Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Eine lange Nacht

Viel kann man eigentlich nicht sagen, über eine Nacht, bei der man 17 Stunden auf dem gleichen Sitz hockt und irgendwann nicht mehr weiss, wohin man seine Füsse aufsetzen, wie man seine Beine ausstrecken könnte.

Ich habe am Morgen noch richtig ausgiebig gefrühstückt, danach gibt es für diesen Tag nichts mehr zu essen. Bei solch langen Reisen reduziere ich das Essen und das Trinken auf das absolut notwendigste. Natürlich weiss ich, dass man genug trinken soll, hab auch immer eine Flasche Wasser dabei, doch ich bleibe vorsichtig. Trinke grad soviel, dass ich es laufend ausdunsten kann.

Im Wartesaal habe ich eine Inca Kola gekauft und einen Eisblock erhalten. Der kühlt so wunderbar. Mit dem Kondenswasser kann ich mir die schweissnassen Hände waschen, die auch nach dem Händewaschen in der WC.-Kabine beim Terminal bereits wieder stickig-feucht sind. Überhaupt kommt mir alles stickig vor. Die Hitze sei in diesen Tagen besonders stark, hat mir auch May am Morgen erzählt, als wir noch gemütlich im Schatten des Casa Fitzcarraldo sassen.

Dass ich Hitze eigentlich schlecht ertrage, glaubt man mir wahrscheinlich kaum. Warum ich trotzdem immer wieder hierher an den Amazonas komme, kann ich eigentlich nur mit den Menschen erklären. Mit der Freundschaft, mit den tollen Begegnungen. Und vielleicht auch damit, dass ich hier auf die elementaren Bedürfnisse zurückgeworfen werde. Aber irgendwann ist dann auch wieder genug. Irgenwann halte ich es dann fast nicht mehr aus. Heute ist eben einer dieser Tage, und heute kann ich mich nicht zurückziehen, heute lasse ich den Tag an mir vorbei ziehen, warte und sitze die Stunden ab. Vier Stunden bis zur Abfahrt. Kein Gedanke, dass ich in der Zwischenzeit durch Nauta bummeln könnte, das Terminal ist zu weit weg. Und ausserdem habe ich ja mein ganzes Gepäck dabei.

Ich halte die eiskalte Flasche an meine Wangen bis ich das Gefühl habe, sie frieren mir ein. Dann auf das Dekolleté. Wow, das tut gut. Einzelne Tropfen lösen sich und kullernd verdunstend unter das Kleid. Ui ui, wunderbar. Und jetzt noch ein Schluck, damit der Zucker- und Wasserhaushalt in Ordnung bleibt,

Einer der Angestellten kommt vorbei, will meinen Koffer registrieren und im Bauch des Schiffes verstauen, ich löse meine Schreibstube auf, denn auf den Knien halte ich den Laptop längst nicht mehr aus. Das Warten beginnt.

"Tragen sie eine doppelte Maske, ohne Maske können sie nicht einsteigen. Tickets bereithalten, Sitzplätze sind frei". Eine Viertelstunde vor Abfahrt können wir endlich einsteigen.

Abfahrt um 17.00 Uhr. Ich bin überaus überrascht, dass wir kurz nach dem Einsteigen pünktlich losfahren. Ich habe mir einen Fensterplatz auf der linken Seite ergattert. Ziemlich weit vorne. Der junge Mann neben mir stellt sich vor: Daniel, er ist Lehrer in Iquitos, fährt nach Yurimaguas, um seine Tochter zu besuchen.

Das Gespräch plätschert dahin, irgendwann mag ich nicht mehr Auskunft geben über Ehemann, Kinder, Reiseziele. Mag auch keine Tipps mehr zu möglichen Reisezielen, denn tatsächlich kenne ich inzwischen sehr vieles von Peru und oft komme ich mir dann etwas überheblich vor, wenn ich erkläre, dass ich da und dort bereits war, dass ich Iquitos schon ziemlich gut kenne.

Da passt es doch wunderbar, dass die Sonne sich pünktlich um sechs Uhr daran macht, sich für den heutigen Tag zu verabschieden. Nachdem ich ein paar Fotos von meinem Platz aus gemacht habe, immer mit aller Vorsicht, damit mir der Fahrtwind nicht mein Handy aus der schweissnassen Hand schlägt, stehe ich auf, gehe nach vorn in die Fahrerkabine. Da scheint man sich über die Abwechslung zu freuen, ich erfahre, dass auch hier vier verschiedene Fahrer zum Einsatz kommen und dass es einen fest installierten Scheinwerfer gibt, der je nach Bedarf eingeschalten wird.

Später sitze ich zurück an meinem Platz, versuche zu lesen, tippe ein wenig in meinem Computerspiel und beobachte den Himmel. Zuerst ist es ein einzelner Stern, der hoch am Himmel steht. Der Abendstern? oder ist das hier auf der südlichen Halbkugel ein anderer?

Später breitet sich das ganze Sternenmeer über mir aus. Ein gewaltiger Himmel mit tausenden von Sternen. Und der leichte Nebel wird wohl die Milchstrasse sein.

Es ist eine stockdunkle Nacht und ich kann kaum das Ufer nur schemenhaft aufnehmen. Manchmal begegnen wir Lichtern. Dann durchbricht unser Scheinwerfer die Nacht, tastet sich an das Objekt heran. Meistens sind es grosse Schiffe. Frachter mit einer grossen Ladefläche angehängt. Sie sind schwach beleuchtet, geben aber bei der Begegnung ebenfalls gut sichtbare Zeichen.

Manchmal durchbricht unser Scheinwerfer auch die Dunkelheit und sucht das Ufer ab. Streift über Wald und Sandflächen. Vielleicht sucht er die Stellen, an denen das Wasser noch hoch genug ist, um einen sicherern Durchgang zu haben.

Natürlich ist mein Handy nicht geeignet für solche Fotos aus dem fahrenden Schiff... bin trotzdem stolz darauf  soll ja nur eine Erinnerung sein.

Natürlich ist mein Handy nicht geeignet für solche Fotos aus dem fahrenden Schiff... bin trotzdem stolz darauf soll ja nur eine Erinnerung sein.

Und dann sehe ich weit hinter uns den Mond aufgehen. Zuerst ist es nur eine schwache rote Scheibe, später steht er oben und beleuchtet die Gegend. Er ist nicht mehr ganz rund, ist oben bereits etwas ausgefranst. Wir sind auf der südlichen Halbkugel, da liegt der Mond am Himmel, später im Monat wird er eine Schaukel bilden. Da gibt es nichts mehr mit der Eselsleiter A-bnahme - und Z-nahme.

Der Mond ist über uns und manchmal hinter uns, weil wir uns auf dem Fluss schlangenförmig in endlosen Kurven bewegen, kann ich ihn öfters von meinem Fensterplatz aus sehen.

Zwischendurch schlafe ich ein, döse, erwache, kontrolliere, wo wir inzwischen sind. Die App Maps.me zeigt mir auch ohne Internet-Verbindung immer den aktuellen Standort. Auch Daniel hat das inzwischen entdeckt und guckt dann neugierig auf mein Display.

So lange Fahrten teile ich in meinem Kopf in Teilstrecken auf. Erst mal den Sonnenuntergang sehen, dann Mitternacht abwarten. In der Schweiz steht man jetzt auf. Dann den Tagesanfang geniessen und dann dauert es nur noch zwei Stunden, dann sind die 14 Stunden vorbei.

Die Stunden nach Mitternacht sind die längsten. Das neue Buch einer Facebook-Freundin rumgeKREBSt hilft mir, die Stunden zu überbrücken. Sandra beschreibt ihre Erfahrungen mit der Krankheit. Mit all den Ängsten, mit den Begegnungen, den Problemen, der neuen und alten Lebenseinstellung. Auffällig ist ihre positive und offene Grundhaltung. Ich durfte diese schon während der ganzen Leidenszeit im Facebook miterleben, denn sie ging schon ganz am Anfang mit der Krankheit sehr offen um. Heute ist sie dabei, ihr Leben neu auszurichten, Ein durchwegs positives Buch, ein Aufsteller.

ISBN: 3949536019  /  EAN: 9783949536014

ISBN: 3949536019 / EAN: 9783949536014

Irgendwann sehe ich weit hinter mir einen rötlichen Streifen am Himmel. Es ist sechs Uhr. Der Tag beginnt pünktlich. Zum Glück machen wir jetzt wieder eine Schleife und ich kann den Sonnenaufgang über den Bäumen aus meinem Seitenfenster beobachten. Eigentlich fahren wir ja nach Westen und die Sonne müsste direkt hinter uns aufgehen, aber dank dieser Streckenführung ändert sich die Sicht dauernd.

Übrigens halten wir auf der Strecke manchmal an. Meist ist es ein Ort, es kann aber auch mal einfach ein steiles Ufer sein, wo Menschen mit einer starken Lampe Zeichen geben.

Dann steigen ein paar Leute ein, oder ein einzelner aus. Wie sich die Fahrer auf diesem endlosen Fluss orientieren, ist mir schleierhaft. Denn durch das Sinken des Wassers ändert sich auch das Ufer und die ganze Umgebung. Da tauchen Sandbänke auf, wo sonst Wasser ist. Es gibt neue Flussschlaufen. Der Fluss ändert sich dauernd während des Jahres. Es ist übrigens der Maranon, einer der beiden ersten Quellflüsse des Amazonas, auf dem ich dahingleite.

Und dann ist der Morgen da, es wird acht Uhr, aber von Ankommen kann keine Rede sein. Die Fahrt dauert bedeutend länger, als die angekündigten 14 Stunden.

Gut 17 Stunden sind es, als wir nach zehn Uhr in Yurimaguas anlegen. Nach 320 km Luftlinie. Gefahren sind wir möglicherweise die doppelte Strecke. Doch dann geht alles ganz schnell. Ich stehe noch bei der Gepäckausgabe, warte auf meinen Koffer, als mich jemand anspricht. "Beatice!" Ich stehe fast Kopf, sehe mir den jungen Mann mit der Maske an und weiss gar nicht was sagen. Es ist Christian. Er war unser Mototaxifahrer vor 18 Monaten. Hat uns damals vom Taxistand zum Hotel und am nächsten Tag zum Hafen gebracht. Er erinnert sich nicht nur an mein Gesicht und hat mich trotz doppelter Maske erkannt, er weiss sogar noch meinen Namen.

Natürlich ist er gleich engagiert, schleppt meinen Koffer hinauf ans Ufer und bringt mich ins kleine Hotel. Die Posada Cumpanama habe ich vor ein paar Jahren bei meinem ersten Besuch in Yurimaguas entdeckt. Genau 24 Stunden nachdem mich Pablo im Casa Fitzcarraldo abgeholt hat, checke ich im Hotel ein.

Den Nachmittag verbringe ich schlafend und dann schreibend, denn all die vielen Eindrücke der letzten Tag in Iquitos wollen verarbeitet sein.

Am späteren Nachmittag erinnere ich mich, dass ich heute noch gar nichts gegessen habe heute und mache mich auf zu einem Spaziergang zur Plaza de Armas.

Und da entdecke ich tatsächlich ein ganz neues sehr schönes Restaurant. Eines wie ich es hier überhaupt nicht erwartet habe. Gross, luftig, sauber und schön dekoriert. Einzig die laute Musik stört, ich kann den Kellner kaum verstehen, als er mich nach den Beilagen für mein Lomo Fino fragt.

Doch weil es noch sehr früh ist und sonst keine Gäste da sind, die sich stören könnten, wenn die Musik nicht mehr so laut ist, stellt er sie etwas leiser. Ich geniesse ein wunderbares Essen mit Diskomusik-Begleitung und lasse mich später von einem Mototaxi zurück ins Hotel fahren. Grad schickt die Sonne ihre letzten feuerroten Strahlen durch die Gassen und kurz darauf erstrahl der Himmel über der Kirche violett. Mein Tag war wieder voll ausgefüllt, obwohl ich nur gewartet habe...

Von den winzigen Bierchen musste ich drei bestellen, denn die werden tatsächlich nur in so homöopatischen Dosierungen verkauft.

Von den winzigen Bierchen musste ich drei bestellen, denn die werden tatsächlich nur in so homöopatischen Dosierungen verkauft.

Kirche von Yurimaguas

Kirche von Yurimaguas

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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