Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Cartagena

Busfahrten sind immer langweilig. Wieder einmal sitze ich irgendwo hinter einem abgedunkelten Fenster in einer hinteren Reihe. Da kann man eigentlich nur abwarten, bis man ankommt. Und auch wenn die Fahrt diesmal entlang dem Meer führt, kann ich kaum etwas erkennen. Einzig die riesige Brücke über den Rio Magdalena, ausgangs Santa Marta nehme ich noch wahr. Ich liebe Brücken sowieso. Vor allem auffällige Konstruktionen.

Den Rest verbringe ich mit dem neuen Krimi von Silvia Götschi. Etzelpass ist erst vor zwei Wochen erschienen und vor ein paar Tagen konnte ich es herunterladen. Beste Unterhaltung also für die nächsten Stunden. Das Buch bringt mich wieder einmal in meine alte Heimat. Einsiedeln. Da ist mein Vater aufgewachsen. Und oft fuhren wir am Sonntag nach Einsiedeln. Das war noch zu einer Zeit wo man nicht über die Autobahn die schnellste Strecke wählte, sondern die schönste, denn es sollte ja ein Sonntagsausflug sein. So fuhren wir öfters über die Sattelegg und dann über die lange Brücke über den Sihlsee, die für mich schon damals jedesmal ein Erlebnis war, oder eben über den Etzelpass.

Ich folge der taffen Kommissarin Valérie Lehmann an die verschiedenen Tatorte in Einsiedeln und Umgebung auf der Suche nach dem Mörder. Dabei kann ich mene aktuelle Umgebung völlig ausschalten. Fast stört mich die kurze Pause, die der Bus nach gut zwei Stunden einhält. Ich will wissen, wer der Verbrecher ist, wo das Böse herkommt. Wie immer ist die Geschichte nicht gradlinieg. Immer wieder kommt eine neue Variante, ein anderer Aspekt ins Spiel, bis ich kurz vor Cartagena das Buch endgültig schliessen, als gelesen markieren kann. Ich weiss jetzt wer der Täter war und wer für die Schandtaten in den verschiedenen Kapellen verantwortlich war.

Es ist kurz nach sechs Uhr, als mich der Taxifahrer vor dem Dubai Hotel auslädt. Das Hotel wurde mir von Nubia, meiner Freundin in Bogota empfohlen. Nach meiner Krise in Santa Marta habe ich sie um Hilfe gebeten. Ich wollte ein grosses Hotel, in dem ich anonym bin. Möglichst hoch mit einem schönen Zimmr mit Fenster und Aussicht aufs Meer. Ausserdem mit einem Restaurant. Ich war durchaus bereit etwas mehr auszulegen, als für die günstigen Hotels, die ich bisher hatte.

Das Dubai ist genau das richtige Hotel. Hier brauche ich mich weder um heisses Wasser, noch um Internet oder Stromausfall zu kümmern. Ausserdem liegt mein Zimmer im 24. Stock und hat eine fantastische Aussicht auf beide Seiten des schmalen Gürtels, auf dem die Hochhäuser stehen. Einerseits hinaus auf das Meer, andererseits in die Bucht mit all den vielen Booten. Natürlich gibt es eine Klimaanlage und das Zimmer ist gross genug mit einer speziellen Leseliege beim Fenster und einem kleinen Schreibtisch. So dass ich mich auch tagsüber bequem im Zimmer aufhalten kann und nicht das Gefühl habe, am falschen Ort zu sein, draussen etwas zu verpassen.

Das schönste Zimmer, das ich auf dieser Reise je hatte. Junior-Suite im 24. Stock

Das schönste Zimmer, das ich auf dieser Reise je hatte. Junior-Suite im 24. Stock

Mein erster Gang führt hinauf zum 30. Stockwerk, wo ich atemlos vor der fantastischen Aussicht stehe. Einfach nur überwältigend. Natürlich wusste ich, dass Cartagena gross ist, aber so weltstadtmässig hatte ich es mir nicht vorgestellt. Beinahe eine Million Menschen leben hier. Cartagna hat den wichtigsten Hafen des Landes und eine eindrückliche Geschichte. Es war schon immer eine bedeutende Stadt.

Mit einer Pina Colada schliesse ich den heutigen Tag ab und freue mich auf die nächsten Tage. Nehme mir vor, nicht zu viel zu unternehmen, sondern einfach das Hotel und vor allem mein Zimmer zu geniessen. Vielleicht kommt sogar meine Schreiblust zurück. Die Voraussetzungen sind jedenfalls bestens.

Das Treppenhaus - 100 Meter tief bis hinunter zur Lobby.

Das Treppenhaus - 100 Meter tief bis hinunter zur Lobby.

Mein Hotel - die imposante Fassade, inspiriert von Dubai

Mein Hotel - die imposante Fassade, inspiriert von Dubai

Piña Colada in der Roof-Top-Bar auf dem 30. Stock

Piña Colada in der Roof-Top-Bar auf dem 30. Stock

Die Sicht aus meinem Zimmer, kurz vor Sonnenaufgang

Die Sicht aus meinem Zimmer, kurz vor Sonnenaufgang

Von der Dachterrasse

Von der Dachterrasse

Die Fenster sind riesig, die aufgehende Sonne weckt mich um sechs Uhr und kurz darauf stehe ich wieder auf dem Dach. Der rote Feuerball steigt über der Bucht von Cartagena auf und taucht die ganze Bucht in ihrer oranges Licht. Kurz darauf verschwindet die Sonne wieder hinter ein paar tief liegenden Wolken und genau das mache ich auch, schlüpfe wieder unter die Decke, lasse den Tag langsam kommen.

Auch nach dem Frühstück, das überraschenderweise aus einem Buffet besteht, stehe ich wieder ganz oben. Lasse die Aussicht auf mich wirken. Zum Glück bin ich schwindelfrei. Jedenfalls solange da ein Geländer oder die sichere Fensterscheibe ist. Mir vorzustellen, ohne jeden Halt hier zu stehen, lässt meine Knie allerdings bedenklich schlottern.

ganz vorne ist die Altstadt, mein Ziel heute

ganz vorne ist die Altstadt, mein Ziel heute

Irgendwann mache ich mich auf, meine Umgebung zu erkunden. Mein Ziel ist die Altstadt ganz vorne. Ich kann über den Dächern die Kuppel der Kathedrale sehen.

Mein Weg führt dem Meer entlang. Zuerst vorbei an den hohen Hotels auf der einen und den Stränden auf der anderen Seite. Überall gibt es kleine Strandbeizlein unter Palmen und Bäumen. Sie bieten Getränke, vor allem Fruchtdrinks an.

Es gibt eine gut ausgebaute Fussgängerpassage bis zur Festungsmauer. Cartagena ist von Festungen mit dicken Mauern umgeben, denn es musste sich schon immer gegen Piraten schützen.

Bald erreiche ich die Altstadt. Sie ist das typische Beispiel einer kolonialen Stadt. Mit ihren farbigen Fassaden mit den malerischen Balkonen. Ich spaziere planlos, laufe entlang den schmalen Strassen und dringe immer tiefer hinein in die alte Stadt. Hinter den wunderschönen Fassaden verstecken sich elegante Hotels, schöne Restaurants und viele Boutiquen. An einigen Orten kann ich schöne Innenhöfe erkennen. Es gibt Fassaden, die von wuchernden Pflanzen bedeckt sind, andere sind neu gestrichen und andere könnten wieder einmal etwas Farbe ertragen Aber alles macht einen ungemein gepflegten und sauberen Eindruck.

Die Kathedrale ist geschlossen, aber sie ist riesig. Ich komme gar nicht mehr aus dem Staunen, die Stadt ist wunderschön. Was mir vor allem gefällt, sind die satten warmen Farben. Natürlich muss ich auf alle Seiten fotografieren. Zwischen den langen Häuserreihen liegen kleine Parks mit hohen Palmen und dichten Bäumen, Statuen und lauschigen Plätzchen. Auf anderen Plätzen gibt es Tische und Stühle mit Cafés und Restaurants.

Irgendwo treffe ich auf eine Bekannte. Eine der grossen Frauenfiguren von Francisco Botero räkelt sich auf der Plaza Santa Domingo. Später habe ich gelesen, dass man ihre Brüste berühren müsste, dann hätte man Glück in der Liebe. Hätte ich das doch früher gewusst. Bin aber nicht sicher, ob ich mich getraut hätte.

Die Kirche, die dem Platz den Namen gibt, ist geöffnet. Es ist ein hoher behäbiger Raum mit breiten runden Bogen und schweren dicken Säulen.

Kirche Santo Domingo

Kirche Santo Domingo

Hotel und Restaurant Casa la Factoria

Hotel und Restaurant Casa la Factoria

Ganz in der Nähe finde ich ein wunderschönes Restaurant, das mich unwillkürlich anzieht. Es gehört zu einem Boutique Hotel und scheint eines der besten zu sein. Jedenfalls ist schon die Begrüssung äusserst herzlich und die Tische sind aufgedeckt mit Sets, Besteck und Gläsern. Das sieht man hier kaum. Die Bedienung ist zuvorkommend. Ich bestelle einen Fruchtsaft aus Coroza. Das ist eine rote karibische Frucht, ähnlich unseren Kirschen. Dazu ein paar Crevetten mit Reis. Genau das richtige hier, schliesslich bin ich am Meer.

Zwar habe ich im Dubai all inclusive gebucht, das heisst, das Nachtessen wäre dabei, aber ich habe gestern Abend schnell gemerkt, dass ich auf diese Buffet-Abfertigung auch gut mal verzichten kann. Wäre echt schade gewesen, ich hätte dieses feine Restaurant in der Stadt verpasst und mich stattdessen ans lieblose Buffet gemacht. Das kann ich morgen machen, wenn ich nicht ausgehen will.

Nach dem Essen bummle ich noch etwas weiter und sehe, dass jetzt Kutschen mit Pferden unterwegs sind. Ich nehme mir vor, noch einmal herzukommen für eine Kutschenfahrt durch die Stadt, doch jetzt suche ich ein Taxi.

Die bunt gekleideten Frauen, die an einer Ecke stehen fotografiere ich, doch ich merke schnell, dass das keine gute Idee war. Jedenfalls kommt eine auf mich zugeschossen, will eine Propina. Ich kann sie zwar verstehen, doch tatsächlich habe ich keine einzige Note und auch kein Kleingeld mehr bei mir, hab alles bereits einem Bettler gegeben. Sie läuft mir noch eine Weile schimpend hinterher doch als ich ihr mein leeres Portemonaie zeige, sagt sie mir, wo ich einen Geldautomaten finde und kehrt zu ihren Kolleginnen zurück. Bereit, für den nächsten Touristen zu posieren.

Die Frauen verdienen ihr Geld als farbige Fotosujets.

Die Frauen verdienen ihr Geld als farbige Fotosujets.

Bei der Plaza de la Duana, dem Zollhausplatz finde ich dann tatsächlich ein paar Banken und hier stehen auch die Pferdekutschen, warten auf Gäste.

Ich erkläre dem jungen Mann, der mir eine Fahrt verkaufen will, dass ich gern an einem anderen Tag zurück komme, doch im Moment suche ich ein Taxi, das mich zurück zum Hotel bringt. Und tatsächlich, er rennt zur Strasse neben dem Platz und bringt mir ein Taxi zurück. Dass er dafür auch eine Propina will, kann ich verstehen, aber leider hat der Bankautomat keine kleinen Beträge ausgespuckt. No pasa nada, meint er lachend und spricht den nächsten Passanten an, fragt ob er eine Fahrt mit der Pferdekutsche machen will. Dafür hat ihm der Taxifahrer diskret etwas die Hand geschoben.

Hotel Cartagena Dubai

Hotel Cartagena Dubai

Auf der Fahrt zum Hotel komme ich wie meistens mit meinem Taxifahrer ins Gespräch. Ich möchte wissen, was ich mir in Cartagena unbedingt ansehen sollte und er empfiehlt sich für eine Fahrt morgen. Vor allem der Aussichtspunkt hoch über der Stadt interessiert mich natürlich und so vereinbaren wir, dass er mich morgen Vormittag abholt.

Puntual, verspricht er mir, er werde pünktlich sein. Juan Carlos heisst er und er meint, dass ich keine Angst haben müsse, er hätte Kinder und Enkel. Als ob ich schon mal Angst gehabt hätte vor einem Taxifahrer.

Juan Carlos

Juan Carlos

Bevor ich mich ins Zimmer zurückziehe, bleibe ich noch einen Moment am Strand, wo grad die Sonne untergeht. Dann sehe ich mich noch kurz am Hotelpool um, der im 3. Stock über dem Eingang liegt. Auch auf dem Dach mache ich noch einen Besuch, doch eigentlich habe ich die gesamte faszinierende Aussicht auch in meinem Zimmer. Ich bin noch immer völlig begeistert.

Hotelpool im 3. Stock

Hotelpool im 3. Stock

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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