte, ist sofort vergessen, ich suche das Ticketoffice für die Rückfahrt, werfe noch einmal einen Blick hinunter auf die Stadt und sitze schon bald in der Gondel, die mich hinunter fährt. Obwohl man auch für die Abfahrt anstehen musste. Nur nicht so lange, weil viele den Abstieg zu Fuss machen.

San Bernadro grüsst von oben.

San Bernadro grüsst von oben.

Unten angekommen geht es ganz schnell. Ich nehme ein Taxi, das mich zur Unterkunft fährt, wo ich ein Bündel Geldscheine abhole. Mit einem weiteren Taxi geht es weiter zur Agentur und dann sitze ich völlig aufgelöst im Büro und erfahre, dass es tatsächlich noch ein Ticket gibt für morgen. Das Unmögliche ist möglich geworden, ich kann es noch kaum fassen. Mercedes nimmt meine Daten auf, später am Abend kann ich die Bestätigung abholen. Morgen um 6.00 Uhr geht es los.

Ich könnte in dem Moment die ganze Welt umarmen und setze einen Post ab. Ich will mit jemandem anstossen, ich freu mich grad so unglaublich. Tatsächlich findet sich eine Freundin, die virtuell mit meinem Glas Bier anstösst. Mein Nachtessen ist heute eine Auswahl Empanadas. Diese kleinen Teigtaschen mit verschiedenen Füllungen sind sehr typisch für Argentien und sind ein sehr beliebter Imbiss.

Auf dem Hauptplatz wird trotz Hitze wieder getanzt. Ich sehe eine Weile zu, ich kann davon eigentlich fast nie genug bekommen. Später gehe ich noch einmal zu Mercedes und hole meinen Voucher und die genaue Erklärung wo ich am Morgen sein muss.

Dann gehe ich nach Hause, es geht früh los am Morgen. Jedenfalls ist das nicht meine Zeit.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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