Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Adventskalender

Typisches Frühstück mit Rührei, Reis, Arepa, Käse, Brot und Fruchtgelee

Typisches Frühstück mit Rührei, Reis, Arepa, Käse, Brot und Fruchtgelee

In der Nacht hatte ich unerwartet Besuch. Ich glaube, es ist mir tatsächlich noch nie passiert, dass nachts jemand die falsche Zimmertüre erwischt hat. Zum Glück war ich noch wach und noch am Lesen. So war für den Eindringling schnell klar, dass es das falsche Zimmer war und so schnell die Türe offen war, so schnell war sie auch wieder geschlossen. Also weiter nichts passiert. Am Morgen kontrollierte ich die Türe und sie liess sich tatsächlich nicht schliessen. Zwar hat sie eine Schlüsselkarte, so dass man sie innen nicht zusätzlich verschliessen muss, aber sie war einfach nie geschlossen. Auch nicht, als ich gestern kurz im Supermarkt oder oben im Restaurant war.

Patricia, die für die Zimmer zuständig ist, versuchte es ebenfalls, es half nichts, die Türe liess sich nicht schliessen. Also blieb nichts anderes übrig, als das Zimmer wechseln. Dabei hatte ich mich auf Anhieb so gut gefühlt darin.

Mein neues Zimmer ist jetzt ein Stockwerk höher. Es hat ein hoch gelegenes Fenster für Tageslicht, das in eine Mauerlücke geht. Aussicht ist also eh nichts, weil es zu hoch ist, dafür sollte es aber ruhiger sein, denn der Lärm von der Strasse ist schon sehr laut bis lang nach Mitternacht. Und einen Whirlpool hat es auch, dieser ist sogar noch grösser. Eine richtige Doppelwanne, direkt ins Zimmer integriert. Auch den Kiesweg gibt es und die Bodenspots. Einzig das Internet ist nicht mehr so stark. Doch da gibt es Abhilfe, ich organisiere noch einmal für ein paar Pesos einen Internet-Acess. Hätte ich eh gebraucht, damit ich unterwegs online bin.

Flexibilität beim Reisen ist die halbe Miete und die Einstellung im Kopf hilft ebenfalls.

Nach dem Frühstück auf der Terrasse bleibe ich noch eine Weile, will unbedingt meinen Reisebericht aufholen. Ausserdem ist es hier luftig-angenehm. Während unten bereits wieder die Sonne brennt, geht da oben ein leichtes Lüftlein.

Nachdem ich im Blog in Cartagena angekommen bin und mich geistig noch einmal in die super Aussicht vom 30. Stock versetzt habe, breche ich auf. Ich gebe zu, der Taxifahrer mit seiner schlechten Meinung vom Zentrum von Medellin setzt mir schon etwas zu. Jedenfalls bin ich jetzt noch vorsichtiger. Nehme keine Handtasche mehr mit, sondern nur das Portemonaie in die eine, das Handy in die andere Hosentasche. Damit bin ich unbelastet, habe aber kein Wasser mehr dabei. Doch das kann man überall kaufen.

Von oben her ist mir der grosse Platz aufgefallen, der schräg unter mir liegt. San Antonio heisst er und es ist ein riesiger Platz mit Verbundsteinen und ein paar grossen Blumentrögen mit Bäumchen. Und da stehen doch tatsächlich ein paar Bekannte rum.

pajaro herido - der verwundete Vogel erinnrt an den 10. Juni 1995

pajaro herido - der verwundete Vogel erinnrt an den 10. Juni 1995

Vor allem der dicke Vogel ist auffallend. Er sieht aus, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte. Ja und das hat es auch. Auf der Inschrift kann ich nur das Datum lesen: 10. Juni 1995. Natürlich habe ich das gegoogelt und gefunden, dass hier 1995 eine Bombe detonierte. Es gab 23 Tote und soweit ich es verstehe, wurde der Urheber nie definitiv ermittelt. Der Botero-Vogel blieb als Mahnmal bestehen. Fünf Jahre später hat Francisco Botero einen neuen Vogel gespendet. Dieser steht neben dem ersten und soll ein Symbol der Versöhnung und für Frieden sein.

Es gibt noch mehr Figuren auf dem Platz und ich muss gestehen, sie gefallen mir immer besser. Die Gesichter sind friedlich, jedenfalls, wenn sie Gesicher haben. Der grosse Männertorso hat keines. Die Frau liegt wohlig auf ihrem weichen Tuch und kümmert sich um nichts. Es ist diese unbeschwerte Haltung, die mir imponiert und mich sehr anspricht. Diese Selbstverständlichkeit, ganz ohne zur Schaustellung, einfach sein, Hier-Sein.

Pajaro de Paz - der Friedensvogel, 2000 von Botero gestiftet

Pajaro de Paz - der Friedensvogel, 2000 von Botero gestiftet

Die Graffitis, die die angrenzenden Säulen zieren sprechen eine ganz andere Sprache, mit sehr starken Farben und ausdrucksstarken Augen.

An der Treppe, auf der man den Platz wieder verlasst, hat jemand ebenfalls ein Bild hinterlassen, doch da muss man schon zweimal hinsehen um es zu erkennen.

Ich bin ohne Plan unterwegs. Zwar will ich irgendwann zum Boteroplatz kommen, denn der ist tatsächlich ganz in der Nähe. Doch vorher komme ich wieder einmal durch einen Markt, wo wieder alles mögliche verkauft wird. Hüte zum Beispiel, ob die meine Grösse hätten? Ich lasse es bleiben, gehe vorbei, sehe mir dann aber diese eigenartigen Plastikdinger etwas genauer an, die es überall zu kaufen gibt. Wozu die sind, will ich von einem Verkäufer wissen. Es scheint etwas zu sein, um nervöse Finger zu beschäftigen. Jedenfalls kann man die runden Ausbuchtungen auf die andere Seite drehen und dann wieder zurück. So ähnlich wie Luftpolsterfolie. Nur kann man diese Plastikdinger endlos benutzen. Bis man genug davon hat, dann landen sie irgendwo im Müll. Im Plastikmüll, wenn es gut kommt. Jedenfalls gibt es sie in allen Formen und Farben und sie scheinen im Moment sehr beliebt zu sein.

Ebenfalls beliebt ist Weihnachtsschmuck. Ganze Geschäfte haben auf Lichterketten und farbige Weihnachtskugeln umgestellt. Es gibt sie in allen Farben und die Auswahl an Lichterketten ist unermesslich und lässt überhaupt keine Wünsche offen. Das blinkt und leuchtet, klingelt und summt in einem solchen Laden. Und zu den Lichtern kommen die Weihnachtsmänner mit weissem Rauschebart und rotkariertem Mantel.

So viel Weihnachtsdekoration ich in den Läden und an verschiedenen Ständen sehe, so wenig sehe ich sie an den Strassen. Irgendwo hatte ich gelesen, Medellin sei bekannt für seine Weihnachtsbeleuchtung, aber da müssten doch irgendwo Lichtergirlanden oder Dekorationen über den Strassen hängen. Doch da ist gar nichts. Auch in Cartagena hatte ich diese Dekorationen vergeblich gesucht. Werde mich noch einmal erkundigen müssen, wo ich diese Dekorationen finde.

HIer wird Medizin verkauft. Warum da nur Männer sich dafür interessieren, kann ich nicht ergründen. Leider habe ich den Anfang der Verkaufspräsentation verpasst.

HIer wird Medizin verkauft. Warum da nur Männer sich dafür interessieren, kann ich nicht ergründen. Leider habe ich den Anfang der Verkaufspräsentation verpasst.

Auch hier ist es Naturmedizin, verschiedene Kräuter aus den Dschungel die gegen jedes Leiden helfen.

Auch hier ist es Naturmedizin, verschiedene Kräuter aus den Dschungel die gegen jedes Leiden helfen.

Irgendwann bin ich beim Boteroplatz. Er ist mir so vertraut mit all den riesigen Figuren, den vielen Menschen, die hier verweilen, den Verkäufern die ihre Waren lautstark anbieten, den Bettlern, die in Abfallkübeln nach etwas brauchbarem suchen. Auch die jungen Mädchen sehe ich diesmal. Ich war wohl einfach zu naiv, um sie zu sehen. Wie sie da leichtbekleidet im Schatten unter den Bäumen stehen. Sie sind diskret und es ist auch nicht so, dass alle, die mit knappen Oberteilen unterwegs sind, ihren Körper anbieten. Es ist heiss in Medellin, man ist leicht angezogen und wie in allen Lateinamerikanischen Ländern betonen die Frauen ihre Figuren und ihre Formen. Und Formen haben sie tatsächlich. Botero hat sich wohl genau umgesehen. Es gibt die schmalen dünnen Figuren, aber auch die kompakten Körper, die sich in knappe Miniröcke zwängen und trotzdem oft sehr attraktiv aussehen.

20 Jahre Botero Platz steht auf der Dekoration, die neben dem riesigen Männerkopf platziert ist. Ob das eine Weihnachtsdekoration ist. Ich kann allerdings keine Lampen erkennen und es war ausdrucklich von Weihnachtsbeleuchtung und nicht von Weihnachtsdekoration die Rede.

In der Cafeteria mit Blick auf die Liegende bestelle ich einen Cappuccino. Die Lage beim Museum ist sehr angenehm, weil die Tische etwas erhöht stehen und ich keine Angst haben muss, jemand würde mir das Handy aus der Hand reissen. Ich merke immer wieder, dass mir mein gestohlenes Handy immer noch im Kopf ist.

Als ich weiter gehe, merke ich, dass die Nadel, der Coltejar-Turm, das höchste Gebäude von Medellin nur ein paar Blocks entfernt ist. Also ist er mein nächstes Ziel. Vielleicht gibt es einen Trick um hinein zu gelangen.

Es sind tatsächlich nur vier Blocks und dann stehe ich davor. Unendlich geht der Blick in die Höhe, doch das ganze Gebäude ist unten mit Gittern komplett abgeriegelt. Heute ist Sonntag, vielleicht gibt es unter der Woche eine bessere Möglichkeit, denn es scheint, dass es hier nur Büros gibt, keine Appartments.

An der angrenzenden Strasse entdecke ich zum ersten Mal so etwas wie eine Strassendekoration. Zwar nicht aus Lampen, aber immerhin hängen da grüne Tannenbäume an den Strassenlaternen. Und ein paar rote und grüne Luftballons sind auch da. Ich muss meine Vorstellungen von der Weihnachtsbeleuchtung revidieren.

Und endlich sehe ich sie, die grossen Bänder, die über die Strasse gespannt sind. Auch sie sind keine Lichterketten, aber Bilder von Kobolden und die Dezemberdaten.

Vielleicht ist das so etwas ähnliches wie ein Adventskalender. Ich folge der Strasse , es ist eine gut befahrende Hauptstrasse unter Bäumen. Alle 10-20 Meter hängt eine solche Dekoration über die ganze Fahrbahn. Fest gemacht an Strassenpfosten und Laternen. Ganz am Ende gibt es die Begrüssung des neuen Jahres. Am anderen Ende, das ich ein paar Häuserblocks weiter finde, ist es eine grosse Begrüssung der Weihnachtszeit. Eindrücklich, riesig und auffällig sind die grossen Dekorationen aber eben nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Aber jetzt kann ich zwischen den einzelnen Elementen wenigstens Lichterketten sehen. Immerhin, es gibt sie, die Weihnachtsbeleuchtung. Vielleicht komme ich später noch einmal hierher zurück. Nachdem ich in einem Restaurant in der Nähe einen Fruchtsaft getrunken habe, schlendere ich zurück.

Diese Rettungsgeräte sehe ich an sehr vielen Orten in der ganze Stadt. Es ist eine Rettungsbare. Daneben sind hier spezielle Waschbecken angebracht, die man überall am Eingang von Restaurants findet. Covid-Präventation.

Diese Rettungsgeräte sehe ich an sehr vielen Orten in der ganze Stadt. Es ist eine Rettungsbare. Daneben sind hier spezielle Waschbecken angebracht, die man überall am Eingang von Restaurants findet. Covid-Präventation.

Beim Weitergehen fällt mir eine grosse Band auf, die sich im Schatten eines Zeltes aiufstellt. Es ist ein riesiger technischer Aufwand mit vielen Instrumenten, Kameras, Mischpulten und vielen Musikern. Also setze ich mich auf eine Maurer und sehe zu, was passieren wird.

Irgendwann kommt eine Moderatorin, macht ein paar Tonversuche und verschwindet wieder. Noch sind die Musiker nicht bereits, aber rundum sammeln sich jetzt die Leute. Sie bleiben stehen, sehen zu, setzen sich irgendwo oder gehen weiter, weil es noch immer nicht den Anschein macht, als ob es nächstens losgeht.

Und dann geht es tatsächlich los. Schon nach den ersten Tönen sind die Zuschauer elektrisiert. Alles bewegt sich im Salsa Rhytmus. Die Zuschauer tanzen. Zu zweit aber durchwegs auch allein. Auch alte Männer können nicht stehen bleiben, alles ist in Bewegung. Faszinierend. Kolumbien hat Musik im Blut.

Die Band spielt sehr gut, die Trompeten, die Soxophons haben einen mitreissenden Sound.

Ich bleibe auf dem Platz. Sehe zu, höre zu und versuche ein paar Aufnahmen zu machen.

Es ist ein Weihnachtskonzert. Die Moderatorin erklärt, dass die Aufnahmen direkt im Fernsehen übertragen werden. Es ist ein Dank an die Bevölkerung fürs durchhalten während der schwierigen Covid-Zeit, als kaum solche Konzerte stattfinden konnten. Es herrscht eine ausgelassene und fröhliche Stimmung und manch eine Maske rutscht unter das Kinn. Der Platz vor der Bühne wird zur Tanzfläche, dahinter stehen die Zuschauer. Sie freuen sich, klatschen, lachen, plaudern, bleiben stehen, gehen weiter. Es ist viel Bewegung drin, viel Freude an diesem ersten Sonntag im Dezember.

Weihnachtslieder habe ich übrigens keines gehört.

Allgegenwärtig sind die Menschen, die den Abfall durchwühlen auf der Suche nach etwas, das man verkaufen könnte.

Allgegenwärtig sind die Menschen, die den Abfall durchwühlen auf der Suche nach etwas, das man verkaufen könnte.

Eine Margarita...

Eine Margarita...

Kurz bevor die Sonne untergeht, bin ich zurück im Hotel. Ich bestelle mir zwei Margaritas. Eine in flüssiger Form und eine Pizza. Die Pizza hat allerdings nicht viel mit unseren Vorstellungen zu tun. Die Sosse ist zu flüssig und es hat viel zu viel Käse.

Man kann aber auch nicht jeden Tag exklusiv essen.

... und eine Pizza Margarita

... und eine Pizza Margarita

Meine PeakFinder-App funktioniert auch hier.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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