Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Kolumbien

An Schlaf ist kaum zu denken. Ich packe meinen Koffer, versuche, möglichst viel im Rucksack zu verstauen, was nicht wirklich einfach ist, denn der ist eigentlich bereits voll. Mein Koffer ist schon bisher etwas zu schwer, wenn 23 Kilograms das Maximum sind, doch Viva akzeptiert nur 20 Kg. Was also soll ich hierlassen? Viel ist es nicht, eigentlich nichts, denn alles was ich besitze, ist in meinem Koffer. Weil ich das weiss, habe ich einen zusätzlichen Koffer gebucht. 2 x 20 kg, das muss doch einfach funktionieren.

Um neun gehe ich noch einmal in die Lobby, hole mir ein kleines Bier, vielleicht hilft es beim Einschlafen. Wecker stellen. Juan wird mich um ein Uhr abholen, der Flug geht um 5 Uhr. Weil ich kein Handy mehr hatte und meine Nummer erst seit kurzem wieder funktioniert, habe ich mich nicht getraut, online einzuchecken. Werde wohl genug Zeit brauchen für den Checking. Und ob es tatsächlich keinen PCR-Test braucht? Fragen über Fragen, die das Einschlafen und Abschalten zusätzlich schwierig machen.

Und dann ist alles ganz einfach. Juan ist pünktlich da, viel mögen wir beide nicht mehr sprechen, ich winke noch einmal der Virgin zu, verspreche, dass ich bald zurück bin, dann verabschiede ich mich vor dem Eingang des Flughafens von Juan. Auch er bekommt das Versprechen, dass ich zurück komme. Denn ich musste einen Rückflug buchen, damit Kolumbien sicher ist, dass ich wieder ausreise. Hätte auch sonst irgendwohin reisen können, doch was ist in drei Monaten offen? Lima ist am Einfachsten.

Beim Einchecken gibt es doch noch ein kleines Problem mit dem Koffer. Er wiegt jetzt genau 23 kg, doch das Maximum ist auf 20 kg pro Gepäckstück limitiert. Da nutzt das zweite bezahlte Gepäckstück nichts. Und ich habe dummerweise keine zusätzliche Tasche, nicht einmal einen Plastiksack dabei. "Nehmen sie ein paar Shirts raus", rät mir die junge Frau am Schalter. Als ob meine Tshirts Kiloschwer wären. Zum Glück habe ich alles in einzelne Packtaschen gesteckt. Ich hole also eines der Pakete raus, nehme es als Handgepäck. Und jetzt funktioniert es, obwohl der Koffer noch immer 22 kg wiegt. Manchmal braucht es einfach etwas guten Willen, etwas Toleranz und das Gefühl, man hätte etwas getan. Sie will noch meine ausgedruckte Registrierung sehen, die ich gestern online ausgefüllt habe und das ist auch schon alles. Kein Zertifikat, kein Test, alles völlig easy.

Dann muss ich nur noch auf den Abflug warten und pünktlich um fünf Uhr starte ich vom Flughaven Hugo Chaves in Lima in ein neues Abenteuer.

Tatsächlich habe ich keine Ahnung von Kolumbien. Ich war noch nie da und habe mich auch noch nie damit befasst. Seit ich gebucht habe, haben mir aber einige Leute versichert, dass das Land wunderschön, die Leute freundlich und fröhlich und das Klima angenehm sei. Na also.

Eine Weile döse ich vor mich hin, draussen ist es dunkel. Dann bricht die Sonne durch und unten, direkt unter mir steht ein Berg. Unglaublich, ein schneebedeckter Vulkan. So typisch und so schön, ein Bilderbuch-Vulkan. Sogar eine gewaltige Rauchsäule steht darüber. Ich kann mich gar nicht sattsehen. Inmitten der an sich schon hohen Anden, die sich unendlich ausbreiten, steht da dieser Vulkan.

Doch es ist nicht der einzige. Ihm folgen weitere schneebedekcte Bergspitzen. Sie ragen weit über das braue Gebirge hinaus, Der nächste hat einen zerklüfteten Gipfel, weiter hinten steht noch einer dieser Kegel. Ein fantastischer Anblick.

Ganz sicher bin ich nicht, aber es müsste der 5230 m hohe Vulkam Sangay in Ecuador sein. Er gilt als der aktivste Vulkan Südamerikas.

Ganz sicher bin ich nicht, aber es müsste der 5230 m hohe Vulkam Sangay in Ecuador sein. Er gilt als der aktivste Vulkan Südamerikas.

und noch so ein klassisch schöner Vulkan

und noch so ein klassisch schöner Vulkan

Dann wechselt die Farbe, die Berge liegen jetzt tiefer, die Gegend wird grün. Es gibt Wälder und Wiesen. Einzelne Häuser, Siedlungen, Äcker und langgezogene Gebäude. Wahrscheinlich riesige Hühnerfarmen. Die Illusion, dass die Menschen hier besser mit der Kreatur umgehen, kann man sich getrost abschminken. Die vielen Hühner, die hier gegessen werden und die Frühstückseier, die in Südamerika einfach dazu gehören, kommen in den seltensten Fällen aus tiergerechter Haltung. Auch wenn man morgens das Gefühl hat, dass alle Menschen hier Hühner halten. Jedenfalls gibt es kaum einen Ort in Südamerika (ausserhalb der Städte), wo man nicht von krähenden Hähnen geweckt wird.

Und dann liegt es unter mir: Medellin. Ein schöner Name, auch wenn damit sofort ein schaler Geschmack verbunden ist. Medellin, die Hochburg des Drogenhandels, eine der gefährlichsten Städte der Welt. Und mitten drin Pablo Escobar, der berüchtigte Drogenboss. Zu seiner Zeit hatte Medellin die höchste Mordrate der Welt - so hab ichs jedenfalls im Kopf.

Doch die Zeiten von Escobar sind längst vorbei. Vor knapp 30 Jahren wurde er erschossen. Seither soll sich Medellin verändert haben. Ich bin gespannt.

Kurz vor Anflug - Medellin

Kurz vor Anflug - Medellin

Geladet in Medellin mit Viva - VIVA!!!

Geladet in Medellin mit Viva - VIVA!!!

Die Migration nach der Landung ist dann ganz einfach. Ich zeige meinen Pass und den ausgedruckten Migrationsantrag. Der Beamte will wissen, wo ich untergebracht sei, doch bis ich endlich meine Adresse hervorgekramt habe, hat er mich bereits durchgewunken. Ich bin angekommen. Das war tatsächlich unerwartet einfach.

Nach der Gepäckabholung besorge ich mir am Bankautomaten erst einmal etwas Geld. 400'000 kolumbianische Pesos erhalte ich als Maximum. Das sind knapp 100 Franken. Bin mal gespannt, wie weit das reicht.

Der Taxifahrer jedenfalls will bereits 80'000 davon. Er bringt mich in die Stadt, der Flughafen ist ca 20 km ausserhalb der Stadt und die Fahrt führt durch einen langen Tunnel. Was mir sofort auffällt, sind die vielen Gärten, die vielen Bäume. Die Stadt scheint sehr grün zu sein. Auch als wir vor meiner Unterkunft anhalten, bin ich überrascht über die Vorgärten, die Bäume und Palmen, die vor den Häusern stehen.

Ich habe eine genaue Anweisung, wie ich in meine Wohnung komme. Code eingeben, dann kommt ein Schlüsselkasten, ein weiterer Code lässt ihn öffnen und dann stehe ich in meinem neuen zu Hause. Etwas überrascht bin ich schon, es gibt tatsächlich kein Fenster. Nur einen Luftschacht zur Strasse. Das wird wohl etwas gewöhnungsbedürftig sein. Dafür ist das WLAN fantastisch schnell, es gibt eine kleine Küchenzeile, Kühlschrank, Waschmaschine und ein grosses Bett. Ausserdem einen Schreibplatz. Alles in allem ganz akzeptabel. Für den Preis und den Umstand, dass ich es erst gestern definitiv bestätigt hatte, ist es annehmbar. Und die Umgebung scheint mir ruhig und sicher zu sein.

Doch für viele Überlegungen reicht es vorerst nicht, ich bin hundemüde, und schon sehr bald tief eingeschlafen. Immerhin als Schlafhöhle eignet sich diese Wohnung bestens.

In meiner Strasse

In meiner Strasse

Am Nachmittag raffe ich mich auf, will meine neue Umgebung erkunden. Noch habe ich kein Ziel, doch ich mag nicht ziellos spazieren, daher suche ich im Maps.me die Kathedrale. Die scheint es nicht zu geben, aber dafür schlägt mir mein Handy den Plaza Botero vor. Akzeptiert. Das sind knapp 5 km.

Überrascht stelle ich fest, dass es in meiner nächsten Umgebung einige Restaurants gibt, die durchwegs einladend wirken. Auch ein paar kleine Läden, in denen man Lebensmittel und Früchte kaufen kann. Das ist schon sehr gut, ich nehme mir vor, öfters selber zu kochen.

Ich komme bei einer grossen Kirche vorbei. Auffällig sind auch die vielen gelben Autos. Es sind Taxis, anscheinend sind alle Taxis in Medellin fröhlich-gelb.

Ich komme durch Wohnstrassen, später durch ein Gebiet mit Autowerkstätten und Pneuhändlern. Überall wird gearbeitet, obwohl doch heute Sonntag ist. Ich merke, wie ich mich beim fotografieren zurückhalte. Ich habe meine Unbeschwertheit verloren, sehe die Leute misstrauisch an. Die Obdachlosen, die unter einer Fussgängerbrücke lagern, über die ich die grosse Strassenkreuzung überquere.

Iglesia de San Joaquin

Iglesia de San Joaquin

Wie kommen die Schuhe in den Baum?

Wie kommen die Schuhe in den Baum?

Auf der Fussgängerüberführung komme ich ganz nahe an die Blüten des Tulpenbaumes. Jetzt kann ich den Blütenstand erkennen, an dem sich nach und nach die wunderschönen Blöten öffnen.

Auf der Fussgängerüberführung komme ich ganz nahe an die Blüten des Tulpenbaumes. Jetzt kann ich den Blütenstand erkennen, an dem sich nach und nach die wunderschönen Blöten öffnen.

Plaza Cisneros

Plaza Cisneros

Iglesia de la Santacruz  -  die Heiligkreuz-Kirche.

Iglesia de la Santacruz - die Heiligkreuz-Kirche.

Ich komme ganz gut voran, verlaufe mich zwar ein paarmal, aber am Schluss erreiche ich das Ziel. Den Botero-Platz, da wo die gewaltigen Figuren des wichtigsten kolubianischen Künstlers stehen. Diese wuchtigen Frauen und Männer mit ihren voluminösen Figuren. Sie sind zwar fast alle nackt, aber in keiner Weise sexistisch. Die Gesichter sind irgendwie zierlich. Jung.

"Nein", hat Botero einmal gesagt, "ich habe keine dicken Frauen gemacht. die Fülle ist eine Verherrlichung der Sinnlichkeit und des Lebens".

Ich setze mich in ein kleines Kaffee mit Blick auf den Platz, geniesse einen Cappuccino mit einer warmen Zimtschnecke und beobachte die Menschen. Viele Leute sind unterwegs. Sie scheinen entspannt, genau wie die Skulpturen. Entspannt mit viel Zeit. Sie sitzen auf den Bänken, auf den Mauern, unterhalten sich. Dort drüben ist ein Prediger unterwegs, hier vor mir sitzt ein Mann mit einem Blumenstrauss. Was er damit wohl noch vor hat?

Mobile Händler flanieren vorbei, verkaufen Sonnenbrillen, Handyhüllen, eisgekühlte Getränke. Die Bäume tragen wunderschöne Blüten. Frangipani. Medellin sei die Stadt des ewigen Frühlings habe ich gelesen. Ich bin ohne Jacke unterwegs. Das ist sehr angenehm nach der kalten Woche in Lima. Ich bin angekommen, in einen neuen Land, einer neuen Stadt.

Später komme ich zu einem kleinen Früchtemarkt und decke mich mit ersten Lebensmitteln ein: Kartoffeln, riesige Avocados, Mandarinen, Zwiebeln, Tomaten und eine Zapote. Ich bin bereits schwer beladen, als ich eines der gelben Taxis anhalte, das mich zurück zu meiner Wohnung bringt.

Dort besorge ich später noch einen Grundstock an anderen Lebensmitteln: Salz und Pfeffer, Essig und Oel, ein paar Eier, Butter und Yoghurt. Mal sehen, was sich daraus anfangen lässt.

Und dann ziehe ich mich in meine Wohnhöhle zurück.

Zapote - Sapote oder Mamay

Zapote - Sapote oder Mamay

faseriges Fleisch mit grossen Kernen, die wie bei den Mangos mit dem Fruchtfleisch verbunden sind. Geschmack könnte ebenfalls mit Mango verglichen werden. Fein.

faseriges Fleisch mit grossen Kernen, die wie bei den Mangos mit dem Fruchtfleisch verbunden sind. Geschmack könnte ebenfalls mit Mango verglichen werden. Fein.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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