Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Chiclayo

Es sind immer Nachtfahrten, die Busreisen von Stadt zu Stadt. Vor allem die langen Strecken. Mein Bus wird um neun Uhr nachts starten und am nächsten Morgen gegen sieben Uhr im hohen Norden eintreffen.

Am Vormittag bin ich noch mit Schreiben beschäfigt, doch am Mittag mache ich mich auf zu einem Spaziergang. Zum Paseo der Musen, dem kleinen Park mit den griechischen Figuren, den ich bei der Ankunft aus dem Bus gesehen habe. Eine eigenartige Anlage hier in Peru.

Auffallend hier in Chiclayo sind übrigens die vielen Tulpenbäume, die überall an den Strassen wachsen. Mich fasziniert die Form dieser Blumen und vor allem ihre intensive rote Farbe.

Der Park der Musen ist bald abgelaufen und er ist auch aus der Nähe genau so exotisch wie aus dem Busfenster. Irgendwo hab ich gelesen, dass diese Anlage erst vor ein paar Jahren erstellt wurde, aber jetzt, wo ich danach suche, kann ich es nicht mehr finden. Dafür finde ich einen anderen spannenden Hinweis: Die Kathedrale von Chiclayo, in der ich gestern war, wurde nach einer Zeichnung von Gustave Eifel gebaut. Zum Glück wurde sie allerdings gemauert und nicht aus Eisen zusammengeschweisst. Es ist erstaunlich, wo überall der Einfluss von Eifel in Südamerika zu finden ist. Ich bin sicher, dass ich später auf meiner Reise noch mehr seiner Spuren finden werde.

Jedenfalls ist der Park der Musen ein ruhiger Spaziergang in einem neu gestalteten kleinen Park mit vielen Sitzbänken und Blumenbeeten. Ich setze mich ein wenig hin, sehe den wenigen Passanten zu, den Familien, die mit ihren Kindern herkommen um vor den Statuen zu posieren. Die Kinder lieben es, auf den Mäuerchen ihre Arme auszustrecken, in die Kamera zu lächeln. Mütter stossen ihre Kinderbuggys zwischen den Säulen durch, Väter spielen Fussball mit ihren Jungs. Ansonsten ist es völlig ruhig hier, nicht weit entfernt vom Zentrum und dem Hauptplatz.

Endstation der Bahn, die beim Quai am Meer anfängt. 15 km lang war die Strecke.

Endstation der Bahn, die beim Quai am Meer anfängt. 15 km lang war die Strecke.

Ganz zufällig stosse ich beim Rückweg zum Zentrum auf ein auffälliges Gebäude mit einer runden Fassade. Es ist die Endstation der Bahn, mit der Personen und Waren vom Hafen von Pimentel in die Stadt gebracht wurden. Die Bahn gibt es längst nicht mehr, aber die Station und der lange Pier am Meer haben überlebt.

Ich komme auf meinem Weg an verschiedenen Gebäuden vorbei und frage mich, wie es kommt, dass grosse Häuser einfach der Verwahrlosung preisgegeben werden. War da mal eine Verwaltung drin? oder eine reiche Familie? Was ist die Geschichte, die hinter solchen Häusern steht?

An anderen Orten werden Häuser neu gebaut. Von Hand und mit einfachsten MItteln. Und bei wieder anderen Gebäuden ist mir nicht klar, ob sie grad dem Verfall preisgegeben wurden oder sich vielleicht doch noch im Aufbau befinden.

Auch die Gehwege sind sehr verlottert. Wie schon in Iquitos gibt es immer wieder einmal ein Loch in der Strasse, ein Gullideckel, der fehlt, eine aufgerissene Stelle, die niemand mehr flickt oder ganze Risse in der Strasse. Es ist also immer angebracht, auf den Weg zu achten.

Übrigens auch auf den Verkehr. Denn wozu Fussgängerstreifen da sind, scheint hier niemand zu wissen. Höchstens damit man weiss, wo man allenfalls die Strasse überqueren könnte, falls denn grad kein Auto in Sicht ist. Jedenfalls hat ein Fussgänger überhaupt keinen Vortritt, im Gegenteil. Die Autos beharren auf ihrem Recht auf die Strasse. Nur wo es Lichtsignale gibt, kann man sich darauf verlassen, wann man die Strasse überqueren kann. Wobei die Lichtsignale fast ausschliesslich für Autos aufgestellt sind. Als Fussgänger muss man darauf achten, ob die Autos fahren dürfen oder nicht. Aber auch unter den Autos gibt es keine andere Regel ausser dass der schnellere, respektive der geschicktere gewinnt. Man hält sich nicht an Fahrstreifen, fährt eng um Kurven, wer hinten ist, muss sich anpassen, wer vorne ist, wird verdrängt. Auffallend ist übrigens, dass es hier in der Stadt keine Mototaxis gibt, die sind in der Innenstadt verboten, die findet man in den äusseren Bezirken. Dafür wimmelt es von Taxis. Ich glaube die Hälfte der Autos sind Taxis.

Aufbau oder Verfall?

Aufbau oder Verfall?

An einer Strassenkreuzung in der Nähe des Hauptplatzes setze ich mich auf den Rand eines grossen Blumentopfes und sehe dem Verkehr zu. Und beobachte diskret die beiden Geldwechsler. Sie stehen an der Kreuzung und winken mit ihrem Taschenrechner. Ich wusste zuerst gar nicht, was die damit machen, doch sie wollen damit auf den guten Umrechnungskurs aufmerksam machen. Sie wechseln Dollars zu Soles und umgekehrt. Manchmal hält ein Auto an, oder ein Passant bleibt stehen. Dann wird ganz schnell ein Geschäft abgewickelt. Ich kann gar nicht sehen, was da ausgetauscht wird, aber einer der beiden zieht dann ein dickes Bündel Banknoten aus der Tasche, zählt etwas von den vorsortierten Scheinen ab und die Sache ist erledigt.

Später entdecke ich ein kleines Cafe. Sie sind selten, die Orte, wo man sich einfach hinsetzen kann, um etwas zu trinken. Meist sind die Restaurants dunkle schmale Gänge in denen vor allem Essen ausgegeben wird. Oder es sind Imbissstände. Am Sonntag, als ich hier war, habe ich dieses Cafe jedenfalls nicht gesehen, wahrscheinlich war es geschlossen, wie so vieles hier. Ich vermute, dass wegen der Pandemie vieles anders ist, als früher.

Das Cafe ist jedenfalls sehr gemütlich und die heisse Schokolade tut mir gut, denn sie wird heute mein Nachtessen ersetzen. Vor einer Busfahrt gehe ich auf Diät, das hat sich bisher bewährt. Wenn man von dem überlauten Musikvideo absieht, das über meinem Kopf abgespielt wird und das sich mit der Kaffeewerbung über der Kasse mischt, und ausserdem den Lärm der Kaffeemaschine und den Strassenlärm ausfiltern kann, dann ist das kleine Cafe tatsächlich ein ruhiger Ort.

Schmerzlich wird mir bewusst, dass es noch lange dauert, bis mich das Taxi um acht Uhr abholt und dass ich ja kein Hotelzimmer mehr habe, in das ich mich zurückziehen kann. Doch dann kommt mir die Dachterrasse in den Sinn. Da ist bestimmt niemand um diese Zeit. Also ziehe ich mich dahin zurück.

Pünktlich um sechs Uhr wird es dunkel, doch das stört mich nicht. Die paar Lampen beim Pool geben genug Licht, ich kann gemütlich und tatsächlich in Ruhe schreiben und ein Kapitel online stellen. Noch ein Blick hinunter auf die pulsierende Strasse, dann packe ich meine Sachen endgültig zusammen und warte in der Lobby auf das Taxi.

Es ist eine lange Nacht, obwohl ich diesmal zum ersten Mal das Gefühl habe, dass ich tatsächlich etwas geschlafen habe. Geschlafen hinter einem Vorhang, der mich von meinem Sitznachbar trennte und mit zwei Masken vor dem Gesicht. Ja, man überlebt das, man atmet, und das obwohl ich eigentlich öfters Probleme mit dem Atem habe. Den Plastikschild habe ich abgenommen, den braucht man tatsächlich nur zum Ein- und Aussteigen. Damit dem Protokoll Genüge getan wird.

Ich bin trotzdem völlig erschöpft, als ich am Morgen in Tumbes ankomme. Tumbes, nahe der Grenze zu Ecuador. Ein Taxi bringt mich zum Hotel, aber ich bekomme von der Umgebung überhaupt nichts mit. Zum Glück kann ich mein Zimmer gleich beziehen und so tauche ich unwillkürlich nach dem Zimmerbezug ab.

Nachdem ich den ganzen Vormittag geschlafen habe, bleibe ich auch den Nachmittag im Zimmer. Die letzten Tage waren sehr intensiv mit den wunderschönen Museen. Und auch wenn ich eigentlich versuche, nur das weiterzugeben, was ich erfahren habe und keine Wikipedia-Abhandlungen zu schreiben, so muss ich doch manchmal etwas nachrecherchieren. Wie hiess dieser Baum? wie schreibt sich dieser Name richtig, welche Jahreszahl. So Sachen halt. Darum wird das Schreiben eben trotz der Leichtigkeit, die ich eigentlich vermitteln möche, immer etwas aufwändig.

Am Abend finde ich, dass ich wenigstens noch kurz einen Spaziergang zum Hauptplatz machen könnte, doch dann entdecke ich den Pool auf dem Dach, wo heute tatsächlich ein paar Leute sind und die Poolbar bedient ist. Also bleibe ich gleich hier, bestelle einen Burger zum Nachtessen und bestaune den unerwarteten Sonnenuntergang. Ich hatte das überhaupt nicht erwartet, denn Tumbes liegt nicht am Meer. Die Sonne geht weit hinten über dem Land unter, aber sie verbreitet eine wunderschöne Stimmung und später erstrahlt der Pool in einer angenehmen Beleuchtung.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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