Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Bargeld

"Como estas?" Paula fragt am Morgen, wie es mir geht. "Ich bin auf dem Weg zum WU, wie jeden Morgen, aber tatsächlich habe ich wenig Hoffunng," schreibe ich zurück.

"Wir könnten nach Rio Grande fahren, vielleicht arbeitet Western Union dort", schlägt sie vor. Doch Rio Grande, die zweitgrösste Stadt auf Feuerland, ist weit. 200 km eine Fahrt. "Nur, wenn es ganz sicher ist, dass ich da mein Ged bekomme", wende ich ein und sie verspricht, erst einmal anzurufen.

Es ist noch immer die gleiche Situation, beim Carrofour ist der Schalter geschlossen, keine Information. Bei der Post stehe ich diesmal gar nicht an, gehe gleich die Treppe hoch, wo mich der Beamte, der die Tür bewacht zuerst abweist.

"Ich brauche unbedingt Geld, bin seit bald einer Woche hier, kann meine Unterkunft nicht bezahlen", jammere ich. Er verweist mich an seinen Kollegen womit ich jetzt immerhin schon mal im Schalterraum stehe.

"Das System arbeitet nicht. Das komplette System ist ausgefallen", erklärt mir der Angestellte hinter dem Schalter. "Aber in Buenos Aires arbeitet WU ganz normal", wende ich ein, "ich habe heute Morgen mit dem Büro dort Kontakt aufgenommen". Was auch tatsächlich stimmt, denn der nette Angestellte dort hatte mir eine WhatsApp Nummer mitgegeben. Für den Notfall. Der Notfall ist jetzt eingetroffen, in Buenos Aires wird Geld ausbezahlt. Das hat mich vorübergehend beruhigt, denn ich hatte schon Angst, das komplette Finanzkonstrukstrukt von Argenntinien sei unmittelbar am Zusammenbrechen.

"Ja, das mag sein", meint der Mann hinter dem Schalter, "aber Buenos Aires ist Buenos Aires, hier ist Feuerland.". Und dann will er trotzdem meinen Code wissen und sieht, wieviel ich ausbezahlt haben möchte. "Das ist viel zu viel Senora, soviel können wir nicht aufs Mal auszahlen. Wenn sie das in drei Tranchen aufteilen, dann könnte es vielleicht gehen. Es ist so, dass wir hier einfach kein Geld haben um auszuzahlen".

Das ist nun immerhin eine Information, mit der ich etwas anfangen kann. Ich bedanke mich überschwänglich. Bedanke mich, weil er tatsächlich die erste Person ist, die mir das Problem erklärt.

Also rufe ich meine Schwester an. Sie ist zum Glück grad am Computer und 10 Minuten später habe ich einen neuen Code, mit dem ich 150 Franken beziehen möchte. Ich soll mich bei der Dame am Schalter anstellen, meint der Beamte jetzt, doch die Dame behauptet erneut, das System sei zusammengebrochen. Also zurück zum ersten Schalter und jetzt muss der Mann etwas tun. Er hat vorhin meinen Dank entgegen genommen, hat mir versprochen, dass es mit dem kleineren Betrag funktioniert. Und tatsächlich, ein dritter Schalter wird geöffnet, hinter dem ein junger kompetenter Mann Platz nimmt, und jetzt funktioniert es, er zahlt mir den Gegenwert von 150 Franken aus.

Und noch besser, ich bekomme das Versprechen, dass ich am Montag noch einmal 150 Franken abholen kann. "Hasta lunes", sagt der Mann hinter dem Schalter, "hasta lunes", sagt der hinter dem ersten Schalter und "hasta lunes" sagt der Kontrolleur an der Türe. Alle wissen es jetzt, am Montag komme ich noch einmal vorbei und es wird klappen. Hoffe ich jedenfalls.

Mein Problem ist noch nicht komplett gelöst, aber immerhin kann ich jetzt Paula den grössten Teil für das Zimmer zahlen und habe trotzdem noch etwas für die nächsten Tage übrig. Für einen Weiterflug brauche ich allerdings noch einmal etwas Geld, aber das klappt ja vielleicht am Montag.

Beschwingt gehe ich zu Tante Sara. Das ist das Restaurant, das ein grandioses Frühstück anbietet mit Yoghurt, Fruchtsalat, frischem Brot mit Creme und Erdbeerkonfitüre und ein weiches Ei. Und alles so günstig, dass ich es mir bereits vor ein paar Tagen schon einmal geleistet habe.

Paula hat sich inzwischen auch wieder gemeldet. Im WU-Büro in Rio Grande beantwortet niemand den Telefonanruf.

Tischset bei Tante Sara
Wir sind Patagonier
Wir geniessen einen guten Kaffee mit einem guten Gespräch
Wir lieben unsere Landschaft und schützen unseren Ort

Tischset bei Tante Sara
Wir sind Patagonier
Wir geniessen einen guten Kaffee mit einem guten Gespräch
Wir lieben unsere Landschaft und schützen unseren Ort

Ein fürstliches Frühstück

Ein fürstliches Frühstück

Danach lasse ich mich treiben, nein euphorisch bin ich nicht der Druck ist noch nicht ganz weg, aber für den Moment merke ich, wie angespannt ich in den letzten Tagen war. Ich bin müde. Extrem müde. Bummle noch ein wenig durch die Hauptstrasse, entdecke ein Museum mit verschiedenen Figuren, die aus den Fenstern gucken, doch es ist noch nicht offen. Öffnet erst am Nachmittag. Ist mir eigentlich grad recht, ich bin gar nicht mehr aufnahmefähig, will nur noch schlafen, oder nichts tun, oder auf dem Handy gamen, einfach jetzt nichts kompliziertes mehr denken. Ein paar Fotos entstehen so nebenbei, auch in die Kirche, in der grad eine Messe stattfindet, gehe ich noch im Vorbeigehen, dann bringt mich ein Taxi nach Hause.

Vorher komme ich noch beim Büro mit den Ausflügen vorbei. Ich buche einen Ausflug für den Sonntag. Damit habe ich für heute Feierabend.

Erst am Abend komme ich noch einmal in die Stadt. Zum Nachtessen im Isabell. Da wo es schon zur Begrüssung ein ganzes frisch bebackenes Brot gibt. Ich bestelle ein Rindsfilet, das wunderbar auf den Punkt gebraten ist und dazu eine Glas Weisswein. Und ich merke, wie mich das grad wieder umhaut. Ich bin einfach zu müde. Auch heute lasse ich mich von einem Taxi nach Hause fahren. Gekommen bin ich zu Fuss, denn den Berg hinunter schaffe ich gut.

Ob ich das Brot mitnehmen könne, frage ich, bevor ich das Lokal verlasse. Aber selbstverständlich, meint die nette Bedienung und kommt gleich mit einem Papiersack, wo sie das Brot einpackt. Das wird morgen mein Frühstück sein.

Restaurante Isabel, im Hafen von Ushuaia

Restaurante Isabel, im Hafen von Ushuaia

Auch den nächsten Tag, den Samstag verbringe ich in dieser Zwischenwelt. Möchte die Sorgen wegschieben, aber es gelingt mir nicht ganz. Ich verbringe die meiste Zeit im Zimmer, gehe nur zum Nachtessen ins Dorf. Zum Frühstück gibt es das Brot vom gestrigen Abend. Mit Wasser. Wasser und Brot. Naja, verhungert bin ich dabei nicht.

Schreiben übrigens, schreiben kann ich kein Wort, kein Satz will sich bilden. Solange das Problem wie ein Damoklesschwert über mir schwebt, ist überhaupt nichts möglich. Wenn es gelöst ist, werde ich ziemlich viel aufarbeiten müssen.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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