Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Tren a las Nubes

Ich hab nicht wirklich gut geschlafen diese Nacht. Einerseits war da die Angst, dass ich am Morgen nicht frühzeitig aufwachen würde, die mich unnötigerweise wach gehalten hat. Das ist selbstverständlich völliger Blödsinn, denn ich habe meinen Handywecker für Viertel vor und Viertel nach fünf Uhr gestellt und ausserdem hat der Boy von der Rezeption um halb sechs an meine Zimmertüre geklopft. Wenn man da verschlafen würde, müsste man schon im narkotischen Tiefschlaf liegen.

Andererseits habe ich zum ersten Mal einen Riesenrespekt vor der Höhe. Auch das ist eigentlich völlig überflüssig, denn da ich mich für den Ausflug entschieden hatte, war da eh nichts mehr zu machen. Doch so Ängste sind eben nicht erklärbar und letztlich sinnlos. Jedenfalls bin ich kurz vor sechs auf der Strasse und halte ein Taxi an.

Besammlung beim Bahnhof von Salta. Früher war der Wolkenzug bis hierher gefahren. Früher, als er noch nicht für die Touristen bestimmt war, sondern Kupfer und Erze aus den Minen in den Anden in die Stadt brachte oder einmal in der Woche die Verbindung zum chilenischen Antofagasta sicherstellte.

Vier grosse Busse stehen bereit. Man meldet sich am Bahnschalter, vorher wird aber die Temperatur gemessen und ausserdem will man wieder einmal das Impfzertifikat und den Pass sehen. Am Schalter gibt es dann das Ticket für den Bus. Ich habe Glück. Mein Platz ist im letzten Bus. Oben, ganz vorne rechts. Mit der allerbesten Aussicht.

Vor mir liegt eine lange Busfahrt, doch George, der Guia verspricht, dass es verschiedene Halte gibt.

Zuerst erklärt er die Organisation. Wir fahren im Konvoi und in jedem Bus gibt es eine Krankenschwester, falls jemand Probleme mit dem Gesundheit bekommen sollte. Insbesonders wenn es in der Höhe Atemprobleme gäbe, steht Sauerstoff zur Verfügung. Ausserdem werden wir von einem Sanitätsauto und einem Pannenwagen begleitet. Das scheint ein grösseres Abenteuer zu werden.

Wir verlassen die Stadt in südlicher Richtung und bleiben kurz auf einer Autobahn. Kurz nach dem Verlassen der breiten Strasse kommen wir zu einem kleinen Ort wo es am Bahnhof einen kurzen Halt gibt. Hier gibt es Baños und an improvisierten Tischen wird heisser Mate-Tee verkauft. Er soll gegen die Höhenkrankheit helfen.

Natürlich gibt es hier auch die Mateblätter, die man in der Höhe kauen soll, zusammen mit etwas getrockneter Asche, die die Wirkstoffe erst richtig löst. Ausserdem Mate-Bonbon. Die habe ich beim Bahnhof in Salta einem blinden Verkäufer abgekauft und bin bereits eifrig am Lutschen. Ich hoffe, dass sie nicht nur gegen die Höhe helfen, sondern auch meinen trockenen Hustenreiz, der mich seit ein paar Tagen plagt, eindämmt. In diesen Zeiten ist es äusserst unangenehm, wenn man irgendwo hustet.

Mate con Cedron - Mate mit Zitronenverbene
Cafe con leche - Milchkaffee - Tee

Mate con Cedron - Mate mit Zitronenverbene
Cafe con leche - Milchkaffee - Tee

Bald geht es weiter, wir haben die Autobahn verlassen und folgen jetzt dem Fluss Rosario. Quebrada Rosario heisst die Gegend, die Schlucht des Rosario. In breiten Windungen braucht der Fluss die ganze Breite des Tales, doch zur Zeit führt er nur in einem schmales Rinnsal Wasser. Doch das Flussbett ist grün. Die Strasse ist sehr gut ausgebaut, wir fahren jetzt in die Höhe.

Der nächste Halt ist ein Viadukt, wo der Zug die Strasse und das Flussbett überquert. Es ist eindrücklich, darum legen wir auch hier wieder einen kurzen Fotohalt ein. Es geht eindeutig in die Berge, es wird etwas kühler und natürlich stehen hier die einheimischen Frauen, die ihre gestrickten Mützen und Ponchos verkaufen. Es sind wunderschöne Sachen und es wird auch tatsächlich das eine oder andere gekauft. Jedenfalls kommt der junge Braslilianer, der neben mir sitzt, mit einem dicken Pullover zurück.

Ausblick aus dem Auto.

Ausblick aus dem Auto.

Das Pannenfahrzeug, das uns begleitet

Das Pannenfahrzeug, das uns begleitet

ein weiteres Begleitfahrzeug: das Sanitätsauto.

ein weiteres Begleitfahrzeug: das Sanitätsauto.

Die Gegend bleibt grün. Bis weit hinauf wächst niedriges Gebüsch und Gras und immer mehr wird das Gelände von hohen Kaktussen gepragt. Es sind diese typischen Kandelaber-Kaktusse, die an den Hängen wachsen. Beim nächsten Halt verkaufen die Frauen und Mädchen Handarbeiten aus den Kaktussen. Es sind sehr schöne Blumentöpfe, in die sie kleine Kaktusse gepflanzt haben.

Hier haben wir angehalten, weil die Farben der Felsen so vielfältig sind. Die Hänge scheinen aufgebrochen, es gibt rote, gelbe, dunkle und helle Stellen, und viele Spuren von längst ausgetrockneten Wasserläufen an den Hängen. Im trockenen Flussbett schüttelt der Wind durch hohe Gräser. Eine fantastische Gegend. Wild und ungebändigt. Einzig die Strasse und der Schienenstrang kämpft sich durch das Tal. Irgendwo müssen wohl auch ein paar Häuser stehen, sehen kann man aber kein Dorf.

Auf die nächsten Viadukte macht uns der Guia George während der Fahrt aufmerksam. Beim langen Viadukt, das am Hang zu erkennen ist, erzählt er von den Bauarbeiten. Hier gab es während des Baus ein grosses Unglück, 30 Arbeiter mussten hier ihr Leben lassen.

Die Idee für diesen Zug geht auf das Jahr 1889 zurück, doch dauerte es lange bis, der Bau in Angriff genommen werden konnte. Zu schwierig war das Gelände, zu hoch die Höhenunterschiede durch die Schluchten der Anden. Lange Zeit war man sich über die Streckenführung nicht einig, Es gab verschiedene Studien und Anläufe, bis endlich im Jahr 1948 die Strecke eingeweiht werden konnte. Knapp 60 Jahre nach den ersten Ideen dazu. Die ganze Strecke umfasste damals 554 km von der chilenischen Grenze bis hinunter nach Salta. Die Züge waren Warentranporte und sollten die Ausbeute der wichtigen Kupfer- und Silberminen transportieren.
29 Brücken, 21 Tunnels und 13 Viadukte sollen es auf der gesamten Strecke sein.

Unser nächster Halt liegt auf 3300 m. Alfarcito ist ein winziges Dorf, das an der Strasse liegt. HIer gibt es ein kleines Frühstück. Gegen Vorweisung unseres Bustickets erhalten wir an einem der drei Tische einen Tee oder Kaffe. In einem Papiersack gibt es dazu etwas süsses Gebäck.

Ausserdem gibt es ein kleines Museum und man kann die Kirche besuchen. Beim Seitenaltar entdecke ich das blauweisse Trickot mit der Nummer 10. Unglaublich, hier hat es Maradona wohl bereits zum Heiligen gebracht.

Vor dem Restaurant sitzen zwei alte Männer, auf dem Parkplatz stehen ein paar Autos, ansonsten ist in dem Dorf nichts los. Die Besucher des Wolkenzuges, die dreimal die Woche hier anhalten, bringen bestimmt den grössten Umsatz in das Dorf. Es gibt einen Pferch, wo man ein Lama sehen kann, Ein paar Kaktusse wachsen in einem Rondell auf dem Platz, der Infostand ist aus Plastikflaschen aufgebaut. Es ist touristisch, aber nicht übertrieben. Grad soviel, dass die Leute etwas davon profitieren. Aber sie stehen nicht als lebende Fotosujets herum. Offerieren ihr Gebäck und ihren Tee und haben den Rest des Tages, wenn die vier Busse wieder weiter gefahren sind, ihre Ruhe.

30 Schüler sollen noch die lokalen Schule besuchen.

Wenn ich bisher das Gefühl hatte, in den Bergen zu sein, so fängt das Gebirge erst jetzt richtig an. Immer neue Berge kommen hinter den Kurven zum Vorschein. Das Gelände ist jetzt fast nur noch Geröll, die grünen Stellen werden immer weniger.

Manchmal gibt es auf dem Flussgrund grüne Flächen, noch immer dominieren Kaktusse die Gegend und die hohen weissen Gräser, doch zunehmend wird es jetzt rauer. Staubiger. Steiniger.

Und die immer neu auftauchenden Berge haben jetzt Schneefelder an ihren Flanken. Es ist Mittag, wir nähern uns unserem Ziel. Wir erreichen das höchst gelegene Dorf Argentiniens, San Antonio de los Cabres auf 3790 m.

Hier verlassen wir den Bus. Noch schient die Sonne, aber es weht ein kalter Wind über die Ebene. Wir stehen am Bahnhof, Das Dorf scheint im grauen Staub zu verschwinden.

Der Zug steht bereit. Ab hier fährt der Zug, der heute die wichtigste Touristenattraktion von Salta ist. Steigt noch einmal ein paar hundert Meter höher.

Und wie geht es mir? Entgegen allen Ängsten habe ich überhaupt keine Mühe mit dem atmen. Also alle Befürchtungen für nichts. Das bestätigt mir wieder einmal, dass ich mir tatsächlich nicht zu viele Sorgen machen sollte, dass ich weiterhin so unbeschwert reisen kann. Schwierigkeiten gehören selbstverständlich zum Reisen dazu, doch sie werden gelöst, wenn sie auftauchen. Jedenfalls spüre ich jetzt, wo ich mich etwas genauer darauf achte, höchstens ein leichtes Kopfweh. Doch irgendetwas werde ich doch wohl spüren müssen.

Bahnstation von San Antonio de las Cabres.

Bahnstation von San Antonio de las Cabres.

Das Umsteigen erfolgt ruhig und nach Plan. Man will kein Risiko eingehen, dass sich die Leute zu sehr mischen und ihre Plätze suchen. Leider habe ich den Platz auf der rechten Seite in Fahrtrichtung, ich merke bald, dass die linke interessanter wäre, denn sie gibt den Blick ins Tal frei, während die rechte Ausicht auf den Hang hat.

Links würde man jetzt die alten Thermalbäder sehen. Ich versuche einen Blick zu erhaschen, kann aber nur alte Gemäuer weit unten erkennen. Und dabei vergleicht die Stimme im Lautsprecher sie mit den Bädern von Pompei. Manchmal darf man sich über Vergleiche auch wundern.

Die nächste Attraktion ist interessanter. Es ist die Mine Concordia. Eine der ältesten und grössten Minen Argentiniens. Bis 1994 wurde hier Kupfer und Silber abgebaut. Inzwischen zeugen nur noch ein paar verfallene Gebäude und Krananlagen von der grossen Geschichte der Mine. Ausserdem kann man weit unten einen kleinen Friedhof sehen.

Und dann hält der Zug, die Lokomotive fährt an der Komposition vorbei und wird hinter dem Zug angekoppelt. Das letzte Stück der Strecke wird der Zug gestossen. Jetzt geht es über den berühmten Polverone-Viadukt. Er ist der wichtigste und höchste der gesamten Strecke und das Ziel des Tren a las nubes.

63 Meter hoch und 224 Meter lang ist er eine gewaltige Meisterleistung der Ingenieurskunst. Langsam, ganz langsam rollt der Zug darüber. Auf der anderen Seite bleibt er kurz stehen und wir werden aufgefordert, die Plätze zu wechseln. Das ist eine sehr aufmerksame Geste, so bekommen alle die Möglichkeit, den Zug auf dem Viadukt in der Kurve zu fotografieren, zu filmen. Jetzt komme also auch ich noch zu meinen Aufnahmen.

Es soll auch einen Sanitätswagen und einen Speisewagen im Zug geben, doch man wird angehalten, im eigenen Wagen zu bleiben, damit nicht zu viel Bewegung unter den Passagieren entsteht. Und jetzt, hält der Zug doch noch an, wir können aussteigen und den Viadukt auch noch von draussen sehen, fotografieren, bestaunen. Natürlich sind auch hier die Souvenirverkäufer bereit. Für die Touristen wird auf dem höchsten Punkt noch die Nationalhymne gespielt und feierlich die blauweisse Flagge gehisst. Dann heisst es zurück in den Zug, wir fahren los, zurück nach San Antonio de las Cabes. Man ist übrigens sehr vorsichtig, jedesmal nachdem man ausgestiegen ist, wird man beim Einsteigen wieder mit Alkohol besprüht. Die Guias und Schaffner stehen bei den Türen und besprühen die Hande jedes Passagiers.

Mine Concordia

Mine Concordia

4200 m, das Polvorilla Viadukt

4200 m, das Polvorilla Viadukt

224 m lang, 63 m hoch

224 m lang, 63 m hoch

Blick auf die Mine Concordia

Blick auf die Mine Concordia

Beim Bahnhof steigen wir aus. Die Busse fahren hinunter ins Dorf, das auf der anderen Seite der Strasse liegt und ich merke, wie erschöpft ich bin. Wir haben eine Stunde Zeit, um das Dorf zu erkunden, doch ich mag nicht. Gehe ins einfache Restaurant, das draussen auf der Tafel grossspurig ein Menu mit Suppe, Hauptgang und Dessert verspricht. Wenigstens die Suppe würde mir jetzt gut tun. Doch der junge Kellner, der mit einem Notizblock bewaffnet an meinen Tisch kommt und mich fragt, was ich betellen möchte, meint, es gäbe keine Suppe. Was ich denn möchte, fragt er aber trotzdem, aber es stellt sich heraus, dass es nur Empanadas gibt. Dafür hätte er sich den Zettel und seinen Kugelschreiber sparen können. Da ich nicht wirklich Hunger habe und eigentlich nur eine warme Suppe wollte, starrt er mich ziemlich entgeistert an, als ich zwei Empanadas bestelle. "Nur zwei?"

Dazu einen Matetee und eine Cola, denn mehr gibt auch die Getränkeauswahl nicht her. Doch mir ist das im Moment einerlei, ich warte hier lediglich die Stunde ab und steige danach wieder in den Bus.

Zwar halten wir auf der Rückfahrt nicht mehr so oft an, aber es dauert eben doch noch einmal vier Stunden, bis wir gegen neun Uhr abends wieder am Bahnhof in Salta eintreffen. Ich bin hundemüde, will mich eigentlich nur noch so schnell als möglich hinlegen. Ich bin sogar zu faul, um mir ein Taxi zu rufen, trotte einfach vorwärts und komme tatsächlich nach einer guten halben Stunde in meiner Unterkunft. an.

Es war ein fantastischer Tag, aber er hat mich viel Kraft gekostet, Morgen werde ich wohl nicht mehr viel unternehmen. Aber immerhin, bin ich mit dem Tren a los nubes gefahren, dem Wolkenzug, der erst seit ein paar Jahren wieder betrieben wird und ausserdem während der Pandemie lange Monate still gelegt war. Er war schon bei meinem ersten Besuch in Argentinien auf meiner Wunschliste und eigentlich hatte ich gar nicht mehr damit gerechnet, dass ich den je fahren würde.

Doch meine These bei all meinen Besuchen ist immer, dass ich nicht alles sehen muss, denn wenn es wichtig genug ist, komme ich vielleicht irgendwann zurück.

Beim Bahnhof Salta gäbe es sehr schöne Restaurants mit Stimmung und Musik doch ich mag sie mir nicht einmal mehr ansehen - nur noch auf den Auslöser drücken, um mich vielleicht später daran zu erinnern.

Beim Bahnhof Salta gäbe es sehr schöne Restaurants mit Stimmung und Musik doch ich mag sie mir nicht einmal mehr ansehen - nur noch auf den Auslöser drücken, um mich vielleicht später daran zu erinnern.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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