Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Botanischer Garten

Mein Hotel

Mein Hotel

Nachdem ich den Vormittag auf der Terrasse mit Schreiben verbracht habe, bin ich am Nachmittag zielgerichtet unterwegs. Ich will in den botanischen Garten.

Vorher besuche ich noch einmal den San Antonio-Park, der ganz in der Nähe ist und wo ich gestern den verwundeten Botero-Vogel entdeckt habe. Heute finde ich da ein paar Menschen am Boden. Schlafend. Ich will mich nicht an diese Sicht gewöhnen, darum muss ich sie fotografieren, will mich diese Seite der Stadt nicht vergessen lassen.

Am Brunnen wäscht sich grad eine junge Frau das Gesicht. Ich hab auch schon jemand gesehen, der sich in einem Brunnen komplett gewaschen hat. Wie furchtbar muss es sein, dieses Leben auf der Strasse. Wie lange geht es, bis man seine Würde verliert, nur noch ein Bündel Mensch ist, auf der Suche nach etwas Essbarem, auf der Suche nach ein paar Peseten.

Über ein paar Stufen ereiche ich die Kirche San Antonio. Sie ist sehr gross, hat eine hohe runde Kuppel, die ich vom Restaurant aus sehen kann. Der Innenraum ist mit seinen hohen Bogen und der markanten Farbgestaltung sehr attraktiv. Das Speziellste in dieser Kirche finde ich aber die strickende Maria bei einem der Seitenaltare.

Und dass oben auf der Empore eine Orgel steht, ist auch eher eine Seltenheit hier in Südamerika.

Die strickende Maria

Die strickende Maria

Danach mache ich mich auf den Weg. Richtung Norden. Dabei komme ich wieder einmal durch die verschiedensten Quartiere. Ich versuche die überfüllten Strassenmärkte rund um das Zentrum der Stadt zu umgehen, komme dafür durch Strassen voller Ferreterias, das sind Werkzeug-Laden. Wie in vielen Grosstädten sind hier die Geschäfte mit dem gleichen Angebot nebeneinander. Eine Ferreteria neben der andern. Anders beschriftet, anders gestaltet, aber wahrscheinlich mit dem gleichen Material.

Danach komme ich durch das Biker-Quartier. Auffällig ist zuerst ein grosser Platz, auf dem jede Menge Motorräder stehen, die alle repariert werden. Anschliessend kommen Motorradwerkstätten, Zubehör-Verkaufer, Helme, Bekleidung, alles was das Bikerherz begeht. Es hört überhaupt nicht mehr auf mit den Biker-Shops.

Und nach den schweren Motorrädern kommen die Mofas und dann die Fahrräder und die Kinderräder bis zu den kleinsten Dreirädern. Unglaublich, dieses Riesenangebot. Und alles in der gleichen Ecke, das heisst, es sind einige Blocks mit Bikerläden. Bikerland steht gross irgendwo angeschrieben.

Dazwischen gibt es kleine Imbisstände und einfache Hotels. Aber eigentlich gibt es hier in der ganzen Strasse nur Motorräder und alles was man dazu braucht.

Zwischendrin muss ich mich wieder mal auf dem Stadtplan orientieren und noch einmal die Richtung wechseln, aber am Schluss stehe ich tatsächlich vor dem botanischen Garten.

Mein erster Gang geht ins Mariposario. Diesmal erkläre ich der jungen Frau, die die Führungen macht, dass ich bereits zum dritten Mal hier und eigentlich nur zum Fotografieren gekommen sei. Ich möchte daher nicht mit der Gruppe ihren Erklärungen folgen. Zum Glück akzeptiert sie das, vielleicht erinnert sie sich an mich, denn ich wollte letztes Mal die Voliere fast nicht mehr verlassen. Der Eintritt ist sehr limitiert. Jede halbe Stunde darf eine Gruppe geschlossen hinein gehen und muss dann als Gruppe den Wegen entlang gehen, bis die Frau ihre Erklärungen abgechlossen hat. Und dann ist auch schon fast wieder der Zeitpunkt zum gehen.

Diesmal mache ich mich allein auf die Pirsch. Leider ist es sehr heiss, da fliegen die Schmetterlinge und verweilen nie lange auf den Blüten. Hätte eben früher am Vormittag kommen sollen, eigentlich müsste ich es wissen. Doch ein paar Aufnahmen gelingen mir dann doch.

Nach den Schmetterlingen gehe ich zum kleinen Weiher. Es ist schön, sich bereits auszukennen. Beim ersten Mal musste ich alles zwischen den Bücherständen suchen, fast hätte ich damals den Weiher verpasst. Heute blühen die vielen Seerosen auf dem Wasser. Es sind nicht viele Besucher da, es ist ruhig. Ich setze mich auf eine Bank und da kommt auch tatsächlich schon bald ein Leguan angekrochen. Ich bin fasziniert, schaue ihm lange zu, wie er langsam über das Laub kriecht, mit seinen grossen Zehen manchmal etwas Essbares hervorkratzt und wieder lange stehen bleibt. Seinen Kopf nach allen Seiten hebt so dass man seinen grossen Halslappen sieht.

Und dann raschelt es kurz im riesigen Gummibaum und da kommt ein anderer herunter. Schlingt seinen langen Schwanz um einen Ast und plumpst auf den Boden.

Ich bleibe einfach sitzen, schaue und staune, während andere Leute kurz stehen bleiben, Selfies machen, auf dem man auch einen der Leguane sieht und dann weiter gehen.

Die wunderschöne Kulisse mit den vielen riesigen Pflanzen zieht natürlich auch wieder die Fotografen an. Und mit ihnen die 15-jährigen Mädchen. Gleich drei verschiedenen Gruppen bin ich begegnet. Wobei vor allem die beiden in ihren weissen Hochzeitskleidern jünger als 15 aussahen, wohingegen die junge Dame im apricot-Kleid schon eher älter aussah und auch entsprechend geschminkt war. Sie ist mit den Eltern da, ihre Mutter trägt ein langes Kleid in der gleichen Farbe. Fotografiert wird sie wahrscheinlich von ihrem Bruder.

Ich beobachte die Leute, versuche diskret auch ein paar Fotos zu ergattern, weiss aber, dass das nicht so gern gesehen wird. Manchmal frage ich und bekomme sogar ein stolzes 'con gusto', manchmal schickt man mich gleich weg, wenn ich mein Handy zum fotografieren in Stellung bringe.

Und dann stöckeln sie weiter, die jungen Bräute, die ihr Fest diesmal noch ohne Bräutigam feiern mit ihren stolzen Müttern im Schlepptau.

Abgesehen von den fliegenden Blumen, wie ich die Schmetterlinge gerne bezeichne und den jungen Mädchen, gibt es heute kaum Blumen im Garten. Allerdings ist der zentrale Bereich heute gesperrt. Eine private Veranstaltung, es werden Tische und Stühle aufgestellt. Und dabei hätte es dort ein paar Orchideen. Das Vivarium mit den Orchideen mit dem der botanische Garten immer wirbt, ist ebenfalls noch immer geschlossen. Es scheint, dass dieses Gebäude komplett umgestaltet wird.

Im Vivarium, wo man Pflanzen kaufen kann, werde ich dann aber trotzdem noch fündig. Aber die Blumenausbeute ist im Moment sehr klein. Es scheint nicht die Zeit der Blumen zu sein. Das bestätigt mir auch der nette Verkäufer, den ich nach Blumen frage. Er will dafür wissen, woher ich komme und als ich sage, aus der Schweiz, will er wissen, wie es denn dort zur Zeit aussähe, ob dort jetzt auch Sommer wäre. Ich zeige dann immer ein paar Statusfotos meiner Freunde, die im Moment tief verschneite Landschaften und Berge zeigen.

Dann staunen die Leute, finden, dass die Schweiz wunderschön sei. Wenn ich aber sage, dass die Temperaturen im Moment um den Nullpunkt sind, möchte keiner tauschen. Hier steigt das Thermometer jeden Tag bis knapp 30 Grad. Gerade richtig für mich, mehr ist mir zu heiss.

Im Restaurant des Gartens lasse ich mir eine Limonada de Coco servieren. Ich liebe diesen Drink. Auch wenn er ziemlich nahrhaft ist. Sein Geschmack ist fantastisch. Noch nie habe ich den in anderen Ländern bekommen.

Er wird mit viel Eis, grünen Limonen, etwas Zucker, Kokosmilch und vielen Kokosraspeln, hier natürlich von frischen Kokosnüssen, gemacht.

Unter Limonada de Coco findet man verschiedene Rezepte, falls sich jemand näher dafür interessiert.

Dazu gibt es für mich heute eine Portion Pasta.

Den Kaffee trinke ich auf dem Rückweg im meinem Lieblingscafe auf dem Boteroplatz. Hier, in dem kleinen Cafe neben dem Museum kann ich perfekt den Platz überblicken und muss nicht dauernd aufpassen, dass mir jemand mein Handy stielt, wenn ich es neben mich auf den Tisch lege.

Von hier sehe ich denn auch die kleine Gruppe, die unter den Bäumen tanzt. Es sind junge Frauen, aber sie sehen wie Mädchen aus. Sie haben zum Teil kleine Kinder auf dem Rücken und sie tanzen einen eigenrtigen Reigen. Zu einer Musik aus einer schwarzen Box. Sie scheinen mir völlig unbeteiligt, kein Lächeln, keine Freude, sie tanzen völlig emotionslos.

Nachdem die Musik verstummt und ich etwas Geld in ihr Körbchen gelegt habe, frage ich eine der Frauen, woher sie komme. Sie scheint mich nicht zu verstehen, sieht mich fragend an und wendet sich ab. Sie kommen wie aus einer anderen Welt. Ihre Kleider sind sehr speziell, die Röcke ganz fein plissiert. und farbig. Ich muss annehmen, dass sie zu einer indigenen Gruppe gehören. Vor allem in Bogota habe ich gehört, dass sie zur Zeit für ihre Rechte kämpfen. Ein Taxifahrer hatte mir erzählt, dass sie in einem der grossen Parks wohnen und demonstrieren. Vor allem wehren sie sich gegen Familienplanung, verbieten sich jede Einmischung in ihr eigen bestimmtes Leben. Es ist das erste Mal, dass ich indigene hier in Kolumbien tatsächlich sehe.

Eine Kommunikation ist nicht möglich, sie wehren sich nicht nur gegen das organisierte Leben, sie bestehen zu Recht auch auf ihrer eigenen Sprache. Die Mädchen scheinen jedenfalls gar nichts zu verstehen.

Kerzenverkauf.

Kerzenverkauf.

Auf dem Heimweg fallen mir plötzlich neue Verkaufssstände auf. "Velas, velas, velas!" werden von den Verkäufern ausgerufen. Kerzen sind es. Eigentlich verkauft man hier Kerzen nur vor Kirchen, jetzt werden sie überall zu Hunderten, ja Tausenden verkauft. Zusammen mit kleinen Laternen aus Karton mit weihnachtslichen Motiven.

Was es damit auf sich hat, frage ich einen der Verkäufer. Sie werden am 24. angezündet und vor den Fenstern und auf Balkonen aufgestellt. Nicht einzeln sondern in ganzen Linien. So dass in allen Strassen die Fenster und Balkone romantisch beleuchtet sind. So sieht also Weihnachtsbeleuchtung in Kolumbien aus. Schade, dass ich an Weihnachten nicht mehr hier bin.

zurück im Hotel will ich eigentlich nur noch ausruhen nach meinen langen Spaziergängen. Lasse das Wasser ein und geniesse meinen privaten Jaccuzzi.

Doch kaum liege ich danach auf dem Bett, überlege, ob ich noch einen Tatort-Krimi suchen soll, als mir die Musik auffällt. Es ertönt ja immer von irgendwo Musik, doch heute scheint es etwas anderes zu sein. Also raffe ich mich noch einmal auf und gehe hinauf zum Dachrestaurant. Und tatsächlich, hier ist heute ein DJ am Werk. Samba und Salsa legt er auf und als kurz darauf eine ganze Gruppe auftaucht, fangen die Leute sogar an, zu tanzen.

Es ist wieder einer dieser wunderbaren warmen Abende mit der Stadt vor den Augen und einem schaukelnden Halbmond am Himmel.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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