Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Palacio Tschudi

Eigentlich ist meine Schwester schuld, dass ich hier bin. Sie hat mich auf den Tschudi-Palast in der Nähe von Trujillo aufmerksam gemacht. Tschudi ist ein Glarner Geschlecht und da wollten wir beide wissen, was es auf sich hat. Schliesslich sind wir im Glarnerland aufgewachsen.

Ausserdem hatte ich diese wunderschönen Bilder vom Strand von Trujillo im Kopf. Bilder von rotgoldenen Sonnenuntergängen mit den schwarzen Silhouetten von speziell geformten Fischerbooten. So ist das manchmal mit Fotos, die Sehnsüchte wecken, irgendwann folgt man ihnen.

Jetzt bin ich aber erst angekommen, frisch gestärkt vom Frühstück im ersten Hotel am Platz und voller Tatendrang. Und weil ich schon lange keinen Spaziergang mehr gemacht habe, entschliesse ich mich, nach dem Rundgang auf dem Hauptplatz mit seinen fantastischen Fassaden, die ich gestern in der Nacht schon bewundert hatte, zum Palacio Tschudi, zur Ausgrabungssätte Chan Chan zu laufen. Sind ja nur gut fünf Kilometer, das schaffe ich mit Links.

Vorher besichtige ich noch die Kathedrale, deren Tor heute weit offen steht.

In der Kathedrale von Trujillo

In der Kathedrale von Trujillo

Mein Hotel direkt am Hauptplatz

Mein Hotel direkt am Hauptplatz

typisch koloniale Architektur

typisch koloniale Architektur

Wenn ich so unterwegs bin, fotografiere ich spontan alles, was mir auffällt. Dabei kann es sein, dass sich plötzlich ein Thema aufdrängt. So wie die Hunde heute. Zuerst war es nur ein Plakat, das mir zeigte, dass jemand seinen Hund vermisst, dann waren es die beiden ungleichen Freunde, die vor einem Kiosk entspannt beieinander waren und bald darauf waren es die drei sehr aufgeregten Hunde hinter dem Gitter, die um jeden Preis ihr Heim verteidigten, oder vielleicht auch unbedingt hinaus wollten. Auch der nächste Hund bellte aufgeregt und ich traute mich nicht, ihn von vorne zu fotografieren, er schien nicht in bester Stimmung zu sein. Eigentlich ging ich davon aus, dass er vor seiner Haustüre angebunden sei, doch als ich an ihm vorbei ging, merkte ich, dass er frei war und jetzt mich als Opfer auserkoren hatten. Vielleicht passte es ihm nicht, dass ich ihn fotografiert hatte, jedenfalls blieb er mir einen Moment lang laut bellend auf den Fersen.

Jetzt nur keine Angst und keine Aufregung zeigen. Einfach weiterlaufen. Weiterlaufen. Weiterlaufen. Es hat genutzt, nach ein paar Metern blieb er hinter mir und als ich mich viel später umdrehte, stand er wieder vor seine Haustüre und bellte da weiter.

Sehr oft treffe ich auch auf streunende Hunde, die dann meistens sehr vernächlässigt aussehen und viele Wunden und Narben von vergangenen Kämpfen mit sich tragen.

Den Baustil von peruanischen Städten könnte man wohl als Schachtel-Bau bezeichnen. Mir kommt es vor, als ob man einzelne Schachteln aufeinander stapeln würde. Man fängt mit dem ersten Stock an, wenn dann später etwas Geld dazu kommt, setzt man eine weitere Schachtel darauf, verglast das Ganze mit blau reflektierenden Scheiben oder macht irgendwelche bunte Erker und Rundungen. Ganz wie es grad gefällt oder was man irgendwo anders schon mal gesehen hat. Ob es da Bewilligungen dafür braucht, weiss ich nicht, mir kommt es jedenfalls nicht so vor.

Bei einigen Häusern gibt es davor winzige Gärten, kleine Rabatten mit Sträuchern oder Blumen. Bald fallen mir aber auch die kleinen Blumenhändler auf. Es scheint, dass ich in eine Blumenhändler-Strasse geraten bin. Zwar ist es eine breite Hauptstrasse mit immer weniger Hàusern, aber es gibt auffallend viele kleine Blumenhändler. Einer erklärt mir den Unterschied zwischen den peruanischen einheimischen Rosen, die hier in der Nähe gezogen werden und den importierten Rosen, die lange nicht so lange halten.

Astromelien

Astromelien

Ein anderer sagt mir den Namen der schönen, Blumen, die man vor allem in Südamerika in vielen Farben überall sieht.

Es sind Astromelien. Und er erklärt mir auch warum sie so heissen. "Siehst du die kleinen Sprinkel, die sehen doch aus wie Asteroiden", meint er. Später habe ich die Blumen gegoogelt und bin auf einen deutschen Namen gestossen: Inka-Lilie. Und ausserdem auf eine Legende von einem kranken indigenen Prinzen, den ein junges sehr schönes Mädchen von seiner Krankheit geheilt hat, indem sie ihr Herz einem Condor schenkte. Ihre Blutspritzer finden sich seither überall in den Anden als filigrane rote Blumen wieder.

Astromelia - Inka-Lilie

Astromelia - Inka-Lilie

La Iglesia de Jesus Cristo de los santos de los ultimos dias
Templo de Trujillo, Peru

La Iglesia de Jesus Cristo de los santos de los ultimos dias
Templo de Trujillo, Peru

Dann komme ich zu einem wunderschönen Blumenpark mit einer Kirche darin. Die Kirche der Heiligen der letzten Tage. Leider ist das Tor geschlossen. Und jetzt erkenne ich auch, was es mit den vielen Blumenläden auf sich hat. Der nächste Park ist der Friedhof, Parque Eterno, der Park der Ewigkeit. Zwei uniformierte Wächter stehen davor und lassen Leute hinein, nachdem die ihnen einen Namen angegeben haben, die dann auf einer Liste überprüft werden. Die Leute haben alle Blumengebinde dabei. Ob ich da wohl auch hinein darf? Oder muss ich einen verstorbenen Verwandten vorschieben, den ich besuchen möchte.

Der Wächter weiss zuerst nicht so recht, was er mit mir anfangen soll, will mich wegweisen, da ich ihm eben doch keinen Namen angeben kann. "Ich möchte mich nur kurz umsehen, ich bin fremd hier", versuche ich ihm zu erklären, nachdem er mich nach einer Anmeldung gefragt hat. Der zweite Mann hat schneller erfasst, dass ich eine Touristin bin und legt beim Chef ein gutes Wort für mich ein.

"Also gut, aber nur bis zur gelben Linie", meint dieser darauf und ich bin drin. Bin nicht ganz sicher, wo die gelbe Linie ist, jedenfalls folge ich den Gräbern, die in den Rasen eingelassen sind. Manchmal wehen ein paar Ballone über den Steinplatten, ein paar Rosen oder Lilien stecken in eingegrabenen Vasen. Viele künstliche Blumen aber auch oft frische Blumen bei alten Gräbern. An der Seite gibt es die Mauern mit den Fächern, die wie Briefkästen aussehen. Briefkästen mit Botschaften in die Ewigkeit. Ich lasse mir Zeit, lasse diese eigenartig ruhige Stimmung auf mich einwirken. Ein paar Leute sind mit Blumen unterwegs, ein paar Geburtstagsgrüsse und farbige Windräder flattern über dem Rasen.

Als ich zurück zum Tor komme und mich noch einmal umdrehen will, um den Springbrunnen zu fotografieren, werde ich vom Wächter abgefangen. Ich soll jetzt rasch raus hier, wahrscheinlich habe ich die gelbe Linie längst überschritten.

Jetzt ist es nicht mehr weit, bis zum Chan Chan Komplex. Ob es hier ein Restaurant gibt? einen Kiosk, wo ich Wasser kaufen könnte. Da schleppe ich doch überall und immer meine Wasserflasche mit, aber heute, wo ich sie dringend brauchen würde, habe ich sie im Hotelzimmer vergessen. Typisch. Nein, es gibt nichts dergleichen, ich befinde mich in einer völlig ausgetrockneten steinigen Welt. Lisa, ene junge Guia erklärt mir das Museum. Jede Keramikschale, jede Figur erklärt sie ausführlich, aber ich möchte eigentlich nur einen Schluck Wasser trinken.

Bevor wir dann zusammen ins Gelände gehen, wofür ein Taxi zur Verfügung steht, bestehe ich darauf, dass wir zuerst zu einem kleinen Laden ausserhalb des Geländes fahren, wo ich mich mit Wasser eindecken kann. Dann bin ich bereit für die Erkundung des Tschudi-Palastes.

Der ganze Komplex heisst Chan Chan. Die Kultur ist die Chimu-Kultur, die ihren Höhepunkt um 1400 hatte. Ursprrünglich kamen die Chimu vom Fluss Moche, der im Süden von Trujillo fliesst. Doch dieser überschwemmte das Gebiet regelmässig und so gaben sie diesen Standort auf und zogen in den Norden der heutigen Stadt Trujillo. Um in dieser trockenen Gegend genügend Wasser zu haben, bauten sie Kanäle in denen sie das Wasser der Moche zu ihren Feldern und Häusern leiteten.

Im Musem zeigte mir Lisa, ein riesiges Relief, das das ganze Chan Chan Gebiet umfasst. Es gibt darin neun verschiedene Paläste, die in sich eigene kleine Regierungseinheiten bilden. Eine davon ist der Palacio Tschudi. Der Name bezieht sich auf Johann Jakob von Tschudi, einen Südamerika-Forschungs-Reisenden, der sehr viel für die Erforschung der einheimischen Sprache und Bräuche tat. Der Name sollte eine Ehrung seiner grossen Arbeit sein, aber er war kein Archäologo und so hat man den Namen des Palastes irgendwann umbenannt. Heute heisst er Nik-An. Es ist aber der einzige Palast der soweit erforscht ist, dass er für das Publikum zugänglich ist. Daneben gibt es noch ein riesiges unerforschtes Gelände, das unter Sand und Stein begraben und der Witterung ausgesetzt ist.

Chimu-Herrscher

Chimu-Herrscher

Schlamm-Reliefs

Schlamm-Reliefs

die traditionellen Fischerboote, Caballitos de Totora werden noch heute benutzt.

die traditionellen Fischerboote, Caballitos de Totora werden noch heute benutzt.

Es gibt nur einen schmalen Eingang in den Palast, aber dicke Mauern, die aus Adobesteinen gebaut wurden. Die Dekorationen in den Räumen machen einen sehr modernen Eindruck. Es gibt Eichhörnchen-Reihen oder Pelikane und andere Vögel. Manchmal auch Fische. Die Eichhörnchen wurden als Anbau-Experten verehrt, da sie ihre Sämereien überall in der Erde verstecken. Die Vögel sollten den Zugang zum Wasser und zum Meer symbolisieren.

Durch die lichtdurchlässigen Mauern kam Licht und Luft in die Innenräume, die vorwiegend mit Palmblättern bedeckt waren.

Man bearbeitete Gold, das im Fluss gefunden wurde und entwickelte eine spezielle Keramiktechnik bei der der Ofen kurz vor dem Ende der Brenndauer komplett abgedichtet wurde und dadurch eine spezielle Glasur entstand.

Eichhörnchen-Parade

Eichhörnchen-Parade

das Andinenkreuz findet man überall in den Anden

das Andinenkreuz findet man überall in den Anden

die Kreise symbolisieren die Mondfläche

die Kreise symbolisieren die Mondfläche

Die Chimu verehrten den Mond als ihre weibliche Göttin. La Luna, der Mond ist in vielen Sprachen weiblich. Sie verkörpert den weiblichen Zyklus mit 28 Tagen und die Fruchtbarkeit am 14. Tag. Ausserdem hat der Mond die Kraft, die Sonne zu bedecken. Mondfinsternisse wurden mit grossen Festen begangen.

In den riesigen Wasserspeichern, in denen das Grundwasser gesammelt wurde, spiegelte sich nachts der Mond. So konnte man sich die Göttin auf die Erde holen. Es sind auch Menschenopfer, vorwiegend Kinder gefunden worden. Diese scheinen vor allem zu Zeiten von grossen Überschwemmungen und beim Phänomen des Nino, das regelmässig über die Gegend hereinbrach, vorgekommen zu sein.

Die Chimu-Kultur wurde später von den Inkas erobert. Dazu zerstöten die Eroberer die Waserzufuhr und hatten damit relativ leichtes Spiel. Natürlich musste danach die Mondgöttin vom Sonnengott übernommen werden. Bei der Eroberung durch die Spanier änderte sich alles noch einmal und viele der Schätze wurden durch die Conquistadores geplündert.

Genau wie die Inkas kannte die Chimu-Kultur keine Schrift, man ist also auf die Interpretation von Fundstücken angewiesen um das Leben der Chimu zu verstehen.

ein grosses Depot, in dem Grundwasser gesammelt wurde. Nachts spiegelte sich darin der Mond. In Vollmondnächten wurden spezielle Riten abgehalten.

ein grosses Depot, in dem Grundwasser gesammelt wurde. Nachts spiegelte sich darin der Mond. In Vollmondnächten wurden spezielle Riten abgehalten.

Nach der ausführlichen Besichtigung des Chan Chan Komplexes bin ich ziemlich müde, doch ich will meinem zweiten Trujillo-Bild doch noch auf den Grund gehen.

Darum lasse ich mich von einem Taxi an den Strand fahren. Dahin wo die traditionellen Binsen-Boote aufgestellt sind. Es ist zwar die Stunde des Sonnenuntergangs, aber es ist nicht die richtige Jahreszeit für spektakuläre Bilder.

Daher mache ich nur einen kurzen Spaziergang und fahre dann zurück in die Stadt.

Eine kleine Kirche in der Nähe des Hauptplatzes

Eine kleine Kirche in der Nähe des Hauptplatzes

Später suche ich ein schönes Restaurant, finde aber nur Cafes und Teesalons, die vorwiegend Sandwiches anbieten. Mir wäre jetzt aber nach etwas handfesterem. Ich versuche es, indem ich in verschiedenen Läden nach einem guten Restaurant frage, aber erst der dritte Versuch bringt mich zu einem akzeptablen Ergebnis. Im Rincon del Vallee bekomme ich eine riesige Portion Lomo saltado.

Lomo saltado, ein traditionlles Gericht aus Rindfleisch mit Tomaten und viel Zwiebeln, angerichtet auf Pommes, serviert mit Reis.

Lomo saltado, ein traditionlles Gericht aus Rindfleisch mit Tomaten und viel Zwiebeln, angerichtet auf Pommes, serviert mit Reis.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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