Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Weiterreise

Der Schirm hat noch gefehlt, ich werde heute Ushuaia verlassen. Und wie ich auch aufgepasst habe in den letzten Tagen, und auch wenn es täglich mehr oder weniger geregnet hat, ich habe nie einen Schirm auf den Strassen gesehen.

Gestern auf unserem Ausflug habe ich Paula gefragt, ob sie vielleicht einen Schirm hätte. Ja, hat sie gemeint, sie hätte tatsächlich einen, aber sie würde ihn nie brauchen. Bei dem starken Wind, der hier dauernd herrscht, wäre der innert Sekunden kaputt, gedreht. Das leuchtet ein und jetzt verstehe ich auch, dass es keine Schirme in Ushuaia gibt.

So wie es kein Bargeld gibt. Es würde dringend einen Geldtransport brauchen, damit Western Union wieder richtig arbeiten könnte, doch Ushuaia liegt von Buenos Aires aus gesehen tatsächlich am Ende der Welt, da schickt man nicht eben rasch einen Geldtransporter los. Hier würde es sich nicht einmal lohnen, eine Bank zu überfallen. Die haben bestimmt kein Geld in ihren Tresoren.

Paula hat daran gedacht und bringt mir am Morgen ihren schwarzen Schirm, als sie die Wohnung nebenan überprüft. Ihre Gäste sind gestern ausgezogen, später am Tag werden neue kommen. Ich darf bis zum Abend bleiben, obwohl die offizielle Auscheck-Zeit am Mittag wäre.

Ich nutze daher die Zeit, am Blog zu arbeiten. Jetzt, da ich wieder Geld habe, läuft das auch wieder mit dem Schreiben. Solange ich in den Problemen stecke, geht jeweils gar nichts.

Am späten Nachmittag bringt mich Paula zum Flughafen. Früh genug, falls noch irgendwelche Schwierigkeiten auftreten würden. Doch es ist alles perfekt. Ich kann meinen Koffer, den ich wieder auf ein Minimal-Gewicht reduziert habe, aufgeben und sogar den Rucksack, der all den schwereren Plunder des Koffers aufnehmen musste, gleich noch dazu. Interessant, in dieser Beziehung scheint Aerolineas Argentina grosszügig zu sein. Als ich im Reisebüro einen zweiten Koffer buchen wollte, meinte der Verkäufer, das wäre viel teurer. Und jetzt geht es, ohne dass ich extra dafür bezahle.

Ich bin nicht ganz sicher, aber auf meinem ersten Ticket stand 2 x 15 kg, auf dem jetzigen steht überhaupt kein Hinweis zum Gepäck. Vielleicht sind zwei Gepäckstücke Standard. Jedenfalls bin ich froh, dass ich alles aufgeben kann und während meines Aufenthaltes in Buenos Aires nicht auch noch auf den Rucksack aufpassen muss. Nur noch die einfache Einkaufstasche mit dem Laptop habe ich dabei. Während ich am Blog weiter arbeite, geniesse ich noch einmal einen Cappuccino und versuche die einheimische Spezialität: Alfajor de Maicena mit Dulce de Leche-Füllung. Ein süsses, ziemlich krümeliges Gebäck.

Alfajor de Maicena mit Dulce de Leche-Füllung

Alfajor de Maicena mit Dulce de Leche-Füllung

das moderne Flughafengebäude von Ushuaia ist erst ein paar Jahre alt.

das moderne Flughafengebäude von Ushuaia ist erst ein paar Jahre alt.

Letzte Nacht hat es bis tief hinunter geschneit und es ist richtig kalt geworden. Vielleicht verabschiedet sich der Sommer jetzt. Die Berge rund um Ushuaia grüssen jedenfalls mit verzuckerten Gipfeln.

Pünktlich um halb neun hebt die Maschine ab. Jetzt wird es ganz schnell dunkel, denn wir fliegen nach Norden. Mitternacht ist es, als unter mir wieder das riesige Lichtermeer von Buenos Aires auftaucht.

Neben mir sitzt eine Frau in meinem Alter. Wie das so ist, am Anfang stockt das Gespräch, man will sich nicht zu tief auf jemanden einlassen, wenn man eine längere Strecke zusammen unterwegs ist. Wir sind beide am Lesen. Sie in einem Buch, ich in meinem Tolino. Doch kurz vor der Landung merken, wir, dass wir einiges gemeinsam haben. Beide lesen wir gerne, reisen gern in spezielle Gegenden. Cecilia, so heisst meine Sitznachbarin hat dazu einen sehr guten Grund. Sie ist Biologin, interessiert sich vor allem für die Botanik und die Lebensgrundlagen in Ushuaia. Diesmal war sie zum Beobachten von Vögeln hier und ist völlig begeistert was sie alles gesehen hat. Wir zeigen uns gegenseitig ein paar Fotos unserer Erlebnisse. Sie erzählt fasziniert von den speziellen Lebensbedinungen in Ushuaia und bestätigt mir nebenbei, dass es auf Ushuaia tatsächlich keine Insekten gibt. Nicht einmal Ameisen, meint sie und wiederholt damit die Aussage von Manuel auf meinem Ausflug in den Nationalparkt. Und bevor wir uns trennen, erkennen wir, dass wir auch noch den gleichen Jahrgang haben. Ist eben doch der beste, den es gibt...

Mitternacht, Ankunft in Buenos Aires

Mitternacht, Ankunft in Buenos Aires

Ich habe einen langen Aufenthalt vor mir, mein nächster Flug startet erst morgens um zehn Uhr. Natürlich bin ich nicht die einzige, die sich die Nacht um die Ohren schlägt. Einige schlafen in ruhigen Ecken am Boden, andere bei den Sitzen im Wartebereich. Ich suche die Cafeteria, Hier gibt es Steckdosen für den Laptop und einen Cafe mit einem warmen Sandwich. Das muss fürs erste reichen und soll mir Energie geben, um weiter zu schreiben.

Die Stunden schleichen dahin. Das Dumme beim Allein unterwegs sein, ist ja, dass man nie irgendwo etwas stehen lassen kann. Nicht rasch einen kurzen Spaziergang durch den Flughafen machen kann, ohne die Zelte im Restaurant abzubrechen. Zum Glück habe ich kein Gepäck dabei, das macht es einfacher. Aber ich muss trotzdem bezahlen, den Laptop zusammenpacken und alles mitnehmen, wenn ich zum Beispiel rasch auf die Toilette muss. Und danach komme ich zurück und weil nicht viele Leute da sind, ist sogar mein Platz mit der Steckdose noch frei. Ich bestelle noch einmal einen Kaffee, versuche weiter zu schreiben. Gegen Morgen ist ein kurzer Chat mit der Schweiz möglich, jetzt ist es dort Vormittag. Und irgendwann ist es acht Uhr, ich gehe zum Gate, das gibt immerhin einen Ortswechsel.

Ach ja, und ein neues Buch habe ich vor ein paar Tagen auch angefangen.

Der Gesang der Flusskrebse von Delia Owens hatte sehr gute Kritiken und bringt mich in eine einsame Sumpflandschaft in North Carolina. Noch finde ich die Geschichte etwas langatmig, bin noch immer dabei, mich hineinzudenken, aber sie lässt mch nicht los, bringt mich Seite für Seite vorwärts. Lässt mich mit der Protagonistin durch den Sumpf schippern, unter grünen Ästen Schutz suchen. Die Geschichte erzählt von einem extem einsamen Leben.

10.00 Uhr - Weiterflug in den Norden

10.00 Uhr - Weiterflug in den Norden

Das Wetter ist fantastisch, als ich in die nächste Maschine steige. In zwei Stunden werde ich nahe der nördlichen Grenze sein, in Salta. Das liegt ganz nahe der Grenzen zu Chile, Bolivien und Paraguay. Auf 1100 m. Hier ist eindeutig Sommer. Richtiger Sommer.

Der Stausee Cabra Coral in der Nähe von La Vina

Der Stausee Cabra Coral in der Nähe von La Vina

Ankunft in Salta

Ankunft in Salta

Ich habe auch hier wieder ein Zimmer nahe des Zentrums reserviert. Ein Taxi bringt mich ganz schnell dahin. Eigentlich bin ich hundemüde, aber da ich unbedingt wissen will, wo ich gelandet bin, mache ich mich gleich auf, zu einem ersten Spaziergang.

Salta ist Neuland für mich, ich war noch nie hier. Hab nur gemerkt, wie alle, denen ich sagte, dass ich nach Salta gehe, gleich Salta la linda - Salta die Hübsche gesagt haben. Da muss ja was dran sein.

Es sind nur ein paar Häuserblocks bis ich die Rückseite der Kathedrale sehe. Eine rosa Kuppel und ein ebensolcher Turm. Eine sehr spezielle Farbe für eine grosse Kirche. Es ist heiss heute, gut 30 Grad. Der Unterschied zu den sieben Grad von Ushuaia sind frapant.

Kathedrale von Salta

Kathedrale von Salta

der Hauptplatz mit vielen schattigen Bäumen

der Hauptplatz mit vielen schattigen Bäumen

Am Hauptplatz höre ich Musik. Es ist eine fröhliche Musik und tatsächlich, als ich näher komme, sehe ich eine Gruppe junger Leute beim Tanzen. Das nenne ich einen perfekten Empfang. Ich setze mich auf eine Bank und sehe zu. Sehe zu wie sich die Tänzer im Kreis drehen. Sich necken, zusammenkommen und sich wegstossen, sich auffordernd mit einem Taschentuch zuwinken und gleich wieder auseinander drehen. Es ist meistens nur ein Paar, manchmal zwei, die sich auf dem Platz drehen. Die Mädchen schwingen ihre weiten Röcke, die jungen Männer stampfen mit ihren hohen Stiefeln auf den Boden.

Ich bewundere ihre Ausdauer und ihre Kraft. Es ist heiss und sie tragen lange Kleider. Auch wenn sie zwischen den Tänzen immer wieder den Schatten aufsuchen, ihre Leistung ist enorm. Und sie wirken so leichtfüssig, so elegant und fröhlich.

Ich bleibe sitzen, bis sie zusammenräumen. Die Musikboxen werden abgebaut, die Tänzer stellen sich noch für ein paar Fotos zur Verfügung. Dann wird es ruhig auf dem Platz und ich mache mich auf den Rückweg.

Zwar gäbe es am Hauptplatz schöne Tische unter den Sonnenschirmen, doch ich habe auf dem Weg hierher einen kleinen Innenhof gesehen mit blauen Kacheln, wie ich sie aus Spanien kenne. Dahin kehre ich zurück und bestelle das Menu. Panierter Merluzo mit frischem Salat und zur Vorspeise eine Empanada. Dazu eine frisch zubereitete Limonade.

Danach kenne ich nur noch eines. Endlich schlafen. Endlich duschen und dann abtauchen. Ich glaube, es wird mir hier gefallen. In Salta.

Salta - Bier

Salta - Bier

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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